Einzelhaft in China war für Ai Weiwei „eine religiöse Erfahrung“

Größte Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers und Dissidenten in Düsseldorf

von Andreas Rehnolt

© Ai Weiwei Studios

Einzelhaft in China war für Ai Weiwei „eine religiöse Erfahrung“
 
Größte Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers und Dissidenten
wurde am Freitag in beiden großen Häusern der Kunstsammlung NRW eröffnet.
Ai Weiwei selbst sieht seine monumentalen Werke erstmals zusammen ausgestellt.
 
Düsseldorf - Die 81tägige Einzelhaft des cinersischen Künstlers und Dissidenten Ai Weiwei im Jahr 2011 in seinem Heimatland war für ihn auch „eine religiöse Erfahrung“. Dies sagte der 61jährige bei der Präsentation seiner bislang größten Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Er habe die Haftbedingungen in seinem sechsteiligen großen Werk „S.A.C.R.E.D.“ verarbeitet, das im K21 in der bis zum 1. September terminierten Schau in beiden Häusern der Kunstsammlung zu sehen ist.
 
Als seine Mutter ihn damals nach der Haftentlassung fragte, was in den 81 Tagen passiert sei, habe er sich entschlossen, „die Situation zu zeigen, sonst kann das keiner verstehen, was dort mit einem geschieht“, sagte der Künstler, der seit Jahrzehnten für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst streitet. Er baute insgesamt - wie eine Art persönlicher Kreuzweg - sechs Stationen des Einzelhaft-Alltags nach.
Der Gang zur Toilette, das Waschen, das Essen, das Schlafen, das Verhör und der Gang durch die Zelle stets aufs engste begleitet von zwei uniformierten Bewachern. All dies kann der Besucher in den Nachbildungen der Zelle durch kleine Sehschlitze in den Eisen-Zellen sehen.
 
Im Mittelpunkt der Schau steht die enge Verzahnung von politischem Engagement und künstlerischer Arbeit des Künstlers. Ebenfalls im imposanten Ausstellungsgebäude des früheren Ständehauses in der NRW-Landeshauptstadt: riesige Installationen zur Situation von Flüchtlingen. Da ist etwa die 17 Meter lange Skulptur eines mit 110 Flüchtlingen dicht besetzten Schlauchboots, die aus Bambus und Sisalgras gefertigt wurde und den Titel „Life Cycle“ (Kreislauf des Lebens) trägt und erstmals in Europa zu sehen ist.
Die Köpfe einiger Personen sind chinesischen Tierkreiszeichen nachgebaut und symbolisieren laut Ai Weiwei den „Kreislauf des Werdens und Vergehens.“ Das Schlauchboot wirkt zudem wie eine Art Totenschiff und erinnern laut Kuratoren an die Odyssee. Mehrere Texte hat Ai Weiwei dem Werk beigestellt. Da heißt es unter Verweis auf den Bibelvers Hebräer 13/2: „Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!“


Life Cycle © Ai Weiwei Studios

Beeindruckend und verstörend auch die gewaltige Installation „Waschsalon“, die aus 40 Kleiderständern mit gut 2.000 verschiedenen Kleidungsstücken besteht, die Ai Weiwei nach der Räumung des Flüchtlingslagers „Idomeni“ in Griechenland eingesammelt hat. Die zumeist verdreckten und oft zerrissenen Jacken, Hosen, Babystrampler, Kleider und Blusen hat der Aktionskünstler waschen und ausbessern lassen.
Nun also hängen sie im K21 und geben sauber und geflickt so „den Menschen, die sie beim Beginn ihrer Flucht genau so getragen haben, auch ein Stück ihrer Würde zurück“, betonte der Künstler. Getreu seinem Credo „Everything is art. Everything is politics“ (Alles ist Kunst, alles ist Politik), hat Ai Weiwei gemeinsam mit der Direktorin der Kunstsammlung NRW, Susanne Gaensheimer und zwei weiteren Kuratoren die Schau über etwa zwei Jahre hinweg geplant. „Es ist die umfassendste Schau meiner Arbeiten, die jemals gezeigt wurde“, so der Künstler am Donnerstag.
 
„Einige meiner riesigen, raumfüllenden Installationen sehe ich hier erstmals als Ganzes und zusammen ausgestellt. Ich habe das bislang für undenkbar gehalten, daß man sie - wegen ihrer Größe - zusammen zeigen kann“, sagte der Künstler, der seit einigen Jahren in Berlin lebt und arbeitet. Im Ausstellungsgebäude K20 am Rande der Düsseldorfer Altstadt werden die zwei wirklich gigantischsten Arbeiten von Ai Weiwei präsentiert.
Zu sehen sind erstmals sämtliche Stahlstreben, die Ai Weiwei nach dem verheerenden Erdbeben am 12. Mai 2008 im chinesischen Sichuan aus den zusammengestürzten Schulen geholt hat. Viele tausend Schulkinder waren damals ums Leben gekommen, weil zahlreiche Schulgebäude aufgrund von Korruption und Pfusch am Bau zusammenfielen, weil sie nicht erdbebensicher waren. In Düsseldorf sind auch die Namen aller ums Leben gekommenen Schulkinder dokumentiert.
Auch dieses Werk - immerhin 164 Tonnen Armierungseisen - war noch nie zuvor in Europa zu sehen. Auf insgesamt 650 Quadratmetern breitet sich im K20 zudem die gewaltige Installation „Sunflower-Seeds“ aus. Sie besteht aus sage und schreibe 100 Millionen handgefertigter und individuell bemalter Sonnenblumenkerne aus Porzellan und ist erstmals seit ihrer ersten Präsentation 2010 wieder vollständig zu sehen.


Straight 3 © Ai Weiwei Studios

Auch frühe, teils noch nie gezeigte Bilder von Aktionen des Künstlers seit den 1980er Jahren sind ausgestellt. Mit seinen regimekritischen Äußerungen gegenüber der Regierung in China und als lange verfolgter Dissident wird der 1957 in Beijing als Sohn des Dichters Al Qing geborene Ai Weiwei zumeist als politischer Kunst-Aktivist wahrgenommen. Er selbst verbrachte seine Kindheit und Jugend mit der Familie in der Verbannung in einem nordchinesischen Arbeitslager. „Seine Kunst hängt eng mit seiner Biografie zusammen“, so Museumsdirektorin Gaensheimer.
 

Sunflower Seeds © Ai Weiwei Studios

Die Ausstellung ist dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Ein Shuttle bringt die Besucher jeweils vom einen zum anderen Ausstellungsgebäude. 
 
Kunstsammlung NRW/K20 - Grabbeplatz 5 - 40213 Düsseldorf
K21: Ständehausstr. 1 - 40217 Düsseldorf - Tel: 0211 - 8381204
 
Weitere Informationen: www.kunstsammlung.de/