Bollywood-Arabien auf Kindergarten-Niveau - aber unterhaltsam

„Aladdin“ von Guy Ritchie

von Renate Wagner

Aladdin
(USA 2019)

Regie: Guy Ritchie
Mit: Will Smith, Mena Massoud, Naomi Scott, Marwan Kenzari u.a.

Nennen wir es altmodisch, nennen wir es „retro“, nennen wir es zeitlos – dieser „Aladdin“-Film der Disney-Studios ist wie aus der Zeit gefallen. Diese Realversion des Zeichentrick-Klassikers von 1992 kann zwar alles, was die Digitalisierung mit sich bringt, aber verrät sonst in keiner Sekunde sein 21. Jahrhundert. Regisseur Guy Ritchie, der schon hintergründiger mit Zeitebenen gespielt hat (man denke nur an seine „Sherlock Holmes“-Version) wollte diesmal nur den märchenhaften „1001 Nacht“-Orient beschwören, als käme gleich Douglas Fairbanks um die Ecke… (Seine Hiebe mußte er dafür prompt einstecken.)
 
Die alte Geschichte also vom fröhlichen Dieb mit dem hilfreichen Äffchen, der durch die Gassen eines prächtig ins Studio gestellten (und teils wohl auch animierten) Agrabah (so fiktiv wie alles andere!) streicht und unvermeidlich auf das schönste Mädchen im Lande trifft, das gerade zwei Brote stiehlt, um armen Kindern etwas zu essen zu verschaffen.
Die gemeinsame Flucht der beiden schmiedet sie zusammen, außerdem hält Aladdin sie natürlich für die Dienerin der Prinzessin, während wir doch längst wissen, daß ein so schönes, kluges, selbstbewußtes Mädchen (ja, da spielt unserer Zeit ein bißchen herein) nur die Prinzessin selbst sein kann. Um es gleich zu sagen: Schöner und stimmiger als mit dem ägyptisch-stämmigen Mena Massoud und der hinreißend lebendigen halb-indischen Naomi Scott hätte man die beiden nicht besetzen können.
Jede Geschichte braucht ihren Bösewicht, wen bekämpft man denn sonst? Hier ist es der ehrgeizige Wesir Dschafar (tunesisch-niederländisch, dämonisch und doch ein Quentchen lustig: Marwan Kenzari), der um jeden Preis den guten Sultan (Navid Negahban, iranische Wurzeln) entthronen will. Dazu braucht er die bekannte Lampe, die den allmächtigen Geist, den Dschinni, enthält (einst im US-Fernsehen zu „Bezaubernde Jeannie” verkommen…), aber weil er sich selbst nicht in die gefährliche Höhle wagt, schickt er Aladdin. Der nicht nur die Lampe findet, sondern auch einen fliegenden Teppich, der sich im weiteren Verlauf der Handlung als überaus nützlich erweisen wird.
 
Auftritt Will Smith als riesiger blauer Flaschengeist ohne Unterleib und mit einer exzessiven Blödelkomik, die einem als Erwachsener nur auf die Nerven gehen kann. Aber den Kindern gefällt es zweifellos, denn der ganze Film rutscht spätestens da ab und appelliert nur noch an die allerschlichtesten Gemüter. Technisch hingegen wird allerlei geleistet. Und Smith darf im Lauf der Handlung noch in unzähligen Kostümen und Verkleidungen erscheinen.
Auch merkt man nun stark den Musical-Charakter – Alan Menken hat für viele Disney-Filme die gleichmäßig schlichte Musik geschrieben (die es dann doch oft auf die Bühnen geschafft hat, weil der Ausstattungs-Aufwand es rechtfertigte) – hier hat (nach einer öden „Arie“ des Helden u.a.) Dschinni in zahllosen Verkleidungen singen, tanzend, purzelbaumend, den Super-Auftritt. Und wenn wenig später der als Prinz verkleidete Aladdin (denn die Prinzessin darf ja nur einen Prinzen heiraten!) dann in seine Heimatstadt einzieht, dann weiß man, wer hier wirklich Pate stand: Bollywood mit seinen überbordenden Gesangs- und Tanz-Shows (etwas davon gibt es auch im Nachspann, also nicht zu früh weggehen!).
Wenn der falsche Prinz um die Prinzessin wirbt und Dschinni sich in Menschengestalt um deren Dienerin bemüht (Nasim Pedrad, iranischer Herkunft), könnte es allein komisch weitergehen, aber glücklicherweise agiert der Bösewicht heftig, das hält die Handlung in Schwung, bis sie ihre mehr als zwei Stunden Spielzeit einigermaßen kurzweilig abgedient hat. Zum zeigeistig heutigen Happyend zählt auch, daß die Tochter Sultanin werden darf (wer hätte das früher für möglich gehalten) und sich den geliebten Mann von der Straße holt.
Nachdem die „Rassismus“-Kommissionen in den amerikanischen und britischen Zeitungen wahre Medien-Schlachten gefochten haben, wenn ungerechtfertigt WASP-Darsteller in Filmen auftauchten (so daß im Gegenzug dann Afroamerikaner am Hof von Elizabeth I. zu finden waren – zumindest im Kino), hat Disney die Lektion gelernt. Hier kann gerade die Nebenrolle eines skandinavischen Prinzen von einem „weißen“ Darsteller gespielt werden, die Haupthelden können mit ägyptischen, indischen, tunesischen, iranischen u.a. Vorfahren aufwarten und müssen nicht auf „exotisch“ geschminkt werden, sie sind es (und in den denkbar schönsten und reizvollsten Variationen).
 
Und was hat den Filmemachern die Sorgfalt genützt? Die Attacken haben längst begonnen und monieren, daß ein Film in einer idealisierten arabischen Welt spielt, „a region that has been both vilified and bombed to ruin by the US in recent years“, wie der Guardian zetert. Man schaffe ein Phantasie-Arabien, das so gut wie nichts mit dem Islam und dem aktuellen Verhältnissen heute zu tun habe. Ja – und? Ein Märchen von vor tausenden von Jahren? Darf nicht mehr sein in unserer Welt. Offenbar nicht. Unhinterfragt? Kommt heutzutage nicht in Frage. Das politische Bewußtsein kriecht durch jede noch so winzige Spalte, die es finden kann.
Zusammenfassend: Angesichts des geistigen Niveaus, der Präsentation und des Humors des Films ist man sich nicht sicher, ob er auf Volksschul- oder Kindergarten-Kinder abzielt. Die „Musical“-Musik klingt leider nur unterdurchschnittlich ins Ohr. Ausstattung, Action, Bollywood-Szenen hingegen sind prächtig, und die Besetzung so treffend, daß man getrost für zwei Stunden aus der grauen Welt des Alltags in die Buntheit von „1001 Nacht“ fliehen kann… wenn man denn Bedürfnis danach verspürt.
 
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Renate Wagner