Fake, fake, fake

„Vox Lux“ von Brady Corbett

von Renate Wagner

Vox Lux
(USA 2018)

Regie: Brady Corbett

Mit: Natalie Portman, Jude Law, Raffey Cassidy, Jennifer Ehle, Stacy Martin u.a.
 
Brady Corbett, lange Zeit nur Nebenrollen-Darsteller in Hollywood (immerhin aber auch bei Hanekes Amerika-Version von „Funny Games“ dabei), hat in seinen zweiten Spielfilm viel hineingepackt. Gleich zu Beginn jene Ängste, die in den USA zu Recht sehr stark sind, denn es kommt einfach zu oft vor, daß ein Schüler seine Waffe zückt und seine Mitschüler bedroht und ermordet. Die junge Celeste (Raffey Cassidy), die sich ihm entgegenstellt und schwer verwundet wird, wäre in diesem Jahr 2000 auf jeden Fall eine Medien-Heldin.
Um wie viel mehr, als sie einen simplen Song über ihr Erlebnis komponiert und zum Gesicht der demonstrativ ausgeschlachteten Trauer wird, die man hier publikumswirksam zelebriert. Die billige Sentimentalität, mit der die Amerikaner alles ausschlachten, liegt hier am Tisch der vielen Agenda, die der Regisseur in sein Drehbuch hinein gepackt hat.
 
Es ist ein Film mit einem Erzähler aus dem Off (im Original die Stimme von Willem Dafoe), was dramaturgisch ganz nützlich ist – in ein paar Sätzen erzählt sich vieles, was man mühsam darstellen müsste, etwa die Erklärung dafür, wie ein ganz normales, in keiner Weise besonderes junges Mädchen zum Star gepuscht werden kann. Da muß bloß jemand auf die Idee kommen, sie könne ihr persönliches Leid für die ganze Nation aufbereiten und damit zum Symbol hochgejubelt werden. Und so geschieht es auch, sogar im Doppelpack, an der Seite ihrer Schwester. Man muß es nur richtig aufbereiten, ein bißchen Show, schön singen, etwas szenischer Aufwand, nicht wahr… Als „Victim of Violence“ kann man sie lebenslang verkaufen.
Und da ist auch schon ein Manager (Jude Law), die Leute fürs Marketing finden sich schnell. Und wenn Celeste noch ein bißchen tanzen lernt – Brady Corbet zeichnet nach, wie dergleichen läuft. Und wie dergleichen auch wieder bald verschwindet, weil der menschliche Faktor so unberechenbar ist. Denn die „unzertrennlichen Schwestern“ Celeste und Eleanor (Stacy Martin) sind auch ziemlich verschieden, letztere schleppt erstere auf Partys und bringt sie auf den Geschmack von Alkohol und Drogen, dann „funktionieren“ die beiden bei den Auftritten nicht mehr so, wie es in der Ausbeutungsmaschinerie vorgesehen ist – und das war’s dann. Zuerst einmal.
 
Der Erzähler hilft, starke Schnitte versetzen in eine andere Welt, mehr als eineinhalb Jahrzehnte sind vergangen, man schreibt 2017, Celeste ist 31, und nach einer knappen Stunde gibt es im Film endlich den Auftritt von Natalie Portman. So sieht sie nun aus, das ist aus ihr geworden, die Masken von Tätern, die Menschen überfallen, sind ein Markenzeichen des Stars, der einst verletzte Nacken wird immer noch betont (und ihre Tochter Albertine wird wiederum von Raffey Cassidy verkörpert, die ihr junges Ich war). Natalie Portman ist eine Schauspielerin, die auch bei viel Durchschnittlichem dabei war, aber immer wieder ihre Rollen zu wählen weiß – die Ballerina in „Black Swan“, die ihr 2010 den „Oscar“ einbrachte; die Jackie Kennedy (2016); und nun in „Vox Lux“ jene Sängerin Celeste, die Madonna nicht unähnlich ist und es der Darstellerin erlaubt, ein facettiertes, sehr eindrucksvolles Porträt eines schwankenden Superstars zu zeichnen, wenn sie auch nur den halben Film lang dabei ist.
Denn die neue Celeste ist nicht das Schulmädchen, das sich zum Star machen ließ, sie ist jetzt eine künstliche Style-Ikone im Glitzer-Look, sie ist cool, zynisch und gar nicht mehr nett, sie weiß, daß in dem Business, in das sie zurückkehrt, das große Geld zu machen ist, und sie ist entschlossen, das zu tun. Schwester Ellie wurde zurückgelassen (und durfte die Nichte aufziehen), Celeste verkauft sich. Der Skandal von einst hat sie nicht ruiniert, sondern in der Distanz noch interessanter gemacht, und sie spielt kaltblütig mit der Emotionalität des Publikums.
Daß sie, um das durchzuhalten „Uppers“ mit „Downers“ mixen muß, das ist eben so im Business. Nur, wer sich dafür entschieden hat und es will, hält es auch durch. Und selbst, wenn Ellie droht, der Welt zu sagen, daß eigentlich sie die berühmten Songs der Schwester geschrieben hat, wen kümmert’s? Und wenn sie bei Interviews noch so viel Blödsinn und Triviales redet, es schadet nicht: „Sie wollen eine Show, ich gebe ihnen eine.“ Was das Image verlangt, wird bedient… Es endet mit einer Show, wie Stars sie heute geben, und mit all den Fragen, die der Film aufwirft.
 
Ist es nicht nur Klischee, was hier erzählt wird? Man sollte sich nicht täuschen: Diese Branche ist ihr eigenes Klischee. Brady Corbet bereitet sie auf – zur Betrachtung und, wenn man Lust hat, zur Reflexion. Und daß man sich nicht immer wieder von diesen Kunstgeschöpfen täuschen läßt, die sich nur als Menschen ausgeben. Fake, fake, fake.
 
 
Renate Wagner