Eine Maus veränderte die Welt

David Gerstein, J. B. Kaufman – „Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“

von Frank Becker

© 2019 Taschen Verlag / © Disney 
Eine Maus veränderte die Welt
(Vom fröhlichen Flußkapitän zum Taugewas)

Die ganze Geschichte der Micky Maus
in einem Pachtband
 

Vor 91 Jahren trat Walt Disney´s Mickey Mouse auf den Plan
 
Ein neunmalkluger Besserwisser ist Micky Maus (so heißt die beliebte Comic-Figur im deutschen Sprachraum) nicht von Anfang an gewesen, aber dann bis heute geblieben. Als am 18. November 1928 zum ersten Mal „Steamboat Willie“ als Zeichentrick-Held fröhlich pfeifend und natürlich noch in schwarz/weiß am Ruder eines Flußschiffs über die Tonfilm-Leinwand tuckerte und flimmerte, begann eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Der damals 26 Jahre alte Zeichner Walt Disney war ein Visionär, der sofort die Möglichkeiten des Mediums Film erkannt hatte. Die gemeinsam mit Ub(be) Iwerks entwickelte Figur der übermütigen kleinen Maus sollte sich zum Selbstläufer, zum Dauerbrenner und zur Legende entwickeln. Das ist sicher zum großen Teil den großartigen Disney-Zeichnern, allen voran Floyd Gottfredson und Paul Murry zu verdanken, die über Jahrzehnte zwar immer wieder leicht das äußere Bild Mickys verändert, es Zeitströmungen angepaßt haben, nicht aber an den Charakter rührten: ehrlich und gesetzestreu, überlegen und souverän und stets auf pfiffige Art altklug - oder eben, wie oben beschrieben: neunmalklug.

Das hat mich als jungendlichen Leser dem anfangs häufig mit Micky Maus gemeinsam agierenden Donald Duck in die Arme getrieben, der stets den Kampf gegen die Tücken der Welt zu bestehen hatte. Wer will sich schon immer Gutmenschentum vorleben lassen. Da gefiel mir die impulsive, freche Maus, die Floyd Gottfredson etwas früher entworfen hatte, schon besser. Allerdings konnten die späteren spannenden Detektivgeschichten mit Dauergegener Kater Karlo (Peg Leg Pete) und mit Assistent Goofy und Kommissar Hunter durchaus versöhnen.
 

v.l.: Klarabella, Minnie, Mickey, Rudi Ross © Disney - Quelle: Taschen Verlag

Mickeys Karriere
 
Die Karriere von Mickey Mouse begann also mit dem Film, und Peg Leg Pete war als Konterpart von Anfang an dabei. Der Trickfilm ist auch das Kernthema eines einzigartigen Buches, das als Referenzwerk zum Leben der berühmtesten Maus der Comic-Geschichte soeben im Kölner Taschen Verlag erschienen ist. Was sage ich: Buch… Es ist ein im Folio-Format 2º aufgelegter Prachtband mit farbig geprägtem, seidenmatten Ganzleinen und applizierter Mickey Mouse Graphik auf dem Deckel. Auf 496 Seiten 120 g Kunstdruckpapier erzählen David Gerstein und J. B. Kaufman in „Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“ die ganze Geschichte von „Steamboat Willie“ über „The Klondike Kid“, „Barnyard Olympics“, „The Musical Farmer“ und die Silly Symphonies (1929-1939) bis zu den abendfüllenden Meisterwerken „Fantasia“ (1940) und „Fun and Fancy Free“ (1947). Eine zweite bis heute wichtige Figur wurde Mickeys Dauerfreundin Minnie, die eine Parallelentwicklung zu Mickey erlebte. Über 1.250 Abbildungen, darunter Werkfotos, Animationszeichnungen, Storyboards und seltene Entwürfe, zeichnen Mickeys Siegeszug nach und liefern detaillierte Informationen über alle rund 122 Zeichentrickfilme, die zeitlosen Comicabenteuer und das unendliche Universum des Mäusemerchandise.

Apropos Merchandising
 
Diesem wichtigen Kapitel der der Mickey Mouse Geschichte widmet das Buch mehrere Abschnitte, dem ab 1932 einsetzenden Vermarkten der Maus, dem Handel mit Fan-Artikeln, Sammelbarem und Souvenirs. Der Werbefachmann Kay Kamen brachte diesen Bereich auf eine Erfolgsstraße, die bis heute ungebrochen und sogar zunehmend anhält: Spielzeug, Mickey-Figuen, Uhren von Ingersoll, Krawatten, Kartenspiele, Stifte, Kleidung, Telefone, Tassen, Schallplatten und, und, und… Viele interessante Seiten mit Abbildungen der Kultgegenstände und diverser Prospekte dazu kann man im Buch amüsiert durchblättern.


Fantasia © Disney - Quelle: Taschen Verlag

Dann holte der notorisch cholerische, dennoch liebenswerte Pechvogel Donald Duck im Rennen um die Beliebtheit plötzlich merkbar auf und begann der Maus die Show zu stehlen. Einerseits gut fürs Disney-Geschäft, schlecht aber für das bisherige „Flaggschiff“ Mickey. „Fantasia“ rettete der Maus sozusagen das Leben, denn bald hatte der zornig schnatternde Donald Duck nicht zuletzt dank der Stimme von Clarence Nash Mickey auf der Leinwand überholt. Für den legendären, aus acht Einzelfilmen in fünf Jahren gezeichneten und zusammengestellten abendfüllenden Streifen wurden Stücke der musikalischen Weltklassik in phantasievollen Zeichentrick übersetzt, mit dem „Zauberlehrling“ von Paul Dukas als zentralem Stück. Mickey übernimmt hier in seiner von Fred Moore neu erfundenen „runderen“ und menschenähnlicheren Gestalt die Rolle des Goetheschen Zauberlehrlings – ein Meisterwerk des Trickfilms, aber erst spät durchschlagender Erfolg, der sich bei enormen Produktionskosten nach anfänglich mageren Jahren längst auch zum geschäftlichen Dauerbrenner entwickelt hat. Ähnlich erfolgreich zeigte sich „Mickey and the Beanstalk“, nachdem der Film als Solo aus der abendfüllenden Doppelvorstellung „Fun and Fancy Free“ (1947) gelöst worden war.
Das wunderbare Buch zeigt mit historischen Fotos, Entwürfen, Einzelzeichnungen, Entwicklungsstufen, Film-Stills, Plakaten und sorgfältig recherchierten Begleittexten in opulenter Form schwelgerisch die Hintergründe, Fakten und Geschichte aller Mickey Mouse Filme.
 
Mickey Mouse als Comic-Strip


© Disney - Archiv Musenblätter

© Disney - Archiv Musenblätter
Walt Disney, Ub Iwerks und der Zeichner Win Smith folgten ab 1929 dem Publikumswunsch, die Geschichten der frechen kleinen Maus auch als Comic Strip, zunächst wie in den USA üblich in Sonntagsbeilagen von Zeitungen, bald aber in eigenen Comic-Heften anzubieten. Ab 1933 gab es im Dell-Verlag, später bei Gold Key, Gladstone und Whitman regelmäßig die „Walt Disney´s Comics and Stories“. Der Siegeszug war nicht aufzuhalten und die Welle der Begeisterung für die gezeichneten Geschichten schwappte bald nach Europa über. In Deutschland druckte die Kölnische Illustrierte Zeitung ab 1930 die Strips  in der Schweiz erschien ab 1937 die
Micky-Maus-Zeitung, und in Italien ebenfalls 1937 das Magazin „Topolino“ mit Mickey-Geschichten. 1949 setzte „Topolino“ ganz auf Mickey Mouse, begann seine Zählung wieder bei 1 und wurde die italienische Variante von „Walt Disney´s Comics and Stories“, übrigens sehr bald auch mit Geschichten im Taschenbuch-Format. Der dänische Egmot-Verlag vertrieb ab 1948 Disney-Material in Skandinavien (Anders And, Kalle Anka, Andres Önd) und ab 1950 über die Tochter Ehapa in Deutschland.

68 Jahre das Micky Maus Heft in Deutschland

Am 29. August 1951 begann mit dem deutschen Micky Maus-Heft Nr. 1 (mit dem Titelbild von Dell Comics No. 214, vgl. Buch Seite 410) eine publizistische Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Für 75 Pfennige (ein Preis, der übrigens bis Ende 1961, also mehr als zehn Jahre lang stabil blieb!)
 
Nr. 1-1951 © Disney - Archiv Musenblätter

Nr. 3-1951 © Disney - Archiv Musenblätter
(vgl. Topolino, Buch Seite 426)
gab es von diesem Tag an am Kiosk allmonatlich ein Comic-Heft, das Kinder und Erwachsene gleichermaßen amüsierte und pädagogisch wertvoll unterhielt. Als klein(st)er Zeitzeuge war ich damals zwar noch nicht des Lesens, wohl aber des Schauens fähig, und so mußte meine große Schwester mir die Geschichten von der schlauen Micky Maus Micky, dem dusselig-gutmütigen Goofy sowie dem treuen Hund Pluto und von Donald Duck und von seiner Entenhausener Mischpoche vorlesen. Das geschah oft auf dem Rücksitz des Brezel-Käfers, in dem unser Vater uns damals auf seinen Vertreter-Touren durch ganz Hessen mitnahm, während unsere Mutter in der Redaktion der „Offenbach-Post“ das karge Familien-Aufkommen verbesserte. Da waren 75 Pfennige für ein „Heftchen“ viel Geld, aber erstaunlicherweise wurde es für das Micky Maus-Heft ausgegeben - oder sollte man besser sagen: angelegt?

Die Figuren und Geschichten wurden nicht zuletzt dank der Chefredaktion der Germanistin Dr. Erika Fuchs (1906-2005), der die kongenialen deutschen Texte der Sprechblasen zu den grandiosen Zeichnungen von Carl Barks (1901-2000), Floyd Gottfredson u.a. gelangen, Teil unserer Kindheit. Die Hefte wurden bis zum völligen Zerfall wieder und wieder gelesen - später gab es alle 14 Tage eins, noch später und bis heute wöchentlich. Mit Eifer wurden im Mittelteil die Sammel-Schnipps für den MM-Klub ausgeschnitten und an den Verlag geschickt, damit am Fahrrad der Klub-Wimpel (20 Schnipps für den Wimpel, 50 für die Fahne) flattern konnte und man dazugehörte.
 

Foto © Frank Becker © Disney - Archiv Musenblätter

„Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“ ist das ultimative Werk über die Maus aus den Walt Disney Productions. Wenn Sie alles über Mickey Mouse erfahren möchten, ist dies die Quelle für Sie. Von den Musenblättern empfohlen und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezichnet. Unser Buch des Monats.
 
David Gerstein, J. B. Kaufman, – „Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“
Herausgegeben von Daniel Kothenschulte
© 2019 Disney Enterprises, Inc. / Verlag Benedikt Taschen - 496 Seiten, 40 x 30 cm, Ganzleinen-Hardcover mit Leseband, in Kartonverpackung mit Tragegriff – Gewicht: ca. 5 kg
ISBN 978-3-8365-5283-7 - Ausgabe: Deutsch
Inhalt:
Vorwort von Bob Iger 6 - Einführung: A Mouse of a Thousand Faces 10 - A Mouse is Born 22 - Mickey Comes to the Comics 84 - Mickey Mouse the Movie Star 98 - Technicolor Extravaganzas 166 - The Comics Adventurer 244 - Unfinished Rhapsodies 286 - Mickey on the Air 342 - Password: Mickey Mouse 354 - Mickey in the World of Features 370 - The Simple Things: Midcentury Shorts 394 - Modernizing Mickey 410 - A Small Screen and a Great Kingdom 428 - Pop and Nostalgia 442 - Cosmopolitan Mickey 456 - Twenty-First-Century Mouse 474 - Appendix mit Fußnoten, Register und Literaturverzeichnis
150,- €


Walt Disney © Disney - Quelle: Taschen Verlag

Weitere Informationen:  www.taschen.com