Chancenlos - So funktioniert der Kapitalismus.

„Streik“ von Stéphane Brizé

von Renate Wagner

Streik
(En guerre / Frankreich 2018)

Regie: Stéphane Brizé
Mit: Vincent Lindon u.a.
 
Man liest immer wieder solche Meldungen, wenn sie auch selten über einen Einspalter im Wirtschaftsteil hinaus gehen: Irgendeine mittelgroße Fabrik, die immerhin Hunderte, ja Tausende Menschen im Umkreis ernährt, wird von ihren Betreibern als nicht lukrativ genug betrachtet und zugesperrt. So funktioniert der Kapitalismus.
Und die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und in ihrer Region keine Chance haben, einen neuen zu finden? Dergleichen wird von den Anzugträgern in den Chefetagen kaum bedacht – soll sich der Staat darum kümmern… Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten Mal wollen Betroffene kämpfen. Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten Mal sind sie chancenlos.
 
„Streik“ von Regisseur Stéphane Brizé erzählt die Geschichte eines Protests, und es ist sicherlich in Frankreich, wo die „Gelbwesten“ ja auch aus wirtschaftlichen Gründen auf die Straße gehen, der Film der Stunde. Ob der hier gezeigte Fall, der eine Autofabrik im südfranzösischen Agen betrifft, Fiktion ist, weiß man nicht, er wirkt jedenfalls nicht zuletzt deshalb so unter die Haut gehend echt, weil der Regisseur großteils mit Laien besetzt hat, die den Eindruck erwecken, als spielten sie sich selbst (ein paar Gewerkschaftsfunktionäre taten das angeblich auch). „Der Wert des Menschen“ hat Brizés viel beachteter Vorgängerfilm geheißen, und darum geht es auch: Wert und Würde des Menschen stehen zur Diskussion.
Diskussion ist aber auch das Kernwort dafür, wie der Regisseur seine Geschichte angeht. Man sollte, müßte, könnte, um ein breiteres Kinopublikum zu fesseln, eine solche Geschichte an Einzelschicksalen aufziehen. Menschen, die hier arbeiten. Die jahrelang auf Lohnerhöhungen verzichtet haben, nur um die Arbeitsplätze zu sichern, als die Deutschen ihre französische Fabrik kauften (hier werden auch Ressentiments gegen „die Deutschen“ sehr stark). Und die plötzlich, entgegen allen Versprechungen, auf der Straße stehen sollen – obwohl, was immer wieder empört betont wird, der Mutterkonzern Milliardengewinne einfährt. Aber das Autozubehör, das hier in Frankreich hergestellt wird, kann man in Osteuropa oder Asien viel billiger produzieren. Brutalo-Kapitalismus gegen Einzelschicksale am Rande des Abgrunds.
Interessanterweise – und das macht den Film so „arthaus“, macht ihn so sehr zu einer Art Dokumentation, wie man sie auf „arte“ sehen könnte – verweigert der Regisseur die Einzelschicksale. Nur ein einziger Mann tritt hervor: der Gewerkschafter Laurent Amédéo. Vincent Lindon hat wieder einmal eine seiner großen Rollen gefunden, man glaubt ihm alles, Wut, Empörung, Kampfgeist, Entschlossenheit, bis zum Ende zu kämpfen. Nur – er und alle anderen sitzen am kürzeren Ast, wie immer. Die französischen Arbeiter mögen „ihr“ Gelände noch so sehr besetzen und ihre Wut Fäuste schwingend skandieren, die Bosse wissen, daß sie diesen Aufruhr nur aussitzen müssen.
Und während am „Verhandlungstisch“ mit den ausweichenden französischen Chef gestritten und gestritten und gestritten wird, was nirgendwohin führt (für eine Fabrik, die man ohnedies zusperren wird, muss man keine Konzessionen machen), funktionieren andere Mechanismen: Nicht alle der Arbeiter, denen man Abfindungen zusagt, mit denen sie sich zumindest eine Weile über Wasser halten können, wollen den Streik bis zu einem bitteren Ende durchhalten, das sie nicht absehen können.
 
So ist das ein Film, in dem viel und im Kreis geredet wird und eine hektische Kamera hektisch schreiende Menschen einfängt. Und anstatt daß man nun die wahre Anteilnahme empfände (man tut es ja, man wird nur müde), gerät man selbst achselzuckend in die Sinnlosigkeit dieser Geschichte, die so punktgenau heutige Missstände aufzeigt.
Ja, wahrscheinlich wollte der Regisseur genau das zeigen. Und wir gehen fälschlich davon aus, dass es im Kino Sieger geben muß, mit denen man mit gebangt hat und mit denen man sich mitfreut. Aber im wirklichen Leben ist das nicht so.
 
Vorschau   
 
Renate Wagner