Geheimnis eines Lebens
(Red Joan - G B 2018)
Regie: Trevor Nunn
Mit: Judi Dench, Sophie Cookson, Tom Hughes, Tereza Srbova, Ben Miles u.a. Es ist lange her, aber für die Briten ist es immer noch ein Stachel in ihrem Fleisch: Kim Philby und die anderen, die heute unter dem Namen „The Cambridge Five“ geführt werden, waren scheinbar hoch achtbare Briten, im eigenen Geheimdienst tätig – und die erfolgreichsten Agenten, die die Russen je hatten. Was steckte dahinter? Was hat intelligente Menschen zum Verrat gebracht? Hier wird die Geschichte der realen Melita Norwood erzählt, im Film Joan Stanley genannt, die in der Realität erst im hohen Alter enttarnt wurde.
In diesem Film, den Theaterregisseur Trevor Nunn mit aller Feinheit der Darsteller-Führung (und einer untadeligen optischen Beschwörung der Vergangenheit) inszeniert hat, wird gleich zu Beginn eine nette, omahaft wirkende 87jährige Frau (die grandiose Judi Dench) von der Polizei abgeholt: Die Anklage lautet Hochverrat. Man schreibt das Jahr 2000. (Die englische Presse spöttelte über die „Granny Spy“… und ein konventioneller, spannender Spionage-Thriller wird es wahrlich nicht.)
Und dann geht es schon in die Vergangenheit, beginnend mit 1938, wo die junge, stille, bescheidene Joan (Sophie Cookson mit geradezu „reiner“ Ausstrahlung) in Cambridge Physik studiert und auf der Uni von ihrer faszinierenden Freundin Sonya (Tereza Srbova) deren Cousin Leo (Tom Hughes) vorgestellt wird. Wie soll man wissen, daß die beiden vom KGB ausgeschickt sind, nützliche Briten zu rekrutieren, möglichst, ohne daß sie merken, was sie tun?
Zwischen der englischen Gegenwart von heute, wo die alte Frau offenbar nicht versteht (oder nicht verstehen will), worum es geht, und der Vergangenheit blättert sich die Geschichte einer Verführung auf: einer ideologischen Verführung. Wie fing man brave junge Leute damals für den Kommunismus ein? ist die Frage, die der Film stellt. Die Sozialisten waren überall, die Anti-Nazi-Propaganda war allgemein verbreitet, die „kleine Kameradin“ machte da schon mit. Verliebt in einen Mann wie Leo, geht man mit ihm zu Versammlungen, und damals weiß man noch nicht über Stalin, was wir wissen. Damals ist er die Hoffnung gegen den Faschismus, Deutschland ist der große Feind, und wenn Männer gnadenlos erotische Verführungskünste einsetzen, um junge Frauen dazu zu bringen, ihnen in den Büros geheime Papiere zu fotografieren, wissen sie, was sie tun: Wer hätte sie schon verdächtigt? Sie waren ja Frauen.
Und nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki konnte man auch Menschen, die sich wahrlich nicht als „Spione“ verstanden, dazu bekommen, um des „Gleichgewichts der Kräfte“ willen den Russen willentlich Geheimmaterial zu liefern… so wie Joan in ihrem Beruf als Beamtin, die im Rahmen eines britischen Nuklear-Projekts arbeitete.
Die heutige Joan muß sich für etwas rechtfertigen, was sie einst nach „bestem Wissen und Gewissen“ getan hat, womit sie ungestraft durchgekommen ist und wonach man sie nun, im Alter fragt: Wie konntest Du nur? Dabei ist sie fast unschuldig, in das Netz der Spinne geraten… und wollte naiverweise nichts anderes als eine „gerechte Welt“, war überzeugt, für den Frieden zu arbeiten.
Wenn die alte Frau ihren Anwalt-Sohn Nick (Ben Miles) fragt, ob er sie verteidigen will, ist er so erschüttert, daß er ablehnt: Du hast Rußland die Bombe gegeben… Glücklicherweise überlegt er es sich für ein Happyend, das nicht frei von Kitsch ist., so wie der Film, der in schlimmen Zeiten spielt, doch etwas betulich einher kommt.
Aber wenn man der Psychologie der „Verräter“ nachgeht, wenn man sich fragt, wie naiv Menschen sein dürfen – der Film zeigt, wie Joan in die Rolle der „roten Joan“ schlittern und immer nur das Beste wollen konnte. Daß die alte Frau sich schwer tut, ihre Schuld zu erkennen - Judi Dench spielt es grandios. Für Überzeugungstäter ist das Umdenken schwer. Das Biopic stellt auch Fragen an den Kinobesucher.
Renate Wagner
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