Weiber – Frauen – Damen

Sprachbetrachtungen

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Weiber – Frauen – Damen

Sprachbetrachtungen

Von Heinz Rölleke
 
 
In einer Zeit, in der heftig für korrekte, nicht diskriminierende Bezeichnungen auf allen Gebieten gekämpft wird, sollte auch immer der sprachhistorische Aspekt berücksichtigt werden. Ausgerechnet die katholische Kirche hat dem bereits vor einigen Jahren Rechnung zu tragen versucht, indem sie die seit dem Mittelalter geläufige deutschsprachige Fassung des „Ave Maria“-Gebets änderte. Die preisende Anrede der Gottesmutter „Du bist gebenedeit unter den Weibern“ wurde ersetzt durch „Du bist gebenedeit unter den Frauen“. Damit ist nicht Maria durch einen würdigeren Titel ausgezeichnet (den sie übrigens auch schon immer trug, denn sie wurde seit je etwa als „Unsere liebe Frau“ angerufen), sondern alle Frauen, aus denen die Heilige hervorragt, mit einem scheinbar angemesseneren, weniger despektierlichen Namen benannt. Denn bei dieser Übertragung des „benedicta tu in mulieribus“ ging es nicht um eine korrektere Übersetzung des lateinischen Wortes „mulier“, das beide Bezeichnungen abdeckt. Auch war keine bloße Anpassung an neuere Sprachentwicklung der Grund, denn warum hätte man sonst das vielfach unverständlich gewordene alte Wort „gebenedeit“ nicht modernisiert oder die seit 1200 Jahren im Deutschen längst veraltete lateinische Wortstellung „Vater unser“ (statt „Unser Vater“) beibehalten? Die Änderung sollte also wohl den (weiblichen) Betern entgegenkommen, von denen manche bei den Bezeichnungen „Weib“ oder „Weiber“ einen pejorativen Beigeschmack empfinden, als ob diese alten Benennungen neuerlich als herabsetzend oder gar verächtlich machend aufzufassen wären. Wenn das die Tendenz der Wortlautänderung war, warum hat man dann die vielleicht doch viel despektierlichere Formulierung im zweiten Teil des Gebets „bitte für uns Sünder“ buchstäblich beibehalten? Wenn schon „Sünder“, dann doch wohl mindestens geschlechtsneutral „SünderInnen“? Wie absurd manche etwas krampfhaft geschlechtsneutralen Benennungen sein können, dürfte dieses Beispiel eindeutig zeigen.
 
Wie ist die Umpolung von „Weib“ zu „Frau“ im allgemeinen Sprachgebrauch entstanden und wie ist sie zu bewerten? Die etymologisch nicht verwandten Bezeichnungen „Mann“ (altdeutsch „der man“: Mensch, männliche Person) und „Weib“ (altdeutsch „daz[!] wîp“) sind uralt und umfaßten alle Personen männlichen beziehungsweise weiblichen Geschlechts. Erst mit der Herausdifferenzierung einer Herren- oder Adelsschicht, führte man für diese neue Benennungen ein: Im Althochdeutschen heißt der Herr „frô“, die Herr-in „frou-we“ (diese Form ist genau wie das sogenannte movierte Femininum Herr-in vom älteren Masculinum abgeleitet, also wie 'Fürst-in' von 'Fürst' oder 'Bettler-in' von 'Bettler'). Diese Art von Sekundärbenennung(en), gegen die so manche Feminist-in ohne historisch zu denken protestiert, ist also bei der ursprünglich genuinen, völlig eigenständigen Bezeichnung 'Weib' nicht gegeben (Luthers Sprachgebrauch, Eva in seiner Bibelübersetzung 'Männ-in' zu nennen, hat sich bezeichnenderweise nicht durchgesetzt). Sollten einschlägige feministische Bestrebungen zu Sprachveränderungen denn nicht doch auf allgemeine (Wieder)Einführung des Wortes 'Weib' drängen?
 
Die „frouwe“ oder „frowe“ ist die Gattin des „frô“, empfängt von diesem Namen und Rang. Die Form hat sich im Neuhochdeutschen als „Frau“ durchgesetzt, während „frô“ nur noch in heute veraltenden Wendungen begegnet: „Fron-dienst“, „frön-en“, „Fron-leichnam“ (als Übersetzung von Corpus Domini, wobei „Leichnam“ ursprünglich „Leib“ bedeutet); einige ältere Composita haben nur noch in historischen Bezeichnungen von Baulichkeiten oder Ämtern wie „Fron-hof“ oder „Fron-vogt“ überlebt. „frouwe“ meint also zunächst in Absetzung von anderen sozialen Ständen die verheiratete Frau von Adel, während den übrigen Geschlechtsgenossinnen der ältere Name „wîp“ vorbehalten blieb. Nach dem Untergang der Nibelungen „weinten mit den vrouwen der guoten burgære wîp“ (da klagten mit den adligen Damen auch die Frauen der tüchtigen Bürger). Etwa gleichzeitig mit dieser Formulierung (um das Jahr 1200) kämpft Walther von der Vogelweide in seinen Minneliedern vehement für die Attraktivität und die Würde der einfachen Frauen, deren Name höher steht als die abgehobene Bezeichnung der Adligen:
 
                        „wîp muoz iemer sîn der wîbe hôhste name
                        und tiuret baz dan frouwe.“
                        „sô swüere ich wol daz hie diu wîp
                        bezzer sint danne andere frouwen.“
 
„wîp“ sei die höchstmögliche Bezeichnung für eine weibliche Person und steche das Wort „frouwe“ aus, und hierzulande seien die (bürgerlichen) „Weiber“ besser und würdiger als anderwärts die (adligen) „Frauen“. Hier wird deutlich, daß im Mittelhochdeutschen die unterschiedlichen Bezeichnungen ausschließlich auf Standesunterschiede und nicht etwa auf Tugenden, Würdigkeit, Alter usw. abzielen. In einem seiner berühmtesten Lieder „Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was...“ bedeutet er den jungen Mädchen, daß ihre Minne von gleichem Wert und Rang wie die der allmählich übersteigert verehrten Adligen (Minnedienst = Frauendienst) sei. Ein junges Weib (egal von welchem Stand) habe keinen Grund, auf die ihr von ihrem Liebhaber von Adel vor der beide beglückenden Minnebegegnung schmeichelnd vorgebrachte Anrede „hêre frouwe“ stolz zu sein: Sie hat nach Meinung des Minnesängers in Sachen der sinnlichen Liebe gegenüber den offiziell so hoch verehrten adligen Frauen gleichen oder gar höheren Rang.
 
Walthers durchgängiger Lobpreis der „wîp“ zeigt erkennbar bereits defensive Züge, wie sie sich auch in der anderwärts verbreiteten so abenteuerlichen wie unsinnigen Herleitung und Wertschätzung des Namens „wîp“ aus den Anfangsbuchstaben der Wendung „Wonne, Irdisches Paradies“ zeigt. Der Minnesänger Heinrich von Meißen, bezeichnenderweise mit dem Ehrennamen „Frauenlob“ bedacht, startete eine förmliche poetische Offensive, um die höhere Würdigkeit der „frouwen“ gegenüber den „wîp“ zu beweisen und durchzusetzen (unter anderem mit der falschen etymologischen Herleitung des Wortes „frouwe“, gemäß derer eine vornehme Herrin entweder durch Gewährung ihrer Minne die Männer „froh“ mache oder ihnen durch Verweigerung „wehe“ tue).
 
Im späteren Mittelalter drängte das aufstrebende Bürgertum allenthalben gegenüber dem schwächelnden Adel voran und bemächtigte sich auch der ursprünglich dem Adel vorbehaltenen Termini. Damit steigt das Bürgertum aber nicht wie erhofft in die adlige Sphäre auf, sondern zieht die bislang ausschließlich dort gebräuchlichen Titel auf eine tiefere soziale Ebene. Jedes Bürgerweib soll sich nun Frau (vgl. Jung-frau) nennen, und aus den Männern werden Herren. Alle erwachsenen Männer wollen bis heute mit dem Titel „Herr“ angeredet werden, obwohl die wenigsten Männer Adlige oder Gebieter sind; gleiches gilt für die Frauen. Während aber die Bezeichnung „Mann“ als in vieler Hinsicht neutral und wertfrei im Gebrauch ist, geriet die Bedeutung des Wortes „Weib“ schon früh in einen rasanten pejorativen Strudel und steht schließlich in umfassendem Sinn für eine vorgeblich (aus welchen Gründen auch immer) verachtenswerte Person. Wenn Faust bei der ersten Begegnung mit Gretchen eine ähnlich schmeichelhafte Begrüßung wie seinerzeit der Liebhaber bei Walther von der Vogelweide anzubringen versucht, dagegen Mephisto die Kupplerin Marthe ohne weiteres als ein Verächtliche tituliert, wird die Bedeutungsentwicklung an prominenter Stelle deutlich:
                       
                        Faust:
                        „'Mein schönes Fräulein, darf ich wagen
                        […]?'
                                              
                        Gretchen:
                        'Bin weder Fräulein, weder schön,
                        kann ungeleitet nach Hause gehen.'
 
                        Mephisto:                   
                        'Das ist ein Weib wie auserlesen
                        zum Kuppler- und Zigeunerwesen!'“
 
Sowohl das etwas naive Gretchen wie auch die ausgefeimte Kupplerin Marthe halten noch an der allmählich obsolet werdenden Standesbezeichnung fest:
 
                        Marthe/Gretchen:
                        - „'Denk, Kind, um alles in der Welt!
                        Der Herr dich für ein Fräulein (für eine junge Adlige) hält.'
                        - 'Ich bin (nur eine Bürgerliche) ein armes junges Blut.'“
 
Hier geht es ausschließlich um den gesellschaftlichen Stand und nicht um die Frage, ob Gretchen etwa schon verheiratet oder noch Jungfrau ist.
 
Adelungs Wörterbuch von 1786 resümiert, daß die neutrale Bezeichnung „das Weib […] eine Person weiblichen Geschlechtes, ohne Rücksicht auf Alter, Stand und Heirath“ bezeichne. „Frau“ bleibt nur noch in historisierendem Sprechen den Adligen vorbehalten, so wenn der Großschatzmeister in Schillers „Maria Stuart“ die 'jungfräuliche Königin' Elisabeth, die natürlich nicht seine Ehefrau ist, mit dem Satz „Lang lebe meine Königliche Frau!“ begrüßt.
 
Auf die Dauer zeigten sich Männer mit ihrer früher dem Adel vorbehaltenen Titulierung zufrieden, während die Frauen in ihrer Benennung weiter nach Rangerhöhung strebten. So blieb es lange Zeit in Bahnhofsgebäuden bei den Hinweiswörtern „Herren“ und „Frauen“ (in unterklassigen Warteräumen zuweilen auch „Männer“ und „Frauen“), bis die Doppelbezeichnung relativ spät durch „Herren und Damen“ abgelöst wurde. Schon um 1800 hatte das französische Lehnwort („dame“) den Titel „Frau“ teilweise abgelöst. Es war zunächst vornehmen oder gar adligen Frauen vorbehalten (aus der Hausherrin wurde die „Dame des Hauses“). Die Reichs- bzw. Bundesbahn hinkte also mit ihren Rangbezeichnungen stark hinterher, lag auch wohl nicht mehr ganz richtig, denn neben der würdevollen Bedeutung der neuen Titulierung hatten sich alsbald (wohl auch durch aufkommende Ablehnung oder Abqualifizierung alles Französischen) zweideutige Vorstellungen eingestellt, nach denen der Name „Dame“ zuweilen synonym mit „Mätresse“ („dame d'amour“) oder „Dirne“ („dame de joie“) gebraucht wurde So resümiert Fontane in seinem Roman „Effi Briest“: „Sie war überhaupt keine Frau, im günstigsten Falle war sie eine Dame, das sagt alles.“ Die landläufigen Bezeichnungen der Damen im Schach- oder Kartenspiel sorgten auf ihre Weise dafür, daß die hochgestochen gemeinte Bezeichnung einen etwas ordinären Beigeschmack bekam. In England verfuhr man mit dem verführerischen französischen Lehnwort bezeichnenderweise anders als in Deutschland. Zwar war „dame“ auch dort zunächst „Mistress of a household“, doch dann avancierte das französische Wort neben „Sir“ zur Bezeichnung eines Angehörigen einer nicht erblichen Adelskaste: Unter anderen konnten Schauspieler und Sänger, in alten Zeiten zum Fahrenden Volk unterer Klasse gezählt, ja sogar moderne Fußballspieler durch den königlich verliehenen Titel in die Adelsklasse aufsteigen: Sir Laurence Olivier, Sir Peter Ustinov, Dame Angelina Jolie, Sir Paul McCartney, Dame Joan Sutherland. Sir Stanley Matthews.
 
In Deutschland gilt die Bezeichnung „Frau“ als angemessen. Die Wertung von „Dame“ - einerseits ranghöher, andererseits ein wenig anrüchig - oszillierte seit je, während „Weib“ durchweg als abwertend, ja beleidigend aufgefaßt wurde. Hier hat sich indes jüngst ein leichte Nuance ergeben: Man spricht lieber und rühmender von einem „rassigen, tollen Weib“ als von einer „rassigen, tollen Frau“, und es gibt nicht nur den „Pfundskerl“, sondern auch das „Pfundsweib“, von denen man auf einmal in verschiedener Hinsicht mit Bewunderung spricht – zweifellos eine Aufwertung der lange verpönten Bezeichnungen, denn bei einer „Pfundsfrau“ wird man doch eher an so etwas wie Gewichtsprobleme oder ähnliches denken. Man berücksichtige also im Sinn eines gerechten Urteils das Schwanken einer Bezeichnung und ihrer Wertigkeit so objektiv wie möglich. Auch das Wort „geil“ ist beileibe nicht einsinnig aufzufassen: Schon im Mittelhochdeutschen changierte seine Bedeutung zwischen positiv 'froh' und bedenklich 'übermütig', ehe sie im 16. Jahrhundert im Strom einer neuen Prüderie - „geil“ als 'sexuell lüstern' - negativ aufgefaßt wurde und zuletzt sogar ins Worttabu geriet. Wohl über die Brücke der neutralen gärtnerischen Bezeichnung von 'geilen (Pflanzen)Trieben' geriet es in jüngerer Zeit in den Focus der Jugendsprache, die damit generell etwas besonders „Großartiges“ bezeichnen will.
 
Das Schwanken mancher Begriffe im Lauf der Jahrhunderte sagt einiges über historische Gesetzmäßigkeiten der Sprachentwicklung, aber auch eine Menge über soziale Veränderungen und Maßstäbe, vor allem aber über sich wandelnde Wertungen aus. Nach dem großen Historiker Leopold von Ranke ist „jede Epoche unmittelbar zu Gott“, das heißt, jede sollte nach ihren je eigenen Anschauungen und Gesetzen sowie ihrer spezifischen historischen Situation beurteilt werden; so verdient auch jedes Wort die gleiche gerechte Beurteilung. Vorgefaßte Meinungen und blanke Vorurteile bringen in dieser immerwährenden Diskussion nicht voran.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2019
 
 Redaktion: Frank Becker