Ein Film für Fans

„Nurejew – The White Crow“ von Ralph Fiennes

von Renate Wagner

Nurejew – The White Crow
(The White Crow - Frankreich/GB 2018)

Regie: Ralph Fiennes
Mit: Oleg Ivenko, Ralph Fiennes, Adèle Exarchopoulos u.a.

 
Die Wiener liebten ihn besonders, aber er war ein Faszinosum für die ganze Welt: Rudolf Nurejew, dieser unvergleichliche Tänzer, dieser hochmütige junge Russe, der in den Westen „sprang“ und ihn eroberte. Wobei das „Springen“ nicht so einfach war, und genau dieses Thema stellt sich der Film von Ralph Fiennes, sonst bekannt als Schauspieler (der auch hier eine Rolle übernimmt, weil die Produzenten es erwarteten – er ist der einzige bekannte Name in dem Unternehmen…).
„Haben Sie heute Abend getanzt?“ fragt eine französische Dame bei der Premierenfeier in Paris, nachdem das Kirow-Ballett aus St. Petersburg sein viel beachtetes Gastspiel begonnen hat. „Wenn ich getanzt hätte, hätte Sie es sich gemerkt“, antwortet der junge Russe mit hochmütigem Blick. Rudolf Nurejew, damals im Jahr 1961 gerade 23 Jahre alt… und von grandiosem Selbstbewußtsein.
 
Was man kursorisch weiß: Nurejew ist damals in den Westen abgesprungen, wird hier nun in aller Ausführlichkeit erzählt. Das ist der starke Rahmen einer Geschichte, die immer wieder in die Vergangenheit zurückgeht – mit einer entschlossenen Mama, die ihren kleinen Rudik an der Hand hält und den Marsch durch die sperrigen kommunistischen Institutionen antritt. Rudik als der dünne, kleine Junge, der sich immer fremd fühlte – und der das Theater so liebte. Bis er dann seinen Weg ins Ballett machte, unterstützt von jenem Alexander Puschkin (den Fiennes glatzköpfig selbst spielt), der vom KGB alle Schwierigkeiten der Welt bekam, als sein Schützling aus dem Westen nicht zurückkehrte.
Diese Haupthandlung in Paris lebt von der andauernd präsenten Spannung der Situation, die Fiennes als Regisseur sehr gut ausmalt: der junge Nurejew, der mit unendlicher Neugierde den „Westen“ in sich einsaugt, der im Louvre vor dem Revolutionsbild von Delacroix steht, der aber auch den Franzosen sagt, daß sie die Kunstform des Balletts vielleicht erfunden haben mögen, daß die Energie aber aus dem Osten käme… und natürlich meint er sich persönlich.
Was ist anders, als Nurejew mit Hilfe von Puschkin in den Mittelpunkt rückt? Vor ihm, erklärt man uns, war der Tanz der Männer langweilig, alles konzentrierte sich auf die Primaballerina. Seine ungeheure Ausstrahlung, seine Entschlossenheit, immer der Beste zu sein, brachte da die Wende. Auf einmal war der Erste Tänzer der Star – und er ist es geblieben, solange er lebte, wann immer er eine Bühne betrat.
 
Fiennes konnte diesen Film nur machen, weil er in dem Tänzer Oleg Ivenko (in der Ukraine geboren, wird als Russe geführt) schlechtweg eine Idealbesetzung gefunden hat. So jung, wie Nurejew damals war, mit ungeheurer, kraftvoller Ausstrahlung als Tänzer (laut Wikipedia ist er Solotänzer in Kasan), der die besondere, störrische, entschlossene, unbezähmbare Persönlichkeit Nurejews in jeder Sekunde glaubhaft macht.
Nurejew, wie alle seiner Kollegen bei diesem Gastspiel ununterbrochen von KGB-Leuten belauert, suchte so viel Kontakt, wie er konnte. Es ist historisch, dass er Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) kennen lernte, und es ist eine – tragische – Tatsache des Schicksals, daß ihr wenige Tage zuvor getöteter Geliebter der Sohn des Kulturministers Andre Malraux war: Vermutlich hätte sie sonst nicht so viel Prestige besessen, Nurejew bei seiner Flucht zu helfen.
Daß Nurejew „auf dem Sprung“ war, zeigt sich schon daran, daß er rechtzeitig Englisch gelernt hatte, um im Westen kommunizieren zu können. Die KGB-Leute witterten sehr wohl, was er vorhatte. Als die Truppe nach London weiter reisen sollte, wurde beschlossen, Nurejew solle auf der Stelle in die UdSSR zurückkehren. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, und am Flughafen kam es zum Eklat. Clara, die alles für ihn getan hatte, die für ihn schon den Asylantrag gestellt hatte, kam auf den Flughafen, angeblich um sich zu verabschieden, tatsächlich, um ihn in dem Wirbel, den er veranstaltete („I want to be free!“ brüllte er), von den KGB-Leuten weg und zu den Pariser Behörden hinzulotsen, die schon von ihr informiert waren.
Da nimmt die Geschichte wirklich gewaltig an Dramatik auf… Die Russen dringen zu ihm durch, erklären ihm, welchen Fehler er macht, erpressen ihn emotional mit seiner Mutter, verlangen, daß er sofort mit ihnen kommt, und Nurejew sagt immer nur: „Njet“…
Und Fiennes schneidet Bilder des kleinen Jungen, der tanzt, gegen den ungeheuren Medienrummel, den Nurejew in Paris verursacht – und gegen das peinliche Verhör seines Mentors durch die KGB-Leute, die ihn verantwortlich machen.
Tanz und Politik einerseits, das Porträt eines faszinierenden Künstlers andererseits: Wohl vor allem ein Film für Fans, aber diese werden hingerissen sein.
 
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Renate Wagner