Eine meisterhaft sensible Geschichte, die man nicht so schnell vergessen wird

„Wildlife“ von Paul Dano

von Renate Wagner

Wildlife
(USA 2018)

Regie: Paul Dano
Mit: Carey Mulligan, Jake Gyllenhaal, Ed Oxenbould, Bill Camp u.a.
 
Zurück in die Sechziger Jahre in den USA, aber zumindest eines an dieser Geschichte wirkt gänzlich heutig: Daß ein Mann vor seiner Familie und seiner Umwelt sich dadurch definiert, wie erfolgreich er sich im Beruf bewährt. Vieles sonst ist in den Jahrzehnten seither grundlegend anders geworden, die Bindungen von Menschen, die eher in Smartphones blicken als zu ihrem Gegenüber, haben sich verändert. Aber wie man eingeordnet wird… das ist geblieben.
Davon handelt im semi-historischen Ambiente der Roman von Richard Ford (1990), der aus der Sicht des 16jährigen Sohnes erzählt, wie seine Familie zusammenbricht. Paul Dano, einer von Hollywoods interessantesten jungen Schauspielern ganz weit ab des Mainstreams, liefert hier mit Mitte 30 seine erste Regiearbeit. Mit dabei, wie im letzten Jahrzehnt immer, seine Gefährtin Zoe Kazan (Enkelin des legendären Elia Kazan) als Drehbuchautorin. Herausgekommen ist eine meisterhaft sensible Geschichte, die nicht zuletzt auf ihrem Hauptdarsteller beruht: dem 14jährigen Joe drückt das Geschehen das Herz ab, und so, wie Ed Oxenbould das spielt, unterspielt, wie er den Ereignissen hilflos zusieht und seinen Kummer in sich hineinfrißt, wäre er schon der ganze Film. Und dabei geht es um seine Eltern.
 
Um den Vater Jerry (Jake Gyllenhaal), der sich selbst für einen ziemlich tollen Kerl hält und nicht versteht, warum der Besitzer des Golfplatzes ihn hinauswirft. Total beleidigt und gewissermaßen aus den Schuhen gekippt, wird sein Verhalten erratisch. Seine Frau Jeanette (eine ultimative Meisterleistung von Carey Mulligan, stahlhart unter süßer Fassade) sieht sich das nur eine Zeitlang an, dann ist es mit der Loyalität, die man von einer braven Gattin und Mutter verlangt, vorbei. Sie ist bereit, sich selbst einen Job zu erkämpfen – und als Jerry sich Hunderte Kilometer entfernt den Feuerwehrmännern anschließt, die die Waldbrände bekämpfen, ist er aus der Familie verschwunden.
Und Sohn Joe, der beide Eltern aufrichtig liebt, muß mit ansehen, wie die Mutter den Versager hat fallen lassen und sich einem reichen älteren Geschäftsmann zuwendet, der an sich ein freundlicher Herr ist. Man sieht nun einer frühen „Emanzipationsstory“ zu, der Geschichte einer Frau, die gänzlich unromantisch und ohne unnütze Gefühle den Alpha-Mann sucht, der sie am besten versorgen kann, und den anderen ungerührt abserviert. Joe sieht es mit an und kann nichts tun.
Als sein Vater zurückkommt und ausflippt, kommt es zu Szenen, die vordergründig dramatisch, aber im Grunde tieftraurig sind. Hoffnungslos, aber literarisch und filmisch wunderschön, gelingt dann die Schlußwende, wo es Joe, der inzwischen bei einem Fotografen arbeitet, gelingt, die Eltern und sich selbst noch einmal gemeinsam auf ein Foto zu bannen – eine Erinnerung an die Familie, die es nicht mehr gibt…
 
Was schnulzig klingen mag und optisch großartig die scheinbar heile, nette amerikanische Welt der Doris-Day-Filme spiegelt, ist harte Alltagsrealität, rankt sich mit Nüchternheit rund um die zentralen Gestalten, wobei man die Meisterleistungen der Darsteller und die Subtilität der Regie nicht so schnell vergessen wird. Man wird von nun an jedem Film des Regisseurs Paul Dano mit besonderen Erwartungen entgegenblicken.
 
 
Renate Wagner