O Ewigkeit, du Donnerwort...

Rüdiger Görner – „Oskar Kokoschka Jahrhundertkünstler“

von Jürgen Koller

O Ewigkeit, du Donnerwort...
 
Oskar Kokoschka / Jahrhundertkünstler
 
Von Jürgen Koller
 
Für den Titel der Rezension dieser Biographie Oskar Kokoschkas, die Rüdiger Görner, Professor für Neuere Deutsche und vergleichende Literatur an der Queen Mary University of London, geschrieben hat, wurde bewußt auf eine Textzeile der Kantate von J.S.Bach „O Ewigkeit, du Donnerwort...“ zurückgegriffen, hatte doch Kokoschka elf Lithographien von großer Eindringlichkeit zu diesem Musikwerk geschaffen, das 1914 in 125 Exemplaren bei Fritz Gurlitt erschien (publiziert 1916/17). Görner stellt in dieser neuen Biographie - übrigens der ersten seit drei Jahrzehnten – den Künstler sowohl in seiner bildkünstlerischen Außergewöhnlichkeit als auch in seinen schriftstellerischen Qualitäten (gemeint sind Dramen, Essays und Briefe) und in seinen Beziehungen zur Musik dar. Ausführlich wird vom Biographen auch Kokoschkas pädagogisches Konzept der „Schule des Sehens“ aus dem Jahre 1953 gewürdigt. Görner zeichnet Kokoschkas Leben dicht an dessen Werk nach, denn sein „Leben erzählt man, indem man sein Werk erzählt und umgekehrt“. OK. wie er seine Werke signierte, wie er aber auch von seiner Frau genannt wurde, war in seiner Gesamtheit von Leben und Werk wahrlich ein „Donnerwort in der Ewigkeit“.
 
Rüdiger Görner hält Distanz zu Kokoschka, aber der Autor bleibt dem Künstler in all dessen Lebensphasen fair und gerecht gegenüber. Wenn es Görner notwendig erscheint, verläßt er den stringenten Chronologie-Verlauf der Lebensvielfalt seines biografischen „Helden“ und springt vor oder auch zurück. Das alles wird von Görners profundem Wissen über die konkreten historischen Zeitumstände, über die Personen - seien es politische Akteure, Maler, Literaten, Theaterleute oder auch Frauen - die Kokoschkas Weg kreuzten, getragen. Es macht die Biographie interessant, lesenswert und formt für die Leserschaft die Persönlichkeit Kokoschkas als „Jahrhundertkünstler“. Ein Manko ist der generelle Verzicht auf Abbildungen, was Görner zu längeren Werkbeschreibungen zwingt. Die kritische Auseinandersetzung Görners mit Kokoschkas Autobiographie „Mein Leben“, öfters schmunzelnd, aber nie herabwürdigend, macht OK. bei aller „Selbstdarstellung und Selbstinszenierung“ zu einem „böhmischen Österreicher am Meer der farbigen Brandungen“. „Mein Leben“ ist keinesfalls eine biographisch verläßliche Quelle. Kokoschka sagte selbst, daß seine Selbstbiographie „teils wahre, teils imaginäre Vorkommnisse und Anekdoten“ benennen würde.
 
Oskar Kokoschka wurde 1886 in Pöchlarn am südlichen Ufer der Donau geboren. Sein Vater stammte aus einer Prager Goldschmiede-Familie. Er mußte aber bereits um 1878 sein Geschäft auflösen. Seine Mutter war Niederösterreicherin. OK. konnte sich wegen einer „speziellen Veranlagung“ um ein Staatsstipendium an der Kunstgewerbeschule Wien bewerben. In seiner Autobiographie behauptet er, zeitgleich hätte sich ein gewisser A. Hitler erfolglos beworben - was aber nicht belegt ist. Parallel zur bildenden und angewandten Kunst begann er zu schreiben. Ab 1907 schrieb er das expressionistische Stück „Mörder, Hoffnung der Frauen“ - ein Drama von poetischer Symbolik und sprachlicher Schockwirkung. OK. betonte, zeitgleich mit dem Polizei-Verbot des Stücks sei er zum Weltkrieg einberufen worden, was nicht der Wahrheit entsprach, aber dem „Stimmungsbild“ des jungen Künstlers entsprach. Auf Empfehlung von Karl Kraus und Adolf Loos ging OK. 1910 nach Berlin. Von dieser Stadt mit ihrer Dynamik und Lebenskraft war er fasziniert, malte aber keine Berliner Szenen, dafür arbeitete er für Herwarth Waldens Zeitschrift „Der Sturm“. Er hatte in fast jeder Ausgabe zeichnerische Beiträge, zugleich schloß der Galerist Paul Cassierer mit ihm einen für den Künstler günstigen Vertrag. Er porträtierte in großem Umfang bekannte Persönlichkeiten, u.a. Walden, Dehmel, Scheerbart und die Guilbert. Er sei, so OK., „Kopfgeldmaler“ geworden. Später wird er sagen, daß „... die Jahre beim „Sturm“ die glücklichsten (seines) Lebens“ gewesen seien.
 
Zurück in Wien lernte er 1911 die 33-jährige Alma Mahler kennen, 'femme fatale' und begehrteste Witwe in der Hauptstadt der K.u.K.-Monarchie. Für den 26jährigen wurde sie zur dämonischen Urfrau und weiblichen Ideal. Nach eigenem Bekunden trieb ihn „Lebensunklarheit“ in die Arme dieses „Engelsweibes“ - aus erotischem Zauber wurde sexuelle Erfüllung. Die Intensität der Liebe und seine pathologische Eifersucht führten bei OK. zu einem Schaffensrausch – 450 auf Alma bezogene Arbeiten entstanden. Am Ende der Beziehung zu Alma schuf Oskar Kokoschka das großartige Doppelbildnis „Windsbraut“. Der Titel geht auf ein Gedicht Georg Trakls zurück. Im Februar 1915 trat OK. in eine Offiziersschule ein, nach der Kavallerie-Ausbildung wurde er Dragoner und meldete sich freiwillig zum Fronteinsatz – statt Selbstmord aus „närrischer Herzenslust“. Görner beschreibt OK. so: „Mit hellblauer Jacke, roten Breeches und goldfarbenem Helm... in Signalfarben wie zum Abschuß freigegeben...“. An der galizischen Front mit Kopfschuß und Lanzenstich in die Lunge schwer verwundet, ging er nach seiner Genesung noch als Kriegsmaler an die italienische Front im gefürchteten Isonzo-Tal. Dort erlitt er eine Schrapnellverwundung - danach wurde er endgültig kriegsverwendungsunfähig.
Als Rekonvaleszenter lebte er ein ¾ Jahr in der Klinik von Dr. Neuberger in Dresden-Loschwitz. Ab 1917 arbeitete er in Dresden an seinem wichtigsten poetisch-dramatischen Text „Orpheus und Euridyke“. Der tschechische Komponist Ernst Křenek vertonte den Text, die Oper wurde 1926 im Kasseler Stadttheater uraufgeführt. Anfangs meinte Křenek, es handle sich um „expressionistisches Blabla in höchster Potenz“, erst später erkannte er die „Proplematik von Trauer und Erinnerung“.
 
Görner geht in der Biographie ausführlich auf die Hintergründe mit der „Alma-Puppe“ ein, die letztlich OK. half, die Trauer um das Scheitern seiner Liebe zu Alma zu bewältigen. Kokoschka erhielt 1919 eine gut dotierte Professur an der Dresdner Kunstakademie. In diesen Jahren entstanden wundervolle Stadtlandschaften und Elbeansichten. Seine Lehrtätigkeit ließ ihm Raum für Reisen in ganz Europa. In England entstanden Stadtlandschaften mit Themse-Blick aus dem 10. Stockwerk. Seine Faszination für das Archaische ließen Bilder vom „Mandrill“ und vom „Tigan“ (Kreuzung von Tiger und Löwe) entstehen, die im Londoner Zoo gehalten wurden. Kokoschka schied 1924 aus dem Lehrdienst der Akademie aus – nicht ganz freiwillig – Nachfolger wurde Otto Dix. „Kokoschka ante portas“ – Nordafrika-Reise mit Wüste und Karthago, Naher Osten mit Jerusalem/Palästina. Görner schreibt über die Reisen: „Seine Kunst zwischen 1928 und 1934 lebte vom Ortswechsel, seine damals einzige Konstante.“
Zwischen 1932 - 1938 nahm Kokoschkas öffentliche Präsenz zu – sowohl künstlerisch als auch politisch. Er verteidigte Max Liebermann in einem „offenen Brief“ gegen den Ausschluß aus der Preußischen Akademie der Künste durch die Nazis. Wegen des erstarkenden Austro-Faschismus unter Dollfuß in Österreich ging OK. 1934 für vier Jahre nach Prag. Im Jahre 1938 schickte er ein fünf Druckseiten langes „Ansuchen an den Haager Schiedsgerichtshof wegen des Völkerrechtsbruchs des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich“. Kein bildender Künstler der Moderne hat in diesen Jahren so prononciert Partei für die Freiheit der Menschen genommen.
In der CSR war Präsident Masaryk für OK. eine Lichtgestalt, deshalb blieb für ihn dessen Porträt so wichtig. Durch des Präsidenten Intervention erhielt Kokoschka die tschechische Staatsbürgerschaft. Es entstanden eine Fülle von Bildern der Stadt Prag - Fensterblicke und Ansichten. Mit kämpferischen Zeichnungen trat er für die spanische Republik ein (La Passionara, Frederico Garcia Lorca), auch nahm er als CS-Staatsbürger am Brüsseler Friedenskongress 1936 teil. Für Hitler war Oskar Kokoschka zur Eröffnung des „Hauses der deutschen Kunst“ in München 1937 der „Entarteste der Entarteten“.
 
In jenen Jahren gewann OK. Abstand zur Porträtkunst der Neuen Sachlichkeit. Er wollte von „Photografie-Gesichtern“ (Siegfried Kracauer) nichts wissen, ihn interessierte die Physiognomik, nicht die Oberfläche des Gesichtsausdrucks. Im Oktober 1938 ging Kokoschka zusammen mit seiner Lebensgefährtin Olda Palkovská ins englische Exil, was die CS-Staatsbürgerschaften vereinfachten. Obwohl beide eine 'privilegierte' Existenz hatten, waren sie doch nur „Geduldete“. Noch 1939 zogen beide von London nach Cornwall. OK. entwickelte vielfältige Aktivitäten, so malte er das Prager Erinnerungsbild „Nostalgia“, auch beteiligte er sich an der Gründung des Freien Deutschen Kulturbundes. Porträtaufträge blieben aus, erst 1941/42 konnte er den Sowjet-Botschafter Ivan Maisky porträtieren. Das Honorar von 1000 englischen Pfund spendete er für die Kinder Stalingrads. Görner arbeitet heraus, daß es keine verschworene Gemeinschaft der Exilanten in England gab – trotz des gleichen Schicksals, hielt man auf Distanz. Der Maler suchte Trost in der Landschaft Schottlands. In Polperro/ Cornwall malte OK. „Die Krabbe“ - als Symbol für die britische Beschwichtigungspolitik - und Ende 1940 folgte „Das rote Ei“, eine kompromißlos politisch motivierte Kunstäußerung, Sinnbild des Verrats der freien Länder des Westens an der Tschechoslowakei. Hier wirkt das Fehlen von Bilddokumenten in Görners Buch besonders bedauerlich. Noch im Jahre 1941 heirateten Oskar und Olda in einem Londoner Luftschutzbunker (U-Bahnhof).
 
Nach 1945 begann Kokoschkas „letzte Arbeitsphase mit einer farblichen Barockisierung der Stadtbilder und des Porträts als bewußte Kultur des Miteinander“. OK. schätzte den Umgang mit Musikern – Swjatoslaw Richter oder Wilhelm Kempff. Von dem Cellisten Pablo Casals schuf er 1954 zwei geistig vertiefte Porträts, die den „stillen Glanz dieses Humanisten zeigen“. In den Musikerporträts gelang es OK. „Abstraktes in der Musik in Konkret-Menschliches zu überführen“, heißt es bei Görner. Die in diesen Jahren geschaffenen Politiker-Porträts verweisen auf den 'Machtfaktor Kunst'. Kokoschka begegnete nach 1950 den Großen der Politik auf „Augenhöhe“. Theodor Heuss sagte nach den Porträtsitzungen, daß der „Geist des alten Österreichs zu Besuch war...“.OK. porträtierte auch den Hamburger Bürgermeister Max Brauer und später Konrad Adenauer in Cadenabbia (1966), aber auch Ludwig Erhard und Helmut Schmidt. Mit den Porträts von Golda Meir und Teddy Kollek bezog der Maler eindeutige Position für Israel.
In Kunstfragen war aus dem „linken Rebell“ der frühen Jahre ein Kulturkonservativer geworden. In den 50er und 60er Jahren polemisierte Kokoschka entschieden gegen die abstrakten Künstler. Einer seiner Lieblingsgegner war der Kunsthistoriker Will Grohmann (1887-1968), allerdings hatte er kein Interesse an einem Akademiestreit. Für OK. galt Abstraktion als „Manifestation des Unterbewußtseins“, das weder „Bewußtwerden des 'Ich' noch Sinnenwahrnehmung dinglicher Wirklichkeit“ beinhaltete. Seine „Internationale Sommerakademie“ in Salzburg ab 1953 war deshalb bewußt als „Schule des Sehens“ konzipiert worden, ganz im Sinne einer „internationalen Volksschule“, die dem großen böhmischen Pädagogen Comenius vorgeschwebt hatte. Im Jahre 1972 überarbeitete Kokoschka sein Comenius-Schauspiel und gab darin der Kunst, der Pädagogik und der Politik eine literarische Form. Oskar Kokoschka sah sich immer stärker im öffentlichen Bewußtsein als Alternative zu Picasso, zu der er sich auch selbst stilisiert hatte.
Am Ende seines Lebens, so auch das Resümee seines Biographen Rüdiger Görner, sah der Jahrhundertkünstler Kokoschka sein Österreich, das ihn so oft enttäuscht hatte, „als geistige Lebensform und als Kernsubstanz Europas, vor allem gegenüber dem Amerikanismus in der Kultur.“ Oskar Kokoschka, der Charmeur und Liebling seiner „Pupparln“, starb hochbetagt 1980 in Montreux.
 
Rüdiger Görner – „Oskar Kokoschka Jahrhundertkünstler“
© 2018 Paul Zsolnay Verlag GmbH., Wien, 352 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-552-05905-4
28,- €
 

Der Band Oskar Kokoschka / O Ewigkeit, du Donnerwort / 11 Lithographien und die Vorzeichnungen zur Kantate von Johann Sebastian Bach, © Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1984 sowie der Bild- und Textband Georg Brühl / Herwarth Walden und der „Sturm“, © 1983 by Edition Leipzig, sind nur noch antiquarisch erhältlich.