Menschlich, liebenswert - ohne in die Kitschkiste zu greifen

„Zwischen den Zeilen“ von Olivier Assayas

von Renate Wagner

Zwischen den Zeilen
(Doubles vies - Frankreich 2018)

Drehbuch und Regie: Olivier Assayas
Mit: Juliette Binoche, Guillaume Canet, Vincent Macaigne, Nora Hamzawi u.a.
 
Frankreichs Filmreputation, durch viele billige, klischeehafte Lustspiele nachdrücklich beschädigt, kann wieder aufatmen: „Zwischen den Zeilen“ („Doubles vies“ – zu Deutsch: Doppelte Leben) von Regisseur Olivier Assayas kombiniert Probleme unserer Zeit mit Menschen unserer Zeit, und daß die Geschichte unter Intellektuellen spielt und wohl nur diese berühren wird, darf man dem Regisseur nicht vorwerfen: Auch Minoritäten haben ihre Rechte…
Es spielt zwischen Autoren, Verlegern, Schauspielern, Pressesprechern… und für alle ist die neue Welt des Internets nicht nur selbstverständlich präsent, sondern auch drückend. Wo bleiben noch die Bücher, fragt der Verleger, wenn es ein Smartphone gibt, wer hat noch das Bedürfnis, ein gedrucktes Buch in der Hand zu halten und ihm viele Stunden seines Lebens zu widmen, wenn die schnellen Nachrichten auf Facebook, Instagram, Twitter das Interesse okkupieren und die Zeit auffressen?
 
Der Verleger Alain (Guillaume Canet) ist alt genug, um sich von der Welt, in der er aufgewachsen ist, nicht trennen zu wollen. Er weiß aber, was die „neue Zeit“ verlangt und engagiert mit der jungen Laure (Christa Théret) eine Fachfrau für e-book (wie lange wird es das noch geben, bevor es überholt ist) und digitale Werbung.
Léonard (Vincent Macaigne) ist ein „altmodischer“ Schriftsteller, er kann in dicken Romanen nur immer wieder seine eigenen Erlebnisse verwerten (was im Freundeskreis dann peinlich ausfallen vermag, wenn so und so viele Damen auf Anhieb zu erkennen sind) – aber wer will das noch lesen? Ein Einwand, auf den er nur humorlos-verbittert-verbohrt reagieren kann. Seine Gattin Valérie (Nora Hamzawi) hat genug Sorgen mit dem Politiker, den sie betreut und der wirklich nicht vom Weg abweichen darf, wenn er gewählt werden will. Dem Gatten und seinen Sorgen begegnet sie mit erschütternder Kaltschnäuzigkeit, wo man doch laut weiblichem Rollenbild bitte etwas Empathie erwarten würde.
Und da ist noch Selena (Juliette Binoche), die Schauspielerin, Alains Frau, die in einer dummen Serie eine Polizistin spielt (und immer wieder mit den üblichen dummen Fragen darauf angesprochen wird) und demnächst als Phèdre auf der Bühne stehen wird. Was sicher weder für die Popularität noch die Reputation gut ist.
So viel zu den Figuren, die natürlich ununterbrochen ihre beruflichen Probleme umkreisen, die in unserer sich so rasend verändernden Welt auf wackligem Boden stehen. Argumente werden präsentiert, gedreht und gewendet, diskutiert – alles, was den Zuschauer (sofern er darüber nachdenken will) auch beschäftigt, findet sich hier formuliert. Auf intelligentem Niveau, aber weder allzu theoretisch noch allzu trocken. Wie Menschen eben miteinander sprechen. Locker, auch witzig, besorgt und ratlos.
 
Und man sieht auch was passieren kann, wenn ein Autor bei einer Radio-Live-Diskussion hart hergenommen wird, mit echten und falschen Behauptungen… ja, so ist es. Hauptsache Wirbel. Hauptsache Medienpräsenz. Hauptsache Aufschrei in den sozialen Medien. Bloß – das hat auch Folgen. (Dabei ist hier besonders komisch – der Kinobesucher weiß es, die Leute vom Radio nicht – , daß der Autor nur angeben wollte, als er einen Blowjob im Kino während Hanekes „Das weiße Band“ spielen ließ – dabei haben sie doch „Star Wars“ gesehen… aber das wäre nicht so intellektuell rüber gekommen…)
Wir haben es mit Menschen zu tun – daß der Verleger mit der wunderbar „glatten“, heutigen, coolen Assistentin schläft (keiner von beiden läßt es sich letztendlich unter die Haut gehen), daß die Schauspielerin (muß man sagen, wie wundervoll Juliette Binoche ist, die trotz ihres realen Alters so wunderbar jugendlich wirkt?) ein langjähriges Verhältnis mit dem (gar nicht sonderlich attraktiven) Schriftsteller hat, und daß die Schriftstellergattin dann auch wieder nicht ganz so ungerührt ist, wie es den Anschein hat… und daß alle befreundet sind, macht dergleichen nicht leichter.
Das mixt der Regisseur realitätsbezogener als sonst (seine beiden letzten Filme, „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) mit der Binoche wie „Personal Shopper“ (2016) mit Kristen Stewart waren viel abgehobener), gewissermaßen auch menschlicher, liebenswerter. Ganz ohne in die Kitschkiste zu greifen wie so viele seiner französischen Kollegen.
Und das Problem Buch – e-book? Oder überhaupt „lesen“? Wer will da Voraussagen treffen? Time will tell.
 
 
Renate Wagner