Deutsch, stark, herb, innig und opportunistisch
Emil Nolde: Legende eines Künstlerlebens
Von Johannes Vesper
Emil Nolde, geb. 1867 als Sohn eines Bauern nahe der deutsch-dänischen Grenze, starb 1956 ebendort in Seebüll. Mit seinem Werk leistete er den vielleicht wichtigsten deutschen Beitrag zum Expressionismus und zur modernen Kunst. Mit ihm wurden in der Nachkriegszeit die Greuel des nationalsozialistischen Deutschland verdrängt, galt er doch als ein von den Nazis unterdrückter und verfemter Künstler. Immerhin war er auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 zu sehen, wurde1941 aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen und erhielt „Berufsverbot“.
„Als er erkannte, daß die Verfolgung, die ihm zuteil wurde, nur ein winziger Teil der Terrormaschinerie war, die sich gegen das Ganze des freien Geistes und gegen die Würde des Menschen richtete, wandte er sich von den Nazis ab“, schrieb Werner Haftmann 1963. Spätestens damit galt Nolde als Verfolgter des Nazi-Regimes und versuchte auch tatsächlich als solcher in der jungen Bundesrepublik anerkannt zu werden. Nach Kriegsende wollte er, wie so viele unserer Volksgenossen, von seiner Begeisterung für Volk, Führer und Nazis nichts mehr wissen
Dabei entpuppte er sich schon 1911 als „glühender Nationalist und widerlicher Antisemit“. Damals hatte als Vertreter einer jungen deutschen Kunst den französisch orientierten Altmeister Max Liebermann angegriffen, sowie Corinth, Pechstein u.a. als „Malerjuden“ bezeichnete und deshalb die Berliner Sezession verlassen müssen. Seinem Erfolg tat diese Affäre keinen Abbruch. Ludwig Justi, der Direktor der Berliner Nationalgalerie, hielt 1928 Emil Nolde für den wichtigsten Künstler Deutschland und gab ihm einen eigenen Saal in der Ausstellung „Neuere deutsche Kunst aus Berliner Privatbesitz.“
Andererseits kämpfte der renommierte Paul Schultze-Naumburg in deutschlandweiten Diavorträgen um die deutsche Kunst, sprach von „Exkrementen krankhaft abwegigen Untermenschentums“ im Zusammenhang mit Noldes „Verlorenem Paradies“. Aber nichtsdestotrotz wehte zum Kriegsanfang die Hakenkreuzfahne über Noldes Domizil in Niebüll, der fürchtete, daß „wenn Deutschland und die hellblonden Völker vergehen … über die Gräber der Helden hinweg die Gelben, die Braunen und die Schwarzen marschieren“. Nolde hatte sehr darunter gelitten, daß er, „deutsch, stark, herb und innig“ in seiner Kunst von den Nazis nicht als wahrhaft deutscher Künstler anerkannt wurde. Sein Entjudungsplan von 1933 wurde zwar in der Berliner Kultusbürokratie diskutiert und sollte sogar Hitler vorgelegt werden, der allerdings von Nolde überhaupt nichts hielt. Er schimpfte im Dezember 1933 auf die Museumsdirektoren Deutschlands und deren Ankaufspolitik. Seine Äußerungen sind überliefert: „Nolde das Schwein. .. . Was er malt, sind doch immer Misthaufen.“ Dabei wurde Nolde 1932 in der Zeitschrift „Der Stahlhelm“ zusammen mit Rembrandt, van Gogh und Munch als nordischer Künstler, als Vertreter „erdbefreundeter“, revolutionärer, deutscher Kunst verstanden. Auch Werner Haftmann (s.o.) hielt deutsche moderne Kunst durchaus für mit Nazi-Kunst vereinbar. Oskar Schlemmer hatte schon früher als „stählerner Romantiker“ des Bauhauses versucht, von Goebbels positive Aufmerksamkeit zu bekommen. Vergeblich. Und das, wie er selbst glaubte, immer „verkannte künstlerische Genie“ Nolde, diente sich 1938 als „deutschester, germanischer, treuester Künstler“ mit einem 6-seitigen Dokument den Nazis an, verwies auf seinen jahrzehntelangen „Kampf gegen Überfremdung und die Juden“, gegen die „unsauberen jüdischen „Kunsthändlerbande“. Trotz seines also nachgewiesenen Deutschtums werde er nicht als wahrhaft deutscher Künstler, als Staatskünstler anerkannt. Immerhin wurde ihm daraufhin bescheinigt, daß er PG (Parteigenosse, seit 1934) und kein Jude sei. Seine Bilder wurden aus der Ausstellung „Entartete Kunst“ entfernt und er bekam sie teilweise sogar zurück. Künstlerisch hatte er sich mit den Nazis nicht angebiedert, sieht man davon ab, daß er nach 1933 biblische Themen nicht mehr, dafür später aber nordische Wikinger, z.B. den Schlagetot „Gaut der Rote“ gemalt hat.
Er verkaufte seine Werke gut und sehr erfolgreich während des Nazi-Regimes. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ hatte jedenfalls seinen Bekanntheitsgrad in Deutschland gesteigert. Die Ausstellung wurde von mehr Besuchern gesehen als die offizielle Deutsche Kunstausstellung. Schon bei der Vorbereitung der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden seine Werke am häufigsten beschlagnahmt, weil sie eben häufiger als viele andere auf dem Markt waren. Und im Jahre 1940 verkaufte der „berüchtigte Kunstbolschewist“ so viel wie nie (80.000 Reichsmark). - Das widersprach der Kunstpolitik des Führers und benachteiligte NS-Künstler. So schloß man ihn aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersagte ihm wenige Monate später Absatz, Verbreitung und Vervielfältigung seiner Erzeugnisse. Nolde reagierte auf dieses „Mal- oder Berufsverbot“ mit kleinen „heimlich gemalten“ Aquarellen, in denen „er sich treu bleiben“ und die er eines Tages als richtig große Werke aufleben lassen wollte. Er sprach von „ungemalten Bildern“, mit denen er in die innere Emigration gegangen sei. Später berichtet er noch über einen Besuch der Gestapo zur Kontrolle und Durchsetzung des „Malverbots“. Tatsächlich ergab sich aber aus den Akten, daß nur ein einziger Besuch stattgefunden hat und zwar bereits vor dem Berufsverbot und daß der Gestapobeamte seine Bilder besonders geschätzt hat. Stalingrad und die Bombardierung der deutschen Städte brachten seinen Glauben an Hitler und den Endsieg nicht ins Wanken. Kriegsschiffe und brennende Burgen blieben für ihn als Themen interessant.
Gleich nach Hitlers Tod aber orientierte er sich um und distanziert sich vom Nazi-Regime und vernichtete den Großteil der Dokumente, aus denen auf seine gedankliche Nähe zur Nazi-Ideologie und Antisemitismus hätte geschlossen werden können. Und er mußte befürchten, daß seine Denunziation von Max Pechstein bekannt werden würde. Mit den Begriffen „ungemalte Bilder“ und „Malverbot“ in Briefen und eigenen Publikationen pflegte „Nazi-Emil“, wie er auch genannt wurde, das Bild von sich, seine in der neuen Bundesrepublik opportune Distanz zum „3. Reich“. Schon immer hatte er versucht, sein Bild in der Öffentlichkeit zu beeinflussen. So hatte er auch 1930 bei der Herstellung der Büste von Gustav H. Wolff dem Künstler klargemacht, wie er aussehen wollte. Er fürchtete nach 1945, seine Charakterisierung als Antisemit, Rassist und Anhänger des Nationalsozialismus würde sein Werk beschädigen. Auch Walter Jens, Parteigenosse in der NSDAP, wie sich später herausstellte, glaubte 1967 in seiner Rede zum 100. Geburtstags Noldes, den allzu rassistischen, nazistischen und antisemitischen Emil Nolde unter Hinweis auf dessen ungemalte Bilder als Widerständler retten zu können. Bei der Beerdigung Noldes 1957 in seinem Luftschutzbunker in Seebüll galt „sein Werk als Aufruf zu persönlicher Wahrhaftigkeit“. Und Siegfried Lenz, auch Mitglied der NSDAP, überhöhte Nolde literarisch zusätzlich mit seinem Bestseller „Deutschstunde“. Nach 75 Jahren Deutschem Reich und 12 Jahren Nationalsozialismus wollte man Emil Nolde so aus dem deutschen Sumpf ziehen.
Noldes „harte Arbeit an der eigenen Künstlerlegende als Bestandteil seiner künstlerischen Identität“ offenzulegen, war das Ziel, welches Bernhard Fulda, Christian Ring und Aya Soika bei der Herausgabe des Essay- und Bildbandes mit hervorragenden Abbildungen anläßlich der Ausstellung „Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ verfolgten. Der umfangreiche und informative Band mit kritischen Essays der Herausgeber und weiterer Autoren zu den unterschiedlichsten Aspekten Noldes, seines Werkes und seiner Rezeption ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit der Stiftung Seebüll - Ada und Emil Nolde mit den Staatlichen Museen Berlin. Dazu wird umfangreiches Material (historische Fotos, Aktenfaksimile) präsentiert. Das gemeinsame „Forschungsprojekt Nolde und der Nationalsozialismus“ zwischen beiden Institutionen führte jetzt zu dieser umfassenden und vielschichtigen Darstellung. Dafür standen die Archive in Seebüll uneingeschränkt zur Verfügung.
Und läßt sich nun das künstlerische Werk von der politischen Ausrichtung und der fatalen Biographie des Künstlers trennen? Haben Bildwerke „in sich ihren eigenen Maßstab der Bewertung“, fragte Ludwig Justi? Beruhen Rezeption und Faszination der Kunst auch auf der Kenntnis ihrer Entstehungsbedingungen?
Wie schwer wir uns mit Nolde und seinen Werken tun, zeigt seine Wirkungsgeschichte in der Bundesrepublik. Immer wollte Nolde als
Bernhard Fulda, Christian Ring und Aya Soika - „Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“
Essay und Bildband anläßlich der gleichnamigen Ausstellung in der Neuen Galerie im Hamburger Bahnhof-Museum der Gegenwart vom 12.-15.September 2019
© 2019 Prestel Verlag (Random House) / Nationalgalerie Berlin Staatliche Museen zu Berlin, Nolde Stiftung Seebüll, 381 Seiten, 103 Abbildungen, ISBN 978-3-7913-5893-2 (Deutsche Buchhandelsausgabe) - Parallel dazu erschien ein weiterer Band mit Chronik und Dokumenten.
45,- €
Weitere Informationen: www.randomhouse.de/Verlag/Prestel/
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