Glaubse!

Friedhelm Wessel (Hg.) – „Bor!“

von Frank Becker

Glaubse!
 
Viel Arbeit, wenig Brot. Aber tote Hose Fehlanzeige! Woanders ist auch …Ja, datt hätt’se wohl gerne! Ja, gefiffen! Laberköppe, die so etwas behaupten, sollten verknackt werden. Datt Ruhrgebiet wie et hier beschrieben wird, kannte zwar graue Straßen und rußgeschwärzte Häuser – aber keinen grauen Alltag. Das Leben war und ist bunt, abwechslungsreich wie nirgendwo anders – anne Bude, inne Kneipe, inne Badeanstalt, anne Emscher und im Zeltlager.
 
Dieses Buch erzählt vom Wirt Willi Kupschak, bei dem man grundsätzlich keinen Deckel machen durfte und wie Ewald Brinkmann und Hansi Forkmann das ein für alle Mal änderten. Wer erinnert sich nicht an die Bade-Samstage mit Zink-Wanne in der Küche und die hierarchische Ordnung der Wasser-Benutzung? Wir erfahren die Geschichte von Otto Muskulus, der trotz Warnung im Wanderzirkus in Rotthausen erfolgreich am Bär packte.  Vom ersten Schultag beim bigotten Fräulein Osterfeld mit einem Vogelnest auf dem Kopf hören wir und warum Schule eigentlich gar nicht so schlimm war. Der klare Unterschied zwischen Zeltlager und Camping wird aufgedröselt, erklärt, daß Reisen bildet, auch mit der Straßenbahn von Sterkrade bis Dortmund – über 50 Kilometer (!) und wer das Recht hat, sich den Ehrentitel Malocher zu geben. Man kann nachlesen, daß ein Bademeister früher eine Respektsperson in seinem Revier war, und wie gut eine Tüte mit Kuchenkrümeln für 20 Pfennige im Vergleich zu den „mitgebrachten Knifften, bei denen die Rama stiften ging und sich die Wurstscheiben von der Wärme dröge verbogen“ schmeckte.
Auch die Liebe kommt nicht zu kurz: Hubertus A. Janssen besingt seine zauberhafte Sommermotte Charlotte – wer hätte damals nicht seine eigene Charlotte gehabt - oder hat sie bis auf den heutigen Tag…
 
Den herrlichen Wort-Beiträgen dieses Nostalgie-Bandes noch ein Krönchen aufzusetzen ist Friedhelm Wessel mit den begleitenden Fotos aus seinem Archiv, dem Hauptstaatsarchiv NW, dem Stadtarchiv Oberhausen und dem Besitz von Werner Bergmann gelungen. Jeder Leser zwischen 50 und 100 Jahren erkennt die Situationen, hat die Momente erlebt, die dort gezeigt werden. Und jeder schüttelt den Kopf, liest man heute in der Zeitung, daß man bei Einschulungen aus „Datenschutzgründen“ (verzeihen Sie, wenn ich lachen muß) keine Fotos mehr machen darf. Schwelgen wir also in den unverklemmten Bildern vom Zelten, Baden, Schulunterricht, von Straßenbahn-Schaffnerinnen, bierseligen Kneipen-Abenden, „Banden“ und Protesten. Ein wunderbares Buch!
 
Inhalt
Friedhelm Wessel, Abenteuerangeln - Friedhelm Wessel, Die Wallfahrt der Betschwestern - Manfred Hoese, Nich am Bär packen … - Hubertus A. Janssen, Rhein-Herne-Kanal - Friedhelm Wessel, Auf den Deckel - Hans Müller, Malocher - Thomas Althoff, Mein erster Schultag mit Fräulein Osterfeld - Peter Allekotte, Camping und mehr - Lothar Lange, Freibad Grimberg - Werner von Welheim, Bundesland, oh Ruhrgebiet - Friedhelm Wessel, Olympischer Dreikampf obere Goethestraße - Helmut Spiegel, Und alles, was aus Essen kommt, dat süpt, dat süpt - Influencer / anne Bude - Friedhelm Wessel, Badetag - Sigi Domke, Autofahren im Ruhrgebiet - Hubertus A. Janssen, Charlotte im Sommer - Klischees / Friedhöfe nicht vergessen - Heinz Georg Schmenk, Reisen bildet
 
Friedhelm Wessel (Hg.) – „Bor!“
Geschichten über das abenteuerliche Leben der Ruhrgebietler
©2018 Verlag Henselowsky Boschmann, 80 Seiten, gebunden, mit vielen abenteuerlichen Fotos - ISBN 978-3-942094-86-3
9,90 €
 
Weitere Informationen:  www.vonneruhr.de