Blumensprache

von Victor Auburtin

Foto © zahner / pixelio.de

Blumensprache
 
Welch schönen Balkon die Frau Piontek sich angelegt hat!
Offengestanden: ich hatte ihr soviel Natursinn und Liebe für die Blumen eigentlich gar nicht zugetraut.
 
Vorn eine ganze Front von Geranien mit Kornblumen abwechselnd; als Dach oder Laube hochgezogen und gewölbt die seltenen Gloxinien; um die Kapuzinerkresse in der Ecke sind die Bienen und Hummeln beschäftigt; weißes Tausendschön an der richtigen Stelle; und die wilden, mädchenhaften Petunien, bei denen man immer an Italien denken muß.
Auch ein rotlackiertes Gießkännchen ist da mit einem Landschaftsbild drauf, das wildbewegte Meer darstellend nebst einem Schiff und einem Leuchtturm in der Ferne.
 
Wie gesagt, ich hätte ihr das alles gar nicht zugetraut. Sie zankt immer ihren Mann vor allen Leuten aus und hat eine sehr laute Stimme.
Aber man sollte die Menschen vielleicht nicht nach kleinen Äußerlichkeiten beurteilen. Wer einen solchen Blumenbalkon hat, der muß irgendwo im Herzen ein stilles Paradiesgärtchen mit herumtragen.
 
„Frau Piontek“, sagte ich, „weiß Gott. Sie haben den schönsten Balkon, den ich je in meinem Leben gesehen habe.“
 „Nicht wahr?“ schrie sie mit funkelnden Augen. „Die ganze Straße platzt vor Neid.“
 
Victor Auburtin