Vornamen
Es ist bedauerlich, daß heute keiner mehr die Bedeutungen der Vornamen kennt. Keiner weiß mehr, warum er Anton heißt und wie er sich aufgrund dessen zu benehmen hat. Früher gab man den Kindern mehrere Namen, damit man sie später aufgrund ihrer Neigungen und Fähigkeiten nennen konnte. Nenn mir deinen Namen und ich sag dir wie du heißt. Man hatte ja nichts. Manche Familien hatten teilweise zehn bis zwölf Kinder. Ein Wunder, wie die das ausgehalten haben. Die hatten gar nicht alle Namen. Man war froh, wenn man sie rief und keiner kam. Heute ist es andersrum. Heute hat man viele Namen und kaum noch Kinder. Deswegen gibt es auch so viele Doppel- und Dreifachnamen, wie Karl-Heinz, Marie-Claude, Claude-Oliver-Alex. Und machen wir uns nichts vor: Die schönsten Vornamen sind oft schon vergeben. Wie zum Beispiel „Erwin“. Es können ja auch nicht alle Kinder Erwin heißen. Kürzlich war ich in Basel und sah ich vor dem Basler Münster ein deutsches Ehepaar, welches laut „Jens, Jens!“ rief. Ich dachte, warum nicht, besser als „Babsi“. Babsi klingt oft so anklagend, als wäre sie mit dem Elektriker durchgebrannt. „Babsi, wie konntest du nur?“ Sie riefen also „Jens, Jens“ um jemanden zu grüßen, der den Turm der Kathedrale bestiegen hatte. Aber da hätten sie „Jens, Jens“ rufen können, bis sie Otto heißen. Das hört niemand. Das wird von der Atmosphäre nicht übertragen, da spielt der Wind nicht mit, das verpufft auf dem Weg zur Spitze. Da entsteht ein Kommunikationsloch. Die großen Ereignisse der Weltgeschichte heißen nicht Jens. Da hätten sie sich auch als Terrorist eine Eisbombe umhängen können, und glauben, sie könnten Alaska in die Luft sprengen. Das hat keinen Sinn. Um es ganz deutlich zu sagen: Ein Kind, das nach oben strebt, Berge besteigt und Kathedralen erklimmt, sollte Uwe heißen. „Uwe! Uwe!“ Hören sie das? Das groovt. Der Uwe-Laut tut gut und erschüttert die Welt. „Uwe!“ So fokussiert sich der Name auf die Zielperson. Das ist, wie ein Ball in einen Basketballkorb versenkt. Das umarmt die Zielperson und sie winkt zurück. „Huhu! Huhu!“ „Uwe! Uwe!“ Sie rufen: „Uwe! Uwe!“ Und er antwortet: „Huhu! Huhu!“ Vielleicht ist das intellektuell nicht erfüllend, aber so bekämpft man die Einsamkeit und untermauert seine Zugehörigkeit. Aber „Jens, Jens“? Das können sie rufen wie sie wollen. Das erscheint von oben wie ein Stummfilm.
Die falsche Verwendung eines Vornamens kann ungeahnte Folgen haben. Wenn sie zum Beispiel einen Fernnamen, wie Gudrun, der eigentlich nur auf Abständen von zwei Metern wirkt, auf Kurzstrecken einsetzen und rufen: „Gudrun, küß mich!“, dann gnade uns Gott. Das löst was aus, da haben sie eine Lunte gezündet, einen Tiger geweckt, eine Lawine ins Rollen gebracht. Gudrun ist ein Fernname. Da hätten sie warten müssen, bis Gudrun auf dem Flur steht „Wunderbar. Gudrun auf dem Flur. Gut.“ Dann können sie rufen: „Gudrun küß mich!“, dann kommt sie angelaufen und kann auf dem Weg zu ihnen die Verpflichtung ihres Namens, ja den Fluch ihres Gudrun-seins abschütteln, und wenn sie sich an ihren Hals wirft, dann steckt sie noch voller ausreichender erotischer Impulse, daß ihnen Hören und Sehen vergehen wird und sie nur noch erschöpft „Schatzi“ oder „Mausi“ säuseln können. Das ist Küssen mit Schalldämpfer. Da können sie vorher/nachher-Bilder machen. Alles andere ist lebensgefährlich.
Auch die Natur unterwirft sich diesen Klanggesetzen. Sehen sie zum Beispiel den Kuckuck, der macht Kuckuck. „Kuckuck!“ Hören sie die „ich“ bezogenen U`s, die selbstgefälligen Vokale? Hören sie das, wie das singt, wie das swingt, wie das groovt. So gibt er seine musikalische Visitenkarte ab. Das überträgt sich von Baum zu Baum, von Ast zu Ast. Inhaltlich schlicht, aber man weiß genau, wen man vor sich hat. Da traut sich auch der Uhu sich vorzustellen: „Uhu! Uhu!“ Und schon weiß der Kuckuck, wo er seine Eier zwischenlagern kann. Das Tierreich macht es uns vor. Die Kuh macht ja auch „Muh, Muh!“ Milch, Mukuh. Hören sie das? MUH! Alles was gehört werden will, schickt ein U in die Welt. So leitet man Orgasmen ein. Ich meine, die Taube macht ja auch „Gru Gru! Gru Gru!“ Sie macht ja nicht „Jens, Jens“. Ich kenne einen Hausmeister der Paderhalle, der hat einen Windhund. Warum nicht. Der hat seinen Windhund Sebastian getauft. Sebastian. Wieso denn das? Das ist ein Windhund. Der ist doch bei SE schon weg. Der ist bei SE am See. Jetzt wird er Basti genannt, und kommt nicht, wenn er man ihn ruft. Würde ich auch nicht machen, wenn man mich Basti rufen würde. Doch hört man doch gleich „Basti, Basti“ Das klingt doch wieder wie: „Räum dein Zimmer auf!“
Da haben wir uns was eingebrockt mit diesen Namen: Heutzutage gibt es Vornamen, die kann kein Mensch mehr aussprechen. Ich kann an manchen Tagen schwer sagen: „Werner, ich liebe dich“ Ich habe auch das Gefühl, daß das Werner nicht so gerne hört. Daß er mich deswegen am liebsten auf den Mond schießen würde, als wäre er Wernher von Braun. Aber warum gibt es eigentlich keine berühmten Werners? Steht der Name einem heldenhaften Verhalten im Wege, behindert er das Erreichen von Höchstleistungen? Kann man mit dem Vornamen keinen Stern entdecken, der dann WERNER heißen würde. Schau mal, wie der Werner leuchtet. Ich weiß daß viele schwangere Frauen vor ihrer Niederkunft wieder gläubig werden und beten: „Bitte Gott, laß es kein Werner sein.“ Aber Gott nennt dich bei deinem Namen, da muß man sein Schicksal annehmen. Ganz anders Heinz! Ganz im Ernst, ganz im Heinz. Heinz ist ein Gewinnername. Sieger heißen Heinz. Platz eins: Heinz. Gott hat seine Lieblinge. Wer trinkt seinen Kaffee schwarz ohne Wasser! Heinz. Ein Heinz kann sich am Ellenbogen lecken. Wer darf während der Fahrt mit dem Busfahrer sprechen? Heinz. Wer darf mit seinem Auto durch die Rettungsgasse düsen? Heinz. Den Namen Heinz kann man gut lachen, weil er immer die besten Witze macht. „Hei- Hei- Hei- Hei- Heinz.“ „Was ist der beliebteste polnische Männername? Klaus.“„Hei- Hei- Hei- Hei- Heinz.“ „Max kann seinen Namen in den Schnee pinkeln, Alexander nicht.“ „Hei- Hei- Hei- Hei- Heinz.“ Wissen sie, wenn ich traurig bin, dann sage ich manchmal gerne „Margaret, Margaret“, weil das so klingt, als würde man einen Rhabarberpudding mit Sahne essen. Vielleicht auch, weil sie ihre Küsse immer mit Geräuschen unterlegt: „Muah! Muah!“ Ich küsse sie jetzt auch immer so. Ich mache nur jetzt die Geräusche zwei Oktaven höher. „Muih! Muih!“ Als wenn zwei Tomaten sich küssen würden. Wir werden auch immer rot dabei. Welch ein Zweiklang. Aber mal im Ernst, nichts gegen den Namen Jens. Er ist halt für den häuslichen Umgang gemacht: „Jens, wirf den Grill an“, „Jens, stell den Müll raus“. Leichte Aufgaben, die alle zu schätzen wissen und die niemand sonst machen würde, der z.B. Anton heißt. Anton macht den Ton an, der wird Diskjockey oder hilft als Techniker beim WDR. Der eine kann das Klavier tragen, der andere kann es spielen. Ich kann beides nicht, heiße aber Erwin.
© Erwin Grosche
Aus: Grosches Weltlexikon
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