Intensives Film-Porträt einer starken Persönlichkeit

„Aenne Burda – Die Wirtschaftwunderfrau“ von Francis Meletzky

von Frank Becker

Aenne Burda
 
Intensives Film-Porträt einer starken Persönlichkeit
 
burda-Moden (heute burda style) – wer kannte das Modeheft mit den eingelegten raffinierten, multifunktionalen Schnittmusterbogen in den 1950ern und 60ern nicht? Ich sehe in meiner Erinnerung noch meine Mutter mit Stecknadeln zwischen den Lippen mit dem Rändelrädchen die Linien nachfahren und die Stoffe zuschneiden, aus denen für sie und meine ältere Schwester Kleider, Röcke und Blusen wurden. Die Geschichte hinter dem innovativen Modemagazin, das nach den Entbehrungen der ersten Nachkriegsjahre den deutschen Frauen bezahlbaren Chic zum selber (Nach)Schneidern möglich machte, kannte seinerzeit wohl kaum eine der Frauen, die es sich vom Munde absparten. Umso wichtiger ist, daß es Regine Bielefeldt unternommen hat, die dramatische und ungemein spannende Lebens- und Erfolgsgeschichte der Frau für eine Filmbiographie aufzuzeichnen, die burda Moden erfunden hat: Aenne Burda (1909-2005).
 
Der im Dezember 2018 erstmals vom Ersten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte zweiteilige Film beschreibt nicht nur Aenne Burdas persönliche Geschichte, ihren Plan der Mode für alle und die Widerstände, die sie zu überwunden hatte, er zeichnet ein getreues Bild der Gesellschaft ihrer Zeit. Nach der Nazi-Diktatur dem von den braunen Machthabern angezettelten verheerenden Weltkrieg lagen die Wirtschaft und das soziale Gefüge des einmal so stolzen und großen Deutschland am Boden. Viele Männer waren im Krieg geblieben, und vor allem Frauen mußten sich neu erfinden. Anna Burda (mitreißend Katharina Wackernagel), Ehefrau des Offenburger Verlegers Dr. Franz Burda (charaktervoll: Fritz Karl) – es ging beiden in den Zeiten der Not dank Burdas Kontakten, Vorsorge und Initiative sehr gut – hatte schon 1947 die Idee eines Magazins für erschwingliche Mode für alle Frauen. Doch ihr Mann nahm Annas eigene Geschäftsidee, eine Modezeitschrift für Modelle zum Nachschneidern zu verlegen (scheinbar) nicht ernst. Er unterdrückte ihren Plan, mehr noch, er hinterging sie, indem er seine Geliebte Evelyn Holler (bewegend: Cornelia Gröschel) mit der Umsetzung in einem eigenen Verlag „beschenkte“. Als Anna Burda 1949 dahinter kommt, setzt sie ihm das Ultimatum, ihr den Verlag eigenverantwortlich zu überschreiben – und siegt noch im selben Jahr über den noch immer hierarchisch denkenden Mann. Man darf nicht vergessen, 1950 mußten deutsche Ehefrauen noch die Erlaubnis ihrer Männer einholen, wenn sie einen Führerschein machen, ein Unternehmen gründen oder ein Reisevisum beantragen wollten.
Von nun an nennt sich die starke Frau Aenne Burda und legt selbstbewußt den Dr.-Titel ab, mit dem damals Ehefrauen von Promovierten geschmückt wurden. Sie bekommt den Verlag, übwerwindet gesellschaftliche und politische Widerstände, und führt ihn dank engagierter und ideenreicher Mitarbeiterinnen über etliche Klippen zu dem Erfolg, den er noch heute hat.
 
Der zweiteilige Fernsehfilm von Francis Meletzky ist ein Beispiel für die gelungene Umsetzung eines packenden Stoffes der jüngeren Zeit- und Wirtschaftgeschichte im historischen Ambiente. Wer sich von der Ausstattung der ZDF-Dreiteiler „Bella Germania“ (2018) und „Ku´damm 56“ (2016) verwöhnt sah, erfährt in „Aenne Burda“ eine neue Dimension zeitgerechter Kulisse, Kostüme (Katharina Ost) und Ausstattung.
Dazu agiert mit vor allem Luise Wolfram als dynamische Verlags-Mitarbeiterin Edith Schmidt, Martina Eitner-Acheampong als warmherzige Haushälterin Martha, Hansa Czypionka als wohlmeinender Künstler-Freund Hans Kuhn, Christoph Glaubacker als Verlags-Graphiker Wilhelm Kemper und Annika Olbrich als Mitarbeiterin Lise Schneegass ein exzellentes Ensemble.
In-Akustik hat den Zweiteiler nun in brillanter Qualität auf DVD herausgebracht – eine Empfehlung für alle, die den Film im Fernsehen verpaßt haben, eine Schwelgerei für Zeitzeugen und 50er-Jahre-Fans. Von den Musenblättern mit unserem Prädikat ausgestattet, dem Musenkuß
 
Francis Meletzky - „Aenne Burda – Die Wirtschaftwunderfrau“
© 2018/2019 ARD/In-Akustik
DVD 9 – 2x 90 Minuten Spieldauer
Regie: Francis Meletzky - Buch: Regine Bielefeldt - Musik: Martin Lingnau, Ingmar Süberkrüb - Kamera: Bella Halben - Kostüme: Katharina Ost
Besetzung: Aenne Burda: Katharina Wackernagel - Franz Burda: Fritz Karl - Edith Schmidt: Luise Wolfram - Lise Schneegass: Annika Olbrich - André Lambert: Jean-Yves Berteloot - Hans Kuhn: Hansa Czypionka – Martha: Martina Eitner-Acheampong - Massimo Russo: Michele Cuciuffo - Wilhelm Kemper: Christoph Glaubacker - Evelyn Holler: Cornelia Gröschel – Charlotte: Gina Henkel
 
Weitere Informationen:  www.in-akustik.de