Der Musenkuß für die Liebe   Eine internationale Anthologie von Rang     Eine Liebe, die nicht länger währte, als eine Zugfahrt von Braunschweig nach Lehrte, (Klaus Cäsar Zehrer)   Was denn die Liebe sei, versuchen Dichter und Philosophen seit Äonen zu erklären – mit mehr oder minder griffigem Erfolg. Eine Himmelsmacht sei sie, haben wir als Erkenntnis Johann Strauss zu verdanken, der in seinem Zigeunerbaron mit dem Lied „Wer uns getraut…“ zu diesem Schluß kommt. Jürg Federspiel hat 1985 denn auch Straussens Zeilen „Die Liebe, die Liebe / Ist eine Himmelsmacht“ als Titel für seine Sammlung von zwölf kurzen kuriosen Liebesgeschichten gewählt, denn offenbar kann man sie – die Liebe – anders nicht erklären..   Ursula Baumhauer hat für ihre Anthologie von Geschichten über die Liebe, die soeben beim Diogenes Verlag erschienen ist, 17 Geschichten von 16 Autoren ausgewählt und zusammengestellt: Von Raymond Carver, John Updike, Benedict Wells, Doris Dörrie, Kathrine Kressmann Taylor, Kent Haruf, Alice Munro, Carson McCullers, Haruki Murakami, Guy de Maupassant, F. Scott Fitzgerald, Connie Palmen, Anna Gavalda, Anton Cechov, Lily Brett und zwei Beiträge, die zu den köstlichsten zählen, von Klaus Cäsar Zehrer. Sie haben eins gemeinsam, nämlich nicht den Versuch zu machen, die Liebe zu ergründen oder zu erklären, sondern nur von ihr, ihren Spielarten, Facetten, Überraschuingen und gelegentlichen Merkwürdigkeiten zu erzählen.   Es ist der ewig wiederkehrende Lauf des Lebens: Für die, die sich verlieben, geschieht ein kleines, oft aber auch ein unfaßbar großes Wunder, und die Welt ist auf erschütternde Art völlig neu. Doch das große Glück scheint nicht in allen Fällen lange erträglich zu sein und so beginnt die Liebe uns die wunderbarsten Geschichten zu erzählen - berührend, komisch, zart, unerschütterlich, tragisch, traurig und heiter. Womit wir auch schon bei dem oben erwähnten Klaus Cäsar Zehrer sind, der mit zwei unerhört witzigen Original-Beiträgen, einer Brief-Erzählung sowie einem Erich Kästner und Robert Gernhardt würdigen Gedicht seine Wurzeln in der Neuen Frankfurter Schule nicht verleugnet. Es ist, so zeigt sich, für jeden literarischen Geschmack etwas dabei, wobei ich hier nur die Texte hervorhebe, die mich unmittelbar gefangen haben. Da wäre „Dein Liebhaber hat eben angerufen“, John Updikes filigrane Ballade über das gegenseitige Mißtrauen in einer abgekühlten Ehe, Carson McCullers „Der Nomade“ über falsches Verstehen und das Fehlen und Finden von Zärtlichkeit; glut- und blutvoll ist Guy de Maupassants witzig-tragisches „Im Frühling“, und Anna Gavaldas taktisches „Kleine Praktiken aus Saint Germain“ enthält so viel Wahrheit über die Dummheit im Werben umeinander, daß man ausrufen muß: Wunderbar! Unerhört liebenswert ist Anton Cechovs Erzählung „Wie ich in die gesetzliche Ehe eintrat“ und wiederum wahr und ehrlich Kent Harufs Romanauszug „Ein ungewöhnlicher Antrag“. Außerordentlich berührend erzählt Lily Brett in „Mein Vater verliebte sich in meine Mutter“ über tiefe Liebe in einer schrecklichen Zeit.   Mein Favorit unter all den Köstlichkeiten ist Haruki Murakamis unglaublich schöne, unglaublich traurige Geschichte „Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah“. Darin findet sich, wer diese erschütternde Gefühl einmal erlebt hat, unweigerlich wieder – und wer nicht, ahnt zumindest, was für eine Tragödie in dieser großen kleinen Prosa steckt. Jedem, der die Liebe liebt, kann ich diese schöne Anthologie ans Herz liegen – für so viel Erbauliches unser Prädikat, den Musenkuß!   Dein ist mein ganzes Herz - Geschichten über die Liebe Herausgegeben von Ursula Baumhauer © 2019 Diogenes Verlag, 267 Seiten, Broschur, ISBN-13: 9783257244830 10,- € Weitere Informationen: www.diogenes.ch