Ein Solitär im Klavier-Festival Ruhr

Hanni Liang mit Klavierminiaturen aus drei Jahrhunderten

von Johannes Vesper

Hanni Liang - Foto © Peter Wieler

Ein Solitär im Klavier-Festival Ruhr
 
Hanni Liang mit Klavierminiaturen aus drei Jahrhunderten
 
Von Johannes Vesper
 
In der Rentei des herrlichen Wasserschlosses Gartrop im westlichen Münsterland, welches im 17. Jahrhundert erbaut wurde, erzählte die Pianistin dem Publikum zunächst von sich, daß sie in Bielefeld geboren sei, daß ihre Eltern Chinesen seien, erzählte von den kleinen Momenten, die das Leben ausmachen. Außerdem wolle sie nicht, wie angekündigt, mit Schubert beginnen, sondern mit den Erinnerungen des Komponisten Tan Dun, der 1957 in der chinesischen Provinz Hunan geboren worden ist. Aus Heimweh komponierte er sein Op. 1: Eight Memories in Watercolor, als er zum Musikstudium ins ferne Peking zog. Immer wieder Sekundintervalle, fallende Sechzehnteltropfen, Stille im Wechsel mit zarten ppp-Episoden und vollgriffigen Akkorden, motorisch treibendes Scherzando, Vogelstimmen in chinesischen Gärten und Parks erinnern gelegentlich an anderes, z.B. an die „Blätter und Blüten“ Max Regers. Sein Opus 1 erinnert vielleicht an die Musik seiner Jugend, als er während der Kulturrevolution auf den Reisfeldern in der chinesischen Provinz arbeiten mußte. Die Stücke hat Lang Lang schon vor Jahren in der Carnegie Hall gespielt. Mit Filmmusik wurde der Komponist bekannt, lebte in New York, komponierte Opern, und eine Water Passion after St. Matthew zum 250. Todestag J.S. Bachs (Uraufführung in Stuttgart). Er dirigierte die großen Orchester der Welt (u.a. Berliner, Münchener und New Yorker Philharmoniker). Vom Charakter her passen seine Miniaturen aber jedenfalls auch sehr gut in die Parklandschaft des ländlichen Westfalen.
 
Zur Einstimmung auf die folgenden Moments Musicaux D780 Schuberts zitierte Hanni Liang R.M. Rilke, der in einem Brief empfahl, in sich hinein zu hören, um Leben, Lieben und Erleben wirklich zu erfahren. Diese Empfehlung vorausnehmend, horchte Franz Schubert in seinen Liedern ohne Worte für Klavier, in der kleinen Form, in diesen seligen, melancholischen oder auch indifferenten Momenten in sich hinein, als er diese musikalischen, vielleicht persönlichsten dem Klavier anvertrauten Augenblicke in seinem Todesjahr 1828 publizierte. Die Stücke leben vom musikalischen Gehalt, weniger von technischen Herausforderungen, mit denen sich Schubert zurückgehalten hatte, hoffte er doch sehnlichst mal auf einen erfolgreichen Verkauf. Hornruf und Kuckucksterzen im Moderato zu Beginn führen zu pastoraler Stimmung, die sich fortsetzte, als die Drossel draußen mit einstimmte. „Schubert hat Töne für die feinsten Empfindungen, Gedanken, ja Begebenheiten und Lebenszustände", meinte Robert Schumann, und Hanni Liang deutete mit Sentiment und Kraft differenziert und fein diese Empfindungen aus. Nachzutragen bleibt, daß Franz Schubert mit diesen kurzen Stücken der Klavierminiatur eine Entwicklung der Klaviermusik anstieß, die über Schumann, Mendelssohn, Reger, Debussy, Bartok und andere bis in die Moderne reicht.


Hanni Liang - Foto © Peter Wieler

Nach der Pause brillierte die Pianistin mit vier Sonaten von Domenico Scarlatti aus dem 18. Jahrhundert. Die Lebensumstände und Kompositionen dieses barocken Komponisten (*1685 in Neapel, †1757 Madrid) spiegeln wie die von Tan Dun (s.o.) die Universalität der Musik. In den Zentren der damaligen musikalischen Welt schrieb Sacarlatti seine 555 meist einsätzigen Sonaten, die wohl vor allem als Klavierschule für seine hochbegabte Schülerin Maria Barbara dienten, der späteren Königin von Spanien. Mit staunenswerter Akkuratesse und Brillanz sprangen die Hände der Pianistin geschwind in Oktav- und Riesensprüngen über die Klaviatur. Ursprünglich für das Cembalo geschrieben, entfalten die Scarlatti-Sonaten aber auch auf dem modernen Flügel ihre frappierende Wirkung. Die Reihenfolge der an diesem Abend gespielten Sonaten Allegro-Adagio-Menuett und Presto ergab fast schon eine Klaviersonate der Klassik.  
 
Mit den Fantasiestücken op. 12 Robert Schumanns (*1810, †1856) von 1837 entführte Hanni Liang ihr Publikum tief in das Reich der märchenhaften, spukhaften, tragischen Psyche dieses Romantikers. Ungefähr zeitgleich zu diesen Kompositionen offenbarte er Clara die „dunkle Seite seines Lebens“, die ihn seit einigen Jahren „niederdrückende Melancholie“. In diesen Fantasiestücken - musikalisches Analogon zu E.T.A. Hoffmanns „Fantasiestücken in Callots Manier“ - weisen schon die Spielanweisungen und Überschriften auf Stimmungen des schwierigen und verschlossenen 27jährigen Robert hin, der nur mit Wein, Champagner, Bier und Zigarren zu einer gewissen Geselligkeit fand. - Des Abends. Sehr innig zu spielen -. Aufschwung. Sehr rasch -Warum? Langsam und zart- Grillen. Mit Humor. - Traumes Wirren. Äußerst lebhaft-. usw.. Hanna Liang schien bei diesen schweren, phantastischen und anspruchsvollen musikalischen Episoden in ihrem Element. Mit ungeheurem Temperament und mit makelloser Technik ritt sie, auf dem Klavierhocker kaum zu halten, leidenschaftlich durch diese furiose Musik, wenn sie nicht mit tiefstem lyrischem Ausdruck und höchster Konzentration der deprimierten, verlorenen Welt Roberts nachspürte. Diese Klavierstücke weisen durchaus autobiographische Züge auf. Zur 5. Fantasie schrieb er seiner geliebten Clara von der unglücklichen Liebe zwischen Hero und Leander, der zuletzt im Meer ertrank. Dieses Schicksal blieb Robert erspart. Er wurde später in Düsseldorf aus dem Rhein gerettet und konnte erstmal nach allen Schwierigkeiten seiner eigenen Beziehung, nach der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Vater Wieck darüber seine Clara 1840 noch heirateten. Zum „Ende vom Lied“, so heißt das letzte der Fantasiestücke, schreibt er „guten Humor vor“ vor. Humorvoll erscheint diese Musik wie seine Biografie überhaupt nicht. Er litt zuletzt an Schizophrenie und starb in Endenich bei Bonn an einer vaskulären Demenz. Das Publikum war entzückt und begeistert vom Abend, von der Musik, von der wunderbaren Hanni Liang, die noch zwei Zugaben geben mußte. Mit Roberts „Träumerei“ im Ohr verließen die Klavierfreunde das herrliche Schloß und suchten in der Dunkelheit beim Klang schreiender Pfaue den Weg durch den nächtlichen Park zu ihren Autos.


Schloß Hünxe - Foto © Johannes Vesper

Das Konzert wurde aufgezeichnet und wird am 26. Juni 2019 in der Reihe „WDR3 Konzert“ gesendet werden. Beunruhigende Zeitungsmeldung am Tage nach dem Konzert: Polizei-Razzia in Hünxe wegen der Irak-Mafia.