Wanderer, kommst du nach München

Sigi Sommer – „Sendlinger G´schichten“

von Frank Becker

Wanderer, kommst du nach München
oder
Das Manna der Kindheit
 
Siegfried „Sigi“ Sommer (1914-1996) war schon zu Lebzeiten eine Münchner Legende. Mit seinen Romanen „Und keiner weint mir nach“ (1953) und „Meine 99 Bräute“ (1956) erlangte der Journalist und Schriftsteller er literarischen und cineastischen Ruhm, mit seinen Sendlinger Alltags-G´schichten und den Blasius- Kolumnen in der „Tageszeitung“, der Süddeutschen Zeitung und der „Abendzeitung“ gewann er die Herzen der Menschen – nicht nur in München. Er schaute den Leuten aufs Maul und in die Seele. So populär wie der Sommer Sigi selbst – er wurde in München allenthalben freundlich auf der Straße gegrüßt – wurde seine feuilletonistische Kunstfigur, der grantelnde Blasius, der die Straßen der Stadt durchwanderte und dem Publikum und den Großkopfeten regelmäßig die Wahrheit sagte.
 
Zahllose Sammlungen dieser beliebten, aus der Zeitung ausgeschnittenen und gesammelten Münchner Feuilletons sind von den frühen 50er Jahren an in Buchform erschienen und trugen die Namen Blasius und Sommer weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Mir begegnete der sympathische Grantler – ich bin halt später geboren – erstmals 1968 durch ein Heyne-Taschenbuch mit dem Titel „Der unverwüstliche Blasius“, das ich mir, für 2 Mark zwanzig glaube ich, in meiner Wipperfürther Stammbuchhandlung kaufte. So wuchs ich als Exil-Berliner Junge im Bergischen Land mit Münchner Geschichten auf, ging dort zur Schule und teilte die Geschichten mit meinen Schulfreunden Wolfgang, Seppi und Karl-Heinz. Einen wichtigen Anteil am Erfolg hatten natürlich die kongenialen Illustrationen von Ernst Hürlimann, die den Blasius sichtbar machten und Sommers Geschichten bis zu den letzten Büchern zumindest auf den Umschlägen begleiteten.

Von Siegfried Sommers Kurzprosa begeistert und neugierig auf mehr mußten die beiden Romane in ihrer Taschenbuchausgabe folgen und dann die Sammlungen „Die Tage vergehen“ und „Meine 99 Stories“. Ich habe sie noch heute und habe seitdem viele weitere Sigi Sommer-Bücher (denn irgendwann verschwand der ,Siegfried´ von den Umschlägen) erstanden, später im Antiquariat und mit viel Glück mitunter signierte Ausgaben.
1996 ist Sigi Sommer gestorben. Ein Denkmal wurde dem Münchner Chronisten 1998 am Rindermarkt in München spendiert, wo man ihm seither lebensgroß auf Augenhöhe begegnet, und vor zehn Jahren hat seine Kusine Helga Lauterbach-Sommer es erreicht, daß man in seinem Heimatbezirk Sendling einen Platz nach ihm benannt hat. Beides ist angemessen und schön und bleibt. Es ist aber im Tagesgeschäft leider häufig so, daß die große kleine Kunst des Feuilletons irgendwann bei der nächsten Lesergeneration dann doch in Vergessenheit gerät, weil sie nicht mehr täglich und wöchentlich in den Gazetten zu lesen ist.
 
Dem entgegenzuwirken hat Helga Lauterbach-Sommer bereits 2004 für die Reihe „edition monacensia“ des Allitera Verlages einen Erinnerungsband mit 50 von Sigi Sommers besten „Sendlinger G´schichten“ zusammengestellt. Es ist die bisher einzige posthume Sammlung dieser Art und ist glücklicherweise weiterhin zu haben. Und sie zeigt allein schon dadurch, daß zwei ehemalige Münchner Oberbürgermeister, Dr. Hans-Jochen Vogel und Christian Ude, Texte beigetragen haben, wie geschätzt der Sommer Sigi bei seinen Lesern war. Denn ich bin mir sicher, daß die Blasius-Kolumne Pflichtlektüre für die Münchener Politik gewesen ist.
Mit Geschichten, Romanauszügen, Rezensionen und persönliche Erinnerungen samt einigen Fotos werden Siegfried Sommer, sein Leben und sein Wirken durch dieses Büchlein wieder präsent. Wir wollen versuchen, die Erinnerung an diesen wunderbaren Mitmenschen und tiefgründigen Autor mit unseren Mitteln weiter zu pflegen.
 
Sigi Sommer – „Sendlinger G´schichten“
Herausgegeben von Helga Lauterbach-Sommer
© 2004 Allitera Verlag, edition monacensia, 164 Seiten, Broschur – ISBN: 978-3-86906-652-3
14,90 €
 

© 1968 Wilhelm Heyne Verlag
Titelzeichnung: Ernst Hürlimann
Inhalt:
Grußwort (Dr. Hans-Jochen Vogel) – 7 Und keiner schreibt’s ihm nach - 9 Feierabend in Sendling - 12Winnetou auf der Flaucherwiese - 14
Lederstrumpfs Erben - 17 Das Etagenbad - 18 Bei der Schinderbrücke - 20 Wie jedes Jahr - 21 Blasius hat den falschen Beruf - 24 »SZ« besucht: Blasius - 27 Haus der Kindheit - 32 Meine 99 Bräute (Rezension von Christian Ude) - 35 Einer geht fort (Romanauszug) - 40 Glück im Baaz - 44 Blasius der Spaziergänger. Oktoberfest - 47 »Tschump-Kaiser-allerletzt« - 50 Maikäfer flieg - 53 Am Waffelbruch-Palast - 56 Am Schäserl-Strand - 59 Am Arbeitslosenlido - 61 Wildwest in den Vorstädten - 65 Schloß der Ahnen - 68 Brot der Kindheit - 72 Die alte Wirtschaft am Eck - Der Trampelpfad - Brennessel mit Spiegelei - 81 In jenen Tagen - 83 Die Fabrik ist aus - 86 Flaucher-Freuden - 89 Wulli, wulli, wulli - 92 Gute nachbarschaft - 94 Das alte Trambahnhäusl - Auch ich war ein Firmling - 100 Kleiner Wasserfall auf Rädern - 102 Feierabend in der Einmaleinswerkstatt - 105 Leberkäs mit Sauerstoff - 107 Der Weg allen Fleisches - 109 Das Viertel der Kindheit - 113 Solang die grüne Isar - 117 Brot der frühen Jahre - 120 Entschwundenes Gartenglück - 123 Schätze aus der Jugendzeit - 127 Treffpunkt Hydrant - 130 Kleine weiße Wonnen - 132 »Uff Uff« - 135 Der Stolz unserer Straße - 139 Glück mit Glasscherben - 141 Zahme Fluten - 14 3 Die Brücke El-Schin-dar - 145 Hereinspaziert ins Zirkuszelt! - 148 Lied zum 100-jährigen Jubiläum Sigi Sommer - 153 Nachwort von Helga Lauterbach-Sommer - 155 Verzeichnis der einzelnen Texte - 159 Bildnachweis
 
Weitere Informationen: www.allitera-verlag.de