Ein ruhiger und undramatischer Blick auf eine sich verändernde Gesellschaft

„Asche ist ein reines Weiß“ von Jia Zhangke

von Renate Wagner

Asche ist reines Weiß
(Jiang Hu Er Nü - China/Frankreich/Japan 2018)

Regie: Jia Zhangke
Mit: Tao Zhao, Fan Liao u.a.
 
Wenn große Regisseure Filme aus ihrer Heimat drehen, dann erlauben sie dem Rest der Welt Einblick in ihre Länder, deren Menschen und das Leben dort, wie man sie sonst selten gewinnt. Der chinesische Regisseur Jia Zhangke bietet keine spektakulären Ausstattungsfilme, wie man sie bei manchem seiner Kollegen liebt, aber er ist immer sehr gefragt bei Festivals mit dabei: „Asche ist reines Weiß“ ist sowohl in Cannes wie auf der Viennale gezeigt worden.
Der Originaltitel lautet angeblich „Ein Hauch von Sünde“ und die deutsche Werbung spricht immer wieder von einem „Gangsterfilm“, aber damit soll der Streifen nur für ein Publikum interessant gemacht werden, das dann vielleicht enttäuscht ist. Tatsächlich ist es die Geschichte einer Frau in drei Stationen, die grenzenlos opferbereit für ihren Geliebten agiert, dann bemerkt, daß er es absolut nicht wert ist, und erst, wenn sie ihr Leben in die Hand nimmt, drehen sich die Machtverhältnisse um.
Eigentlich eine klassische Emanzipationsgeschichte, wie man sie auch hierzulande drehen könnte (und aufpassen muß, nicht an den Rand von Kitsch und Selbstgerechtigkeit zu geraten), aber Regisseur Jia Zhangke erzählt die Sache so langsam und besonnen und so sehr im Hinblick auf ein sich veränderndes China im Hintergrund, daß man es auch als Semi-Doku begreifen könnte.
 
Da ist man zu Beginn im Jahr 2001 in der Industriestadt Datong, also mehr oder minder in der Provinz. Sicher ist Bin (Liao Fan) dort der lokale Gangsterboß, der sich in seinem Laden aufspielt und schmutzige Geschäfte macht, aber das Ganze hat Kleinformat. Für die Tänzerin Qiao (Zhao Tao, die Gattin des Regisseurs) ist er allerdings der Mann ihrer Träume, und an seiner Seite kann man sich in diesem Kaff schon wie jemand Besonderer fühlen… Vor einem Vulkan mit blendend weißer Asche zeigt er ihr, wie man mit einer Pistole umgeht und erklärt ihr lächelnd, es gäbe ja gar keine „Unterwelt“.
Wenn es dann auf der Straße zu einer gewaltsamen Schlägerei zwischen Bin und seinen Leuten und einer anderen Bande kommt, muß man als Westler erstaunt feststellen, daß es offenbar schwere Strafe nach sich zieht, wenn Qiao mit der Pistole ohnedies nur in die Luft schießt, um die Sache zu beenden.
Der Schnitt geht schnell über fünf (!) Jahre hinweg, die Qiao für ihren Liebsten im Gefängnis verbracht hat. Wenn sie wieder auf der Straße steht, ist von ihm nichts zu sehen. Sie hat sich geopfert, er hat sie fallen gelassen. Teil 2 zeigt die junge Frau im Jahr 2006 nun auf der Suche, was nicht komplikationslos ist. Und als Hintergrund wählt der Regisseur den Yangtse an den Drei-Schluchten, wo der Fluß eben mit einem riesigen Damm gestaut wird. China opfert unter vielen ideologischen Vorwänden seine Natur, um Modernisierung, Technologie, Kapitalismus voranzutreiben. Die veränderte Welt zeigt sich auch an der skurrilen Begegnung im Zug mit einem Mann, der seine Mitreisenden mit der Überzeugung belästigt, es gäbe unbedingt Ufos… Dazwischen findet Qiao ihren Bin, nur damit er ihr peinlich berührt, aber doch ins Gesicht sagt, daß die Geschichte zwischen ihnen längst aus ist. Genauer: Sie sagt es fragend, er stimmt zu.
 
Der dritte Zeitsprung ist der größte, nun ist Qiao ein Dutzend Jahre später im schwarzen Ledermantel die coole Unternehmerin einer Spielhölle (die kann schließlich heutzutage auch von einer Madame geleitet werden) – und man begreift, daß das hilflose Bündel Mann, der da im Rollstuhl sitzt, Bin ist. Von ihr abhängig, von ihr mit abweisendem Gesicht herumgeschoben. Traurig, hoffnungslos, vor dem China von heute.
Der Film wird ruhiger und undramatischer erzählt, als es die Geschichte ermöglichen würde, und die Blicke, die man auf eine sich wandelnde Gesellschaft wirft, sind so aussagestark wie eindrucksvoll. Allerdings – strikt Arthaus, 150 lange Minuten lang. Wer gerne sieht, wenn sich in chinesischen Filmen die Helden von Baumwipfel zu Baumwipfel schwingen, der ist hier nicht richtig am Ort.
 
 
Renate Wagner