Eine Illusion...

„So wie du mich willst“ von Safy Nebbou

von Renate Wagner

So wie du mich willst
(Celle que vous croyez / Frankreich 2019)

Regie: Safy Nebbou
Mit: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia u.a.
 
Madame Claire Millaud macht im Hörsaal eine hervorragende Figur, wenn sie über Literatur doziert, wie es ihr Beruf ist. Privat begegnet man ihr als weniger glücklich: Geschieden, weil vom Ehemann für eine Jüngere verlassen (was sie einfach nicht verkraftet hat), sieht sie ihre halbwüchsigen Söhne, die bei ihrem Mann und dessen neuer Gefährtin leben, selten. Sie ist einsam, sie sehnt sich nach Sex, aber auch die beiläufigen Verhältnisse, die eine noch attraktive Frau jenseits der 50 eingeht, enden darin, daß der Mann sich verflüchtigt.
Gespräche mit Psychiatern sind derzeit offenbar die beliebteste aller Rahmenhandlungen. Hier spricht Claire mit Madame Bormans (Nicole Garcia), die kritisch und verständnisvoll zugleich ist, und schildert ihr in aller Offenheit die Leere ihres Lebens, die Defizite der Gefühle (dergleichen ähnelt einer „Off“-Erzählung und kann viel erklären). Bis sie tatsächlich etwas zu erzählen hat.
 
Und da begibt sich dieser Film des französischen Regisseurs Safy Nebbou auf die aktuellste Ebene aller zeitgenössischen Themen: das Internet, die sozialen Medien, die Möglichkeit, mit völlig Fremden Kontakt aufzunehmen – und was daraus werden kann. Schon vor zwei Jahren gab es ziemlich genau diese Problematik in „Monsieur Pierre geht online“ mit Pierre Richard: Man erfindet sich neu, ein alter Mann, eine ältere Frau erfinden sich jung und schön, und weil sie innerlich jung ist, haben sie keine Schwierigkeit, das einem unsichtbaren Partner glaubhaft zu machen (wenn man aufpaßt, kein allzu erwachsenes Vokabular zu verwenden).
Claire chattet mit dem Fotografen Alex zuerst nur, weil er der Zimmergenosse ihres abgetauchten Freundes Ludo ist. Und weil sie ein sehr hübsches Foto postet und als die 25jährige Clara erscheint, steigt Alex begeistert in die Gespräche ein. Und man weiß ja, wie gut man sich auf virtueller Ebene verstehen kann (Glattauer hat ganze Romane darüber geschrieben), was dann auch per Telefon funktioniert – und wie problematisch es wird, wenn dann der Echtheitsbeweis angetreten werden soll und der verliebt gemachte Mann auf eine Real-Begegnung besteht.
 
Eine Frau mit junger Seele, die auf der Straße von keinem Mann mehr angesehen wird, fühlt sich auf einmal wieder beschwingt, glücklich, begehrt (es gibt eine Telefonsex-Szene, die es in sich hat). Es ist der Film der unvergleichlichen Juliette Binoche, denn die längste Zeit ist sie – die Psychiaterin und die beiden selten auftauchenden Söhne ausgenommen – so gut wie solo auf der Leinwand: Alex ist nur eine Stimme. Die Binoche spielt alles, die Seligkeit der Verliebtheit, die Zweifel an ihrer realen Person, ihrem realen Körper, die Verzweiflung darüber, daß sie für Alex nur in Form der sexy Fotos existiert, die sie postet (später erfährt man, und das ist eine Krimi-Wendung, wen sie eigentlich zeigen). So wie junge Leute „aus der Spur“ geraten, wenn Liebe sie beutelt, ergeht es ihr – die ihre Söhne draußen stehen läßt, während sie mit dem Auto herumkreist, weil ein gerade geführtes Telefonat mit dem Geliebten wichtiger ist.
Natürlich muß angesichts seines Drängens die Handlung irgendwann weitergehen, und da es viele Drehungen und Wendungen sind, die die Geschichte dann nimmt, fast krimi-artig, kann man es nicht erzählen. Nur daß die Ebenen zwischen Realität und Fiktion (schließlich lehrt sie Literatur) verschwimmen und das mehrfach, daß es tatsächlich kriminalistisch wird, von Rache handelt, von Tod und Verderben… Jedenfalls lernt man den sympathischen, liebenswerten Alex (François Civil) kennen, auch Ludo (Nicole Garcia), der keine so gute Rolle spielt, und andere Figuren wie Katja (Marie-Ange Casta), die das Leben von Claire / Clara verbittert haben und sie in das Karussell der Gefühle gejagt, in die sie sich hoffnungslos verstrickt – bis zur Todessehnsucht.
 
Der Film ist voll von Erkenntnissen, nicht nur darüber, was es bedeutet, eine ältere Frau zu sein – wobei die Binoche von zeitloser Schönheit und Jugendlichkeit zu sein scheint. Es werden auch die Lügenexistenzen des Internets hinterfragt, die doch nur tragische Versuche sind, das, was man ist, dahin gehend zu korrigieren, was man sein möchte… eine Illusion, die den Wahrheitsbeweis nicht antreten kann.
 
Vorschau    
 
Renate Wagner