Ist der Ruf erst ruiniert…

Friedrike Hausmann - „Lucrezia Borgia - Glanz und Gewalt“

von Renate Wagner

Ist der Ruf erst ruiniert…
 
Lucrezia Borgia – Drama einer Nebenfigur
 
Ist der Ruf einmal ruiniert – dann kann das auch ein halbes Jahrtausend andauern. Die Papst-Tochter Lucrezia Borgia gilt noch immer als die ausgewiesene Femme fatale der Renaissance, zügellos, mörderisch, inzestuös. Da konnten sich schon Autoren zu ihrer Rechtfertigung die Finger wund schreiben, an diesem Bild hat sich noch nichts geändert.
Wenn nun Friederike Hausmann sich auf die Spuren dieser umstrittenen, verteufelten, verunglimpften oder auch vielleicht gerechterweise verachteten Frau setzt, so plant sie weder Schwarzmalerei noch Weißwäsche. Ihr geht es darum, die Quellen zu befragen, auch deren Ursachen festzustellen, letztendlich auch Lücken des Wissens einzugestehen, die sich aus der Distanz ergeben (schließlich lebte Lucrezia von 1480 bis 1519, starb also vor 500 Jahren). Über das, was man nicht weiß, kann man nachdenken – spekulativ im Sinne einer vorgefaßten Meinung zu urteilen, war zu oft der Fall. Kurz, die Autorin verspricht in ihrem Vorwort ein möglichst kritisch-ausgewogenes Bild, und das liefert sie auch. Daß man am Ende vieles doch nicht weiß …
 
Resümierend kann gleich zu Beginn gesagt werden: Lucrezia Borgia war einst eine Nebenfigur. Eine Tochter. Das Interesse konzentrierte sich auf sie, weil ihr berühmter Vater, Papst Alexander VI. Borgia, ein mächtiger und gefürchteter Mann war. Desgleichen ihr Bruder Cesare Borgia (mit dessen Leben der Vater auch nach Belieben „spielte“).
Die wichtigsten Kinder des aus Spanien stammenden Kardinals de Borja, der seinen Namen später italianisierte, stammten von seiner Geliebten Vanozza de’ Cattanei, die allerdings im Leben von Lucrezia keine große Rolle spielte. Sie wuchs im gefährlichen Rom des ausgehenden 15. Jahrhunderts auf, wo Seuchen und Brandkatastrophen, Intrigen und Morde an der Tagesordnung waren. Als Alexander 1492 Papst wurde, war Lucrezia gerade 12 Jahre alt, wurde mit ihren drei Brüdern in den Vatikan gebracht und war von da an, wie die Autorin es formuliert, „eine Geisel der Politik“.
Wie Frauen damals meist, wahrscheinlich fast immer, wurde sie ein Spielball der Männer und von deren Politik. Das damalige Bewußtsein der Mächtigen brauchte „Verwandtschaften“ – geschlossen durch Ehen, bekräftigt durch Nachkommenschaft, mit denen man neue Verbindungen knüpfen konnte.
 
Alle Ehen, die Lucrezia Borgia eingehen mußte, waren „verordnet“: 1493 mit dem um zehn Jahre älteren Giovanni Sforza, Graf von Pesaro, aus der großen Mailänder Fürstenfamilie (die Alexanders Papstwahl unterstützt hatte). Als er nicht mehr benötigt und durch Annullierung der Ehe eliminiert wurde (kein Problem für den Papst-Vater), trug er in seinem Haß viel zum bösen Ruf der Exgattin bei: Damals kam die Bezeichnung der „schlimmsten Hure Roms“ auf. Tatsache ist, daß niemand zu sagen vermag, wer jenes „infans romanus“ war, das 1498 zur Welt kam: Man machte daraus den Blutschande-Sohn Lucrezias mit ihrem Vater oder ihrem Bruder. Er hatte jedenfalls Borgia-Blut, denn der Papst kümmerte sich um ihn wie um alle seine Anverwandten.
Dann bestimmte der Papst Lucrezia zur Ehe mit Don Alfonso von Aragon, dem (unehelichen, aber das schadete nicht) Sohn des Königs von Neapel. Kurz nach der Geburt eines gemeinsamen Sohnes wurde Alfonso ermordet, vermutlich von Cesare Borgia. Morde waren damals an der Tagesordnung – man fragt nur nach den Motiven, die auch dieses Buch nicht schlüssig aufklären kann. Cesare wird auch als Mörder seines Bruders Juan genannt: Um den Lieblingssohn zu eliminieren und näher an den Vater zu rücken? Wer weiß es schon. Mögen die Historiker auch nachzählen, daß etwa die Giftmorde unter den Borgias nicht zahlreicher waren als unter den Vorgängern des Papstes – Alexander, Cesare und Lucrezia boten sich als Menschen an, denen man alles Schlimme zutraute und zuschrieb.
Die Ehe mit Alfonso d’Este von Ferrara, befohlen wie alle Eheschließungen, hielt dann bis zum Ende und brachte acht Kinder hervor, von denen vier überlebten. Die Geburt der letzten Tochter kostete Lucrezia 39jährig das Leben.
 
Wie viele Möglichkeiten hatte diese Papsttochter? Für ein selbst gestaltetes Leben inmitten einer zweifellos zügellosen Gesellschaft wenige. Wenn ihr Bruder eine berüchtigte „Party“ veranstaltete, bei der Kurtisanen nackt tanzten (der „Kastanienball“ 1501) und Lucrezia anwesend war, konnte man auch das auf die Liste ihrer „Verfehlungen“ schreiben.
Was weiß man konkret von ihr? Daß sie durch luxuriöse Kleidung ihren Rang bestätigen mußte (wohl auch wollte); daß sie zwischen von anderen gewählten Lebensräumen hin- und hergeschickt wurde, in einer Epoche, in der in Italien (mit lebhafter Anteilnahme von Frankreich und Spanien) gewaltige Machtverschiebungen und Kriege stattfanden, man sich zu stets neuen Bündnissen entschließen mußte und oft auch die falsche Wahl traf. Die Unübersichtlichkeit des politischen Geschehens ist in der Schilderung fast nicht zu bannen, und dabei haben wir den Rückblick und mehr oder minder die „Übersicht“. Wie mögen sich die Beteiligten in einer Welt steter Unruhe und Unsicherheit gefühlt haben?
Erst am Ende ihres Lebens fand Lucrezia – wenn sie auch in ihrer Schwägerin Isabella d’Este eine Rivalin an „Popularität“ im anderen Sinn hatte – zu etwas Ruhe, konnte, wie ihr distanzierter Gatte, die Künste fördern, aber auch (das ist ein erstaunlicher Punkt der Biographie) als tüchtige „Unternehmerin“ fungieren, die Land kaufte, Sümpfe trocken legen ließ, sich um Anbau von Getreide, Wein oder Oliven kümmerte, die Viehzucht für Fleisch, Käse und Wolle betrieb (und ihre Juwelen verpfändete, um dergleichen zu finanzieren)…
Sie konnten die „Ernte“ dieser Seite ihrer Persönlichkeit nicht mehr einbringen. Die Herzogin von Ferrara, der man auch nachsagte, sie sei fromm (ja „frömmlerisch“) geworden, hat mit all ihren Qualitäten nie „die schlimmste Hure Roms“ auslöschen können… Was nützt es, daß eine ihrer Töchter eine berühmte Äbtissin, Musikerin und Komponistin wurde? Immerhin sind es die vielen, vielen Schichten und Seiten einer Persönlichkeit, die dieses Buch aufzublättern vermag.
 
Friedrike Hausmann - „Lucrezia Borgia - Glanz und Gewalt“
Eine Biographie
© 2019 Verlag C.H. Beck, 320 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 20 Abbildungen, 3 Karten – ISBN: 978-3-406-73326-0
24,95 €
Weitere Informationen: www.chbeck.de