„In Liebe und Verehrung“ (1)

Saitenspiel: Kammermusik der NS-Verfolgten in der Historischen Stadthalle Wuppertal

von Johannes Vesper

Felix Nussbaum, Triumph des Todes (1944) - mit freundlicher Genehmigung des Felix-Nussbaum-Hauses Osnabrück

„In Liebe und Verehrung“
 
Saitenspiel: Erwin Schulhoff, Gideon Klein, Viktor Ullman, Pavel Haas und Hans Krása
Kammermusik der NS-Verfolgten in der Historischen Stadthalle Wuppertal
 
1. Konzert 29.09.2019, 18.00 Uhr: Schumann Quartett mit Pablo Barragan (Bassetklarinette), W.A. Mozart: Hoffmeister Quartett KV 499, Viktor Ullmann: Streichquartett Nr. 3 op.46 und W.A. Mozart: Klarinettenquintett A-Dur KV 581.
 
Von Johannes Vesper
 
An die 150 Komponisten der Musikgeschichte haben es geschafft, noch nach 100, 200 oder mehr Jahren im Gedächtnis der Menschen und im Konzertrepertoire zu bleiben. Dabei handelt es sich sowohl um Komponisten, die von ihrem Publikum schon zu Lebzeiten geschätzt wurden als auch um solche, die erst später akzeptiert wurden. Musik und Politik sind eng miteinander verwoben. Faschismus, Kommunismus und Nationalsozialismus pflegten für ihre laute Propaganda einerseits eigene Musik und mißbrauchten vorhandene, um ihre Anhänger, ihre Massen emotional zu befriedigen. Andererseits verfolgten und unterdrückten sie Musiker und Komponisten, die nicht ins Konzept paßten, trieben sie ins Exil und brachten sie in Konzentrationslagern um. Dort musizierten und komponierten aber diese Komponisten so lange sie konnten weiter und weiter, ohne jede Chance, außerhalb des KZs gehört zu werden, bzw. auf eine Resonanz im Rundfunk, im Konzertsaal, in den Feuilletons auf Kollegen oder gar auf Aufnahmen. Welche Entwicklung hätte die Musik im 20. Jahrhundert genommen, hätten Komponisten wie Erwin Schulhoff, Gideon Klein, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Hans Krása, deren Werke in der kommenden Konzertreihe gespielt werden, erfolgreich arbeiten können.
 
Erwin Schulhoff starb 1942 im Internierungslager Wülzburg/Weißenburg an TBC. Seine Vertonung des Kommunistischen Manifestes paßte den Nazis schon 1932 überhaupt nicht. Die anderen wurden 1944 nach Auschwitz transportiert und dort vergast. Alle wurden nach dem Krieg vergessen und Ihre Musik verschwand. Was wird zu hören sein, wenn diese Komponisten sich mit ihrer Musik als „Kanzlisten ihres eigenen Inneren“ (Walter Benjamin) ihrem Publikum heute offenbaren? In der Historischen Stadthalle wird jetzt die Gelegenheit geboten, ihrer Musik nachzuspüren. Ca. 70 Jahre nach der unbegreiflichen Katastrophe des Nationalsozialismus wird mit diesem Konzertprogramm der Versuch unternommen, kammermusikalische Werke der von ihrem Publikum abgeschnittenen Komponisten wieder in die Musikgeschichte zu integrieren. Wenn es darauf ankäme, sich von der Musik ergreifen, verzaubern zu lassen, besteht dazu bei diesen Konzerten in der Gegenüberstellung zu großen Werken der klassischen Kammermusikliteratur eine seltene und einzigartige Gelegenheit.
 
Mit Begriffen wie „Entartete Musik“ wurde zu Zeiten des Nationalsozialismus die Kunst unter dem Gesichtspunkt der Rasse beurteilt. Insgesamt standen 107 „nichtarische“ Komponisten schon 1935 auf der Liste des Reichsministers für Volksaufklärung und
Propaganda, darunter Kurt Weill, Ernst Bloch, Hanns Eisler, Friedrich Hollaender, Ralph Benatzky, Erik Satie. Ihre Werke waren „keinesfalls erlaubt“, weder im Theater noch im Rundfunk.
1937 wurde die „undeutsche“ darstellende Kunst der Zeit in der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt. Analog dazu erfolgte die Ausgrenzung „undeutscher“ Musik 1938 mit der Ausstellung „Entartete Musik“ in Düsseldorf. Im Vordergrund dieser Ausstellung stand die Auseinandersetzung mit dem Jazz, der als „Negermusik“ aus Nazi-Sicht nicht zum deutschen Kulturgut paßte. Aber auch die neue Musik Paul Hindemiths paßte nicht. Er hatte lieber eine Einladung in die Türkei angenommen, um dort das Musikstudium zu organisieren. Überhaupt galt die Atonalität den Nazis als „gefährliche Zerstörerin des volks- und rassenmäßigen Instinkts“ und ihre Vertreter als „internationale, wurzellose Scharlatane des reinen, echten, klaren, deutschen Volkstums“, wie in der Düsseldorfer Ausstellung auf einer Texttafel zu lesen war. Mit dem Begriff „Musikbolschewismus“ wurde schon seit 1918 die zeitgenössische Musik diffamiert. Vor allem aber paßte auch die „jüdische Operette“ den Nazis nicht. Sie galt als jüdisches Element in der germanischen Musikwelt, obwohl Leon Jessels „Schwarzwaldmädel“ auf ausdrücklichen Wunsch Julius Streichers vom Aufführungsverbot ausgenommen wurde. Die Ausstellung „Entartete Musik im NS-Staat“, kuratiert von Albrecht Dümling und Peter Girth, dokumentiert seit 1988 als kommentierte Rekonstruktion die Ausstellung von 1938 weltweit: US Version 1991, Spanisch 2007, neue deutsche Version seit 2007 unter dem Titel „Das verdächtige Saxophon“). Zuletzt war sie 2018 in Haus Kemnade(Bochum), in der Villa Wahnfried im Richard Wagner Museum Bayreuth und in Zagreb zu sehen.
 
Aber zurück zu den Komponisten der Saitenspiel-Konzertreihe 1919/20. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei im März 1939 wurden die dortigen Juden behandelt wie die deutschen, also gesellschaftlich ausgegrenzt und ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Die Nazis brachten sie alle nach Theresienstadt, jene kleine Garnisonstadt südlich des Erzgebirges, in der vor der Einrichtung des Nazi-Lagers ca. 8.000 Menschen lebten. In diesem Ghetto wurden bis Juli 1943 insgesamt ca. 140.000 Juden festgehalten, nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung aus Böhmen und Mähren. Dazu gehörten auch die Komponisten Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krása und Viktor Ullmann. Sie waren nicht die einzigen Musiker im Lager. Wenige Tage Monate nach der Ankunft des jungen Gideon Klein wurden dort Konzerte mit bis zu 1.000 Zuhörern veranstaltet. Pavel Haas stammte aus Brünn, wo er bei Leos Janácek Musik studiert hatte. Er entwickelte unter der Lagersituation eine schwere Depression. Viktor Ullmann, der bei Arnold Schönberg studiert hatte, und zur Zeit 15 Jahre vor seiner Verhaftung als Korrepetitor unter Alexander Zemlinsky am Deutschen Theater in Prag arbeitete, schrieb in Theresienstadt Musikkritiken, von denen etliche erhalten blieben. Außerdem betrieb er dort ein Studio für Neue Musik. Hans Krása, hatte im Jüdischen Waisenhaus von Prag seine Kinderoper Brundibár aufgeführt und konnte in Theresienstadt auf darstellende Kinder zurückgreifen. Insgesamt wurde diese Oper in Theresienstadt von Häftlingen für Häftlinge 55 mal aufgeführt. Als Höhepunkt des Musiklebens in Theresienstadt gelten das Verdi-Requiem sowie eine konzertante Aufführung der „Verkauften Braut“. Insgesamt starben in Theresienstadt ca. 33.000 Insassen. Dazu wurden ab Januar 1942 viele in die Vernichtungslager abtransportiert. Infamerweise wurde die jüdische Selbstverwaltung mit der Zusammenstellung der Transporte beauftragt.
 
Wie die Musikgeschichte verlaufen wäre ohne die Ausschaltung der Komponisten, deren Werke im Rahmen der angekündigten Konzertreihe jetzt zusammengefaßt und der großen Kammermusik der Klassik und Romantik gegenübergestellt werden? Das wissen wir nicht. Aber wir haben die Chance, die Musik als Trösterin über alle Katastrophen hinweg verstehen zu lernen.
 
„Saitenspiele Wuppertal“ - 7 Konzerte in der Spielzeit 2019-20 zum Thema
29.09.2019 Schumann Quartett mit Pablo Barragan, Bassettklarinette: W.A. Mozart: Streichquartett Nr.20 D-Dur KV 499 „Hoffmeister – Quartett“, Viktor Ullmann: Streichquartett Nr. 3 op.46, W.A. Mozart: Klarinettenquintett A-Dur KV 581
03.11.2019 Novus String Quartet: W.A. Mozart: Streichquartett Nr.17 KV 458 „Jagdquartett“, Gideon Klein: Streichquartett Nr.2, Johannes Brahms: Streichquartett op.51 Nr.2
19.01.2020 Rolston String Quartet, Felix Mendelssohn Bartholdy: Streichquartett op.13, Erwin Schulhoff: 5 Stücke für Streichquartett, Ludwig van Beethoven : Streichquartett op. 130 mit großer Fuge
28.03.2020 Meccore String Quartet: Leoš Janáček: Streichquartett Nr.1 „Kreutzersonate“, Hans Krása: Streichquartett (1921), Hans Krása: Passacaglia und Fuge (1944) für Streichtrio, Peter Tschaikowsky: Streichquartett Nr.2 op.22
29.03.2020 Bennewitz Quartett: Pavel Haas: Streichquartett Nr.2 op.7 „Von den Affenbergen“, Franz Schubert: Streichquintett C-Dur D 956
17.05.2020 Jerusalem Quartet, Joseph Haydn: Streichquartett op. 72 Nr. 2 „Quintenquartett“, Erwin Schulhoff: 5 Stücke für Streichquartett, Ludwig van Beethoven: Streichquartett Nr.15 a-moll op.132
11.06.2020 Prisma Quartett: Zoltán Kodály: Streichquartett Nr.2, Pavel Haas: Streichquartett Nr.3 op.15, Ludwig van Beethoven: Streichquartett op.59 Nr.3