Minkewitz
oder
Das Neue Deutschland
Es ist 30 Jahre her, daß die DDR sang- und klanglos im Orkus der Geschichte versank. Anders: Sie wurde „abgewickelt“. Bis heute sieht man noch die Spuren dieses schmerzhaften Prozesses in der Provinz der ostdeutschen Bundesländer. Noch lange nach dem Beitritt zur Bundesrepublik, der euphemistisch bis heute Wiedervereinigung heißt, markierten unterschiedliche Färbungen der Landkarte in den Fernsehnachrichten die einstigen Nachkriegsstaaten BRD (hellgrün) und DDR (dunkelgrün), damit bloß keine Gefühl der Einheit, keine Gleichheit aufkäme. Und bis heute hört man allenthalben, vor allem aus dummem Politikermund die häßliche Bezeichnung „Neue Bundesländer“. Das reißt trotz überwiegender Zufriedenheit mit den neuen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen immer wieder Gräben auf.
Dazu tragen auch „Nachgeborene“ und solche, die bis auf den Tag in Vorurteilen gegen ihre Mitbürger gefangen sind, die im System des „real existierenden Sozialismus“ aufwuchsen, indem ein geradezu mystisches Bild der ehemaligen DDR gezeichnet wird. Es war ein Unrechtsstaat, eine Diktatur mit Mangelwirtschaft, Unfreiheit, Staatssicherheit, Überwachung und Gängelei. Es war aber auch die Heimat von 17 Millionen Deutschen, die sich im Wesentlichen, auch ohne Akzeptanz des Systems, in den begrenzten Möglichkeiten eingerichtet haben, sich einrichten mußten.
Es ist seither eine Vielzahl von Belletristik und Sachbüchern über das Thema auf den Markt geworfen worden – Analysen, Chroniken, und auch viel Ostalgie.
Ab heute gibt es im Verlag Antje Kunstmann ein belletristisches Glanzlicht auf diesem weiten Feld, den Roman „Wie Frau Krause die DDR erfand“ von Kathrin Aehnlich. Für den Dreh einer Fernsehserie mit attraktivem Honorar läßt dich die redlich erfolglose Schauspielerin Isabella Krause, geboren und aufgewachsen in der DDR, nur zu gerne verpflichten. Als sie erfährt, daß es um eine Dokumentation über die DDR geht, für die sie sogar Zeitzeugen vor die Kamera holen soll, muß sie sich zwar überwinden, greift aber, auch wenn sie mehr Jahre im vereinten Deutschland verbracht hat als in der DDR zu und stürzt sich in ein Abenteuer, das sie weit in ihre eigene Vergangenheit und an die Orte ihrer Kindheit nach Minkewitz zurück führt. Tele-Lotto („Das war ein Durchläufer, Herr Rohr!“), Schrankwand „Kompliment“, Doppelliege „Dagmar“, Sitzgruppe „Giebichenstein“, Schlager Süßtafel, Dederon, ORWO, Lipsi und Plastebehälter für Folien-Milchtüten – alles begegnet ihr wieder, genauso wie der solidarische Zusammenhalt und der hintergründige Humor, der ebenso ein Kind der DDR war wie Plattenbauten und Vierfrucht-Wermut.
Mit dem besagten Humor und Hilfe von Freunden „baut“ Isabella Krause den Filmleuten, denen die Wirklichkeit nicht wirklich genug erscheint, eine DDR wie aus dem Bilderbuch inklusive Sächsisch-Unterricht für einen Wessi. Kathrin Aehnlich ist mit dem kleinen Roman (175 Seiten) ein deutsch-deutsches Porträt von tiefem, warmem Humor und Versöhnlichkeit gelungen, ein Buch voller Schlagfertigkeit, das in seiner spontane Lacher garantierenden Heiterkeit viel mehr über das wahre Leben in der DDR erzählt, als manche „ernsthafte“ Abhandlung.
Eine herzliche Empfehlung der Musenblätter und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß belohnt.
Kathrin Aehnlich, geb. 1957 in Leipzig. Studium an der Ingenieurschule für Bauwesen, 1985-88 am Literaturinstitut in Leipzig. Abschlußarbeit. Veröffentlichte Hörspiele, Erzählungen und ein Kinderbuch. Journalistische Arbeit, zunächst für Die andere Zeitung, seit 1992 feste freie Mitarbeiterin in der Feature-Redaktion von mdr Figaro. Autorin und Regisseurin von Hörfunkfeatures und Dokumentarfilmen.
Kathrin Aehnlich – „Wie Frau Krause die DDR erfand“
© 2019 Verlag Antje Kunstmann, 175 Seiten, gebunden, Schutzumschlag - ISBN: 9783956143168
18,- €
Weitere Informationen: www.kunstmann.de
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