Beckfelds Briefe

An Hannes Wader

von Hermann Beckfeld

© 2018 Universal Records
Heute hier, morgen dort – und jetzt nie mehr auf der Bühne. Hannes Wader entschied sich, rechtzeitig Schluß zu machen – nach einem Leben auf der Bühne, als Liedermacher, Poet, Rebell; als einer, der uns immer etwas zu sagen hatte.
 
Lieber Hannes Wader,
„Schon so lang“ ist eines Ihrer ältesten Lieder, aber der Text ist aktueller denn je. Er treibt uns gerade die Tränen in die Augen, weil wir wissen, daß etwas endet, was wir noch nicht greifen können; daß Sie das Lied nach dem 30. November, nach Ihrem allerletzten Konzert in Berlin, nie wieder auf der Bühne singen werden: „Bin auf meinem Weg/Schon so lang/Zerschlagen und träg/Schon so lang/Bin müde und leer/Will nach Süden ans Meer/Bin auf meinem Weg/Ohne Wiederkehr/Schon so lang …“
Ich nehme Abschied vom Rebellen, Poeten, Liedermacher, Volkssänger, vom großen Hannes Wader, unserem schüchternen Tiefstapler; von einem, der es uns nie leicht gemacht hat und sich schon gar nicht. Der sich in seinem 75-jährigen Leben viel zu häufig selbst im Weg stand mit privatem Desaster, eigenen Dämlichkeiten und politischen Irrungen, mit Suff und Schulden.
Gingen wir mit dem Herzen Ihren Weg gemeinsam zurück, wo sollten wir verweilen? Beim kleinen Hannes aus Bielefeld-Bethel, dem Träumer und Daumenlutscher in der Volksschule, dem Sohn einer Putzfrau und eines Landarbeiters, der nach seiner Kriegsgefangenschaft mit dem Leben nicht klarkommt; der trinkt und seinen Jungen wegen einer Nichtigkeit schlägt? Oder bei Ihrer Zeit als Dekorateur in einem Schuhgeschäft, der von seinem Chef gefeuert wird wegen „Unfähigkeit, Streitsucht und Musizierens während der Arbeitszeit“?
Ach, besser wohl, wir beginnen 1966 beim Open-Air-Festival auf Burg Waldeck im Hunsrück. Da springen Sie so untypisch ungestüm auf die Bühne, was wohl mehr eine Flucht vor dem ewigen Lampenfieber war. Sie stehen, woran wir uns gewöhnen werden, stocksteif mit Ihrer Gitarre vor dem Mikroständer, singen Ihr damaliges Repertoire, ganze drei Lieder, singen diese noch einmal, weil 2000 junge Leute völlig ergriffen sind und nicht aufhören, Zugaben zu fordern. Und was machen Sie, der überforderte Selbstzweifler? Sie rennen in den Wald und werden von Heulkrämpfen geschüttelt. Dabei war es nach durchspielten, auch durchzechten Nächten in Studentenkneipen, nach spontanen Straßenauftritten der Durchbruch; es war der Start einer einzigartigen 50 Jahre lang dauernden Künstlerkarriere.
Vielleicht wurde Ihnen in diesem Moment bewußt, was auf Sie zukommen wird: ein Leben in der Öffentlichkeit, auf der Bühne, die Sie eigentlich gar nicht mögen. Zumal Sie, wie häufig betont, begonnen haben, Gitarre zu spielen, um Chancen bei den Mädels zu bekommen, „die immer durch mich durchgeguckt haben“. Und nun wurden Sie unser politischer Liedermacher, der bekannteste der Nation, hörten nie auf, gegen Krieg, Unrecht und Gewalt, für Frieden, Freiheit und Toleranz zu singen. Wir kauften Ihre Schallplatten, und Ihre Konzerte waren stille Auflehnung, voller Melancholie und Eindringlichkeit; die Texte, sie waren Protest und Anklage, Mutmacher und herzerwärmend, vielfach ehrlich autobiografisch. Es sind Lieder zum Mitsingen, kultig unsterblich, allen voran unsere leise Hymne: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muß ich fort, hab mich niemals deswegen beklagt ...“
Was bleibt? So viele Fragen, die nie beantwortet werden. So viele Themen, die überdiskutiert wurden. Ihre Zeit als Kommunist, Ihre Verhaftung direkt nach einem Auftritt in Essen, als Ihnen vorgeworfen wurde, daß Sie spontan Ihre Wohnung einer Kneipenbekanntschaft, die sich als Hella Utesch vorstellte, überlassen haben; es war die Terroristin Gudrun Ensslin. Dazu: so viele Neustarts, die Kraft kosteten.
 
Lieber Hannes Wader,
nur noch zehn Konzerte, allesamt ausverkauft, dann ist endgültig Schluß. Sie haben den Zeitpunkt selbst bestimmt, weil Sie fühlen, daß der Körper nicht mehr mitspielen will. Sie verlassen aufrecht die Bühne, und ich sage das, was ich schon so lang sagen wollte. Danke, Hannes!
(21.10.2017)    
 
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform 

Redaktion: Frank Becker