Mondlandung + Tranquillity-Park in Houston

und Tony Cragg, der heute 70 wird

von Johannes Vesper

Tony Cragg - Foto © Frank Becker

Mondlandung, Tranquillity-Park in Houston
und Tony Cragg, der heute 70 wird
 
Von Johannes Vesper
 
Eine Stadt will zu Fuß erobert werden. Nur beim Spazieren und Wandern durch die Zentren der Städte entstehen bleibende Bilder im Kopf. Nun scheint Houston/Texas, die viertgrößte Stadt der USA, zum Spazierengehen nicht recht geeignet bei einer Fläche mit einem Durchmesser von geschätzt 70 km. Aber in den Parkanlagen längs des Buffalo Bayou, eines sehr langsam durch das Stadtgebiet fließenden Flusses, läßt sich sehr vergnüglich laufen und Fahrradfahren. Buffalo Bayou drainiert die Region nach heftigen Regenfällen und fließt nach ca. 100 km im Osten der Stadt über einen schiffbaren Kanal ins Meer ab. Downtown, die Innenstadt mit Skyline und einen Durchmesser von geschätzt ca. 10 km, liegt nicht direkt am Buffalo Bayou und lädt auch nicht zum Bummeln durch etwas sterile Straßenschluchten zwischen Wolkenkratzern ein. Unterirdisch aber, geschützt vor Regen und Kälte im Februar und vor Hitze im Sommer dank künstlicher Klimatisierung, kann man immerhin shoppen. Beim Spaziergang durch den kleinen Historical Sam Houston Park am Rande der Innenstadt gibt sich Houston historisch: einige Holzbauten, Farm- und Landhäuser sowie die neogotische Holzkirche einer texanisch-deutschen Gemeinde aus dem 19 Jahrhundert erinnern museal an vergangene Lebensformen. Einen Straßenblock in der Nähe nimmt der Tranquillity Park ein. Für Houston ein symbolträchtiger Ort, gibt es doch auf dem Mond the Sea of Tranquillity. Dort landete 1960 Apollo 11 und Neil Armstrong meldet sich beim Raumfahrtzentrum in Houston: „Houston, Tranquillity base here. The eagle has landed“. Im Park symbolisieren fünf dicke Steinsäulen die Apollo-Raketen. Auf einer bescheidenen Grünanlage neben dem Park erinnern zwei Gedenksteine an die großen Katastrophen der US-Raumfahrt: Die Challenger-Esplosion 1987, 73 Sekunden nach dem Start und die Columbia-Zerstörung bei der Rückkehr 2003.
 

Tranquillity Park, Houston TX - Foto © Johannes Vesper
 
Und an einer Ecke des Parks vor dem Hobby Center of Performing Arts fällt dem Besucher aus Deutschland eine zweiteilige Skulptur ins Auge, wie er sie schon anderswo in der Welt, also z.B. in New York oder auch in Unterbarmen gesehen haben mag. „In Minds“ von Tony Cragg steht dort seit 2013. Das Ensemble besteht aus einem mächtigen, gedrehten Block von 6,50 Höhe und einer schlanken gedrehten Säule von 8,50 m Höhe, beide aus nachgedunkelter Bronze. Was sagt der Titel: „In Gedanken“ lautet eine direkte Übersetzung. Das Werk gehört zu einer Gruppe seiner Werkes, die er unter dem Begriff „Rational Being“ zusammengefaßt hat. In der Tat laden Tony Craggs Werke laden zum Denken und Schauen ein.
 

„In Minds“, Houston TX - Foto © Johannes Vesper
 
Man muß um sie herum gehen oder auch durch sie hindurch, was bei dieser Skulptur durchaus möglich ist, also verschiedene Stadtpunkte einnehmen, und man erfährt bei Änderung des Blickwinkels, des Standpunktes, wie die Skulptur sich und den Ort verändert. Plötzlich erscheint ein Gesicht oder Teile eines Gesichtes im Profil. Craggsche Skulpturen können in ihrer Raumtiefe zu neuen Erfahrungen führen. Ohne Worte versucht der Künstler mit seinem Material zum Verständnis der Welt beizutragen. Cragg bezeichnet sich als Materialist. Mit vielen Materialien hat er gearbeitet: Kunststoff, Glas, Bronze, Edelstahl, Holz, zertrümmertem Backstein, Plastik. Kunst und Wissenschaft bieten unterschiedliche Erfahrungen von Raum, Materie und Natur und Sir Tony Cragg, der als Landschaftskünstler seinen wunderbaren Waldfrieden Park in Wuppertal geschaffen hat, bringt mit seinen Skulpturen zusätzlich Poesie in die Welt. Der Standort am Tranquillity Park vor dem großen Theaterkomplex, zwischen Raumfahrt und Kunst erscheint nach solchen Überlegungen ideal. „In Minds“ befindet sich Downtown Houston in bester amerikanischer und internationaler Gesellschaft, wird doch das regelmäßige Straßengitter hier aufgelockert durch weitere große Skulpturen von Miro, Dubbufet, Adickes und anderen.
 
Das Zentrum mit dem Schachbrettmuster der Straßen durchkreuzen seit 1868 wenige Straßenbahnlinien, zunächst von Maultieren gezogen, seit 1893 elektrisch angetrieben. Eine U-Bahn kam wegen des sumpfigen Untergrundes der Stadt nicht in Betracht. Mit der überirdischen Metro Rail erreicht man bequem und billig (1,25 Dollar pro Person und Fahrt) das Museumsviertel, welches sich einige Kilometer südlich des Zentrums ausbreitet. Beim Ausstieg aus der Metro grüßt aus der Ferne von seinem Triumphbogen im großen Hermann-Park Sam Houston herunter. Dieser historische Draufgänger hatte Texas von Mexiko gelöst und seine Staatlichkeit begründete. Nach ihm ist die 1836 gegründete Stadt benannt.
 
Bei strömendem Regen erreichen wir nach wenigen Schritten den nicht sehr großen Cullen Sculpture Garden unmittelbar vor dem Museum of Fina Arts, der sich, von einer Mauer umgeben, als eine Oase der Ruhe herausstellt. Skulpturen von Louise Bourgeois, Henri Matisse, Auguste Rodin u.a. sieht man im Park zwischen Bäumen und Sträuchern. Die große Doppelskulptur „New Forms“ aus den Jahren 1991/92 stammt wiederum von Tony Cragg. Sie steht in einem Areal, welches durch zwei rechteckig zueinander gestellte weiße Blendmauern begrenzt wird. Diese New Forms stammen aus einer früheren Schaffensphase (Early Forms) des Künstlers.
 

„New Forms“, Cullen Sculpture Garden, Houston TX - Foto © Julie Audren
 
Im MFAH, eröffnet 1924, finden sich Ausstellungsstücke, Gemälde und Plastiken vom alten Rom bis zu zeitgenössischer Kunst. Erweiterungsbauten des ursprünglichen Gebäudes wurden von Mies van der Rohe geplant. Das Museum spiegelt die ökonomische und kulturelle Entwicklung der Stadt, die vom Öl der texanischen Ölfelder lebt. Öl wurde gebraucht für die 1902 erfundene Klimaanalage, was zu einem Öl- Boom in den 20er Jahren führte. Und die zunehmende Verbreitung des Autos nach Weltkrieg II hatte einen weiteren Boom zur Folge. So kam parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung durch großzügige und zahlreiche Spenden Kunst aus aller Welt in die Stadt, auch aus Mexiko und Mittelamerika, wogegen man sich jetzt mit einer langen Mauer abschotten will. Erstaunlich, daß bei solcher Weltoffenheit, für die die USA ja einst bekannt waren, die Amerikaner nun keinen Demokraten, sondern deren Wappentier zu ihrem Präsidenten gemacht haben.

Redaktion: Frank Becker