Ein überwiegend trockenes Sachbuch über das saftige Leben

Josie McLellan – „Liebe, Sex & Sozialismus“

von Sabine Kaufmann

Liebe und Sex in der DDR
 
Ein überwiegend trockenes Sachbuch
über das saftige Leben
 
Liebe, Sex & Sozialismus“ ist eine von einer Engländerin (!) angefertigte Untersuchung über die „stille sexuelle Revolution in der DDR und ihren Grenzen“. Das erinnert irgendwie peinlich an die mit Bildern nackter Neger (vor allem Negerinnen) illustrierten Expeditionsberichte europäischer Afrika-Reisender aus dem 19. Jahrhundert.
Josie McLellan (*1957, Senior Lecturer für Neuere Europäische Geschichte an der Universität Bristol und Verfasserin diverser Bücher über die DDR) hat durch eine Interview-Reihe, die sie und Angela Brock geführt haben, sowie durch die intensive Auswertung vorhandener Sachliteratur bekannte Fakten zu einem kompakten Sammelband zusammengeführt: Daß im Sozialismus die Scheidungsraten Rekordwerte erzielten, Abtreibung zur Normalität wurde und die Rate der außerehelichen Geburten zu den höchsten in ganz Europa zählte, daß FKK sich vom verbannten Außenseiterhobby zum staatlich geförderten Boom entwickelte und daß Erotika zu einer beliebten Tausch- und Bückware sowohl in der offiziellen Ökonomie als auch auf dem Schwarzmarkt wurden. Die öffentliche Diskussion über Sexualität wurde dennoch staatlich strikt kontrolliert, stellt sie fest, und es gab nur eingeschränkte Möglichkeiten, Grenzen traditioneller Geschlechterrollen oder Sexualnormen (es geht im wesentlichen um Homosexualität) zu überschreiten.

     Das vorliegende Buch über „die schönste Nebensache der (DDR-)Welt“ leistet einen durchaus interessanten Beitrag zum Verständnis des emotionalen Alltagslebens in der DDR. Es hinterfragt (n)ostalgisch liebgewordene Überzeugungen hinsichtlich der Beziehung zwischen Sexualität, Politik und Gesellschaft und veranschaulicht, daß die Einwohner der DDR trotz Repressionen über ein großes Maß an persönlicher Freiheit und Autonomie im sexuellen Bereich verfügten. Wirklich spannend und lebensnah zeigen sich die anonymisierten Interview-Ergebnisse, die einen sehr intimen Blick in die Sexualität der DDR-Bürger zulassen.
„Liebe und Sex in der DDR – eine stille Revolution?“, fragt die trotz des saftigen Themas dennoch ziemlich trocken geratene soziologische Studie mit wissenschaftlichem Anspruch. Nein, muß die Antwort lauten, es war nicht mehr als ein geduldeter Freiraum.
Wer allerdings bisher nichts über das Thema wußte, wird ohne jede Pikanterie viel Aufschlußreiches erfahren.
 
Josie McLellan – „Liebe, Sex & Sozialismus“
Vom intimen Leben in der DDR – aus dem Englischen von Johannes Seiffert
© 2019 edition berolina, 368 Seiten, gebunden, mit wenigen s/w-Illustrationen  -  ISBN: 9783958411036
17,99 €
Weitere Informationen:  www.bebug-verlage.de und www.buchredaktion.de