„Prinz Jussuf von Theben“

Eine Ausstellung über Else Lasker-Schüler und die Avantgarde

von Marion Meyer

Else Lasker-Schüler Theben mit Jussuf 1920
„Prinz Jussuf von Theben“

Ein Rundgang durch die Ausstellung zu
Else Lasker-Schüler und der Avantgarde

6. Oktober 2019 – 16. Februar 2020
im Von der Heydt-Museum Wuppertal
 
Die Ausstellung des Von der Heydt-Museums rücken das Leben Else Lasker-Schülers, ihre Zeichenmalkunst und ihr künstlerisches Netzwerk in den Fokus. Freundschaften waren Else Lasker-Schüler sehr wichtig, genau wie der Gedanke der Versöhnung. Nicht nur darin war sie wegweisend. Sie war erklärtermaßen eine Pazifistin. Ihr Schicksal einer Migrantin steht stellvertretend für viele im 20. Jahrhundert. Eigensinnig und selbstbewußt ging sie ihren Weg. Für eine Künstlerin, die damals noch nicht einmal eine Akademie besuchen durfte und als alleinerziehende Mutter lebte sie ihr Leben für die damalige Zeit erstaunlich selbstbestimmt. Ihr künstlerisches Spiel mit den Geschlechterrollen ist heute aktueller denn je. Die Ausstellung folgt chronologisch dem Lebensweg der Künstlerin von (Wuppertal-) Elberfeld nach Berlin und über die Schweiz, wohin sie vor den Nazis flüchtete, bis nach Palästina. Insgesamt versammelt die Schau mehr als 200 Exponate. Rund 80 stammen von Else Lasker-Schüler selbst, darunter zahlreiche Briefe und Bücher. Zitate aus Gedichten und Briefen unterfüttern die Zeichnungen und deren Kontext.
 
Fotos bieten im ersten Raum einen emotionalen Einstieg in die Ausstellung. Sie beleuchten die Geburtsstadt Elberfeld, in der Else Schüler am Fuß des Briller Viertels aufwuchs. Früh entwickelte sie ein starkes Gefühl für die von der Industrie und von sozialen Gegensätzen geprägte Atmosphäre des Wupper-Tals. Sie erlebte auch schon antisemitische Anfeindungen in ihrer Kindheit. Ihrer Heimatstadt (Wuppertal war damals noch nicht gegründet) blieb sie dennoch stets verbunden und verklärte später ihre Kindheit poetisch.
 
Raum 2 widmet sich ihrem Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben. 1894 zog sie mit ihrem Mann Dr. Jonathan Berthold Lasker nach Berlin, wo sie bald Teil der Künstler-Bohème wurde. Eine enge Freundschaft verband sie mit dem westfälischen Dichter Peter Hille, mit dem sie in den philosophischen Kreisen der Kommenden und der Neuen Gemeinschaft verkehrt. 1899 wird ihr unehelicher Sohn Paul geboren. Im Jar 1900 warb sie vergeblich um den ebenfalls nach Berlin gezogenen Elberfelder Schriftsteller Peter Baum. Else Lasker-Schülers erster Gedichtband „Styx“ (1902 bei Axel Juncker) stieß nicht zuletzt wegen seiner expliziten Erotik auf Kritik. Sie selbst zeichnete ihr berühmtes Selbstbildnis „Die lyrische Mißgeburt“, worin sie bereits ihren ganz eigenen Stil entwickelte. Das Bild entstand in Collagetechnik: Lasker-Schüler verband verschiedene Aspekte auf ganz eigene Weise miteinander, wie eben ein Puzzle ihres Lebens. Sie nahm Kunstunterricht, trennte sich von ihrem Mann und suchte Anschluß an literarisch-philosophische Kreise. 1903 heiratete sie den 10 Jahre jüngeren Komponisten Herwarth Walden, der 1904 den „Verein für Kunst“ gründete. Ab 1910 gab Walden mit Peter Baum die Zeitschrift „Der Sturm“ heraus, von der die Ausstellung einige Originaltitel zeigt. Else Lasker-Schüler veröffentlichte darin Gedichte und Prosatexte. Die 1912 gegründete „Sturm“-Galerie entwickelte sich rasch zu einem Zentrum der internationalen Avantgarde. Im gleichen Jahr beginnt ihre leidenschaftliche Affäre mit dem 17 Jahre jüngeren Dichter Gottfried Benn, dem sie in einer kleinen Zeichnung ihr Herz schenkt.


Paul Klee, Großer Platz in BOR, 1928

Raum 3 beschäftigt sich mit den neuen Impulsen in Else Lasker-Schülers Leben und Schaffen nach der Trennung nun auch von Herwarth Walden. Sie entwickelte Alter Egos, etwa Tino von Bagdad oder Jussuf von Theben, in denen sie sich in vielen Zeichnungen spiegelte, und spielte mit der Identität der Geschlechter. Gleichzeitig wurde in ihren Arbeiten die Faszination für den Orient immer deutlicher, eine Neigung, die sie mit den Künstlern des „Blauen Reiter“, zum Beispiel Paul Klee, teilte.
1912 lernte sie Franz Marc kennen, mit dem sich eine intensive Freundschaft entwickelte. Ihre Begegnung bildete den Auftakt eines Austauschs von Briefen und vor allem künstlerisch gestalteten Postkarten, von denen die Ausstellung in Raum 4 einige Originale und Faksimiles als Ersatz für die nicht ausleihbaren Originale zeigt. Franz Marc fällt 1916 in Ersten Weltkrieg bei Verdun.
In diesem Raum begegnet dem Besucher Else Lasker-Schüler selbst als Bild-Motiv: Einige ihrer Künstlerfreunde malten oder zeichneten sie, wie etwa Karl Schmidt-Rottluff, der sie als „Lesende“ verewigte. Über den „Sturm“ entwickelten sich engere Beziehungen zu den Expressionisten, vor allem zu den Malern der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“.


Franz Marc, Sitzender gelber Frauenakt 1913 - Foto: bpk  / Kupferstichkabinett SMB / Volker H. Schneider

Raum 5 vereint als Hommage Meisterwerke des „Blauen Reiter“ und der „Brücke“-Künstler wie Franz Marc, August Macke, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, Heinrich Campendonk, Paul Klee, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin und Otto Mueller, die sich alle an der Kunstauktion in München für die notleidende Else Lasker-Schüler 1913 beteiligten. Die Auflistung dieser Namen belegt die Anerkennung, die diese Künstler Else Lasker-Schüler entgegen brachten.
Zu dem komplexen Netzwerk der Berliner Kultur-  und Boheme-Szene aus Künstlern, Dichtern, Schauspielern, Galeristen und Verlegern (Raum 6), in der sich Else Lasker-Schüler bewegte, gehörten auch die Künstler Oskar Kokoschka und George Grosz sowie die Schauspielerin Tilla Durieux. Über den Dichter Theodor Däubler schrieb Else Lasker-Schüler ein Gedicht, ihm wiederum widmete Otto Th. W. Stein ein Gemälde. In einer Grafik hält Max Beckmann u.a. Lasker-Schülers Verleger Paul Cassirer und seine spätere Ehefrau Tilla Durieux fest. Christian Rohlfs verewigte Else Lasker-Schüler als „Dichterin“; mit dem Porträt von Stanislaus Stückgold war die Künstlerin selbst allerdings nicht zufrieden, wie ein Zitat von ihr belegt.
 
Raum 7 ist zweigeteilt: Der linke Teil ist Else Lasker-Schülers Traumwelt „Theben“ gewidmet. „Theben“ war für die Dichterin der Inbegriff ihrer orientalischen Fantasiewelt, Suche nach einer inneren Heimat und Fluchtpunkt gleichermaßen. Ihr Buch „Theben“ erschien 1923 in Alfred Flechtheims Querschnitt-Verlag. Darin sind jeweils zehn Zeichnungen und Gedichte einander gegenüber gestellt. Die Ausstellung präsentiert Vorzeichnungen, einzelne Seiten aus dem Buch, die die Künstlerin handkoloriert hatte, sowie eine Ausgabe des Buchs selbst.
Der andere Teil des Raums ist Else Lasker-Schülers Drama „Die Wupper“ gewidmet, das 1919 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. Zu sehen sind Bühnenbildentwürfe von Ernst Stern und Teo Otto sowie Fotos der Aufführungen. Auch wenn „Die Wupper“ soziale Probleme beleuchtet, verstand sie es selbst nicht als Drama, sondern als „Stadtballade mit rauchenden Schornsteinen und Signalen“. Else Lasker-Schüler reiste 1924 nach Venedig, ein großformatiges Foto in Raum 8 zeigt sie auf dem Markusplatz der Serenissima.


Ernst Stern Bühnenbildentwurf für „Die Wupper“ 1919 

Im letzten Raum widmet sich die Ausstellung u.a. den Künstlerfreundschaften. Der polnisch-jüdische Künstler Jankel Adler verkehrte wie Else Lasker-Schüler im „Romanischen Café“, damals neben dem Café des Westens der wichtigste Berliner Künstlertreff. Er schuf 1924 ein würdevolles Porträt von Else Lasker-Schüler, das zunächst dem Barmer Kunstverein gehörte, von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmt wurde und erst 1985 wieder auftauchte, so daß das Von der Heydt-Museum es zurückkaufen konnte. Immer deutlicher spürte Else Lasker-Schüler, wie auch andere Künstler, die Anzeichen bedrohlicher politischer Entwicklungen und thematisierte sie. Josef Scharl beleuchtete die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik in seinem Gemälde „Blinder Bettler im Café“ (1927) kritisch: Ein Kellner, der die Gesichtszüge Hitlers trägt, versucht einige unerwünschte Eindringlinge und Außenseiter zu vertreiben. Im Zentrum der Komposition am Tisch sitzend ist wohl Else Lasker-Schüler wiedergegeben. In der Figur des blinden Bettlers hat Scharl sich selbst dargestellt.


Josef Scharl,  Blinder Bettler im Cafe, 1927 © Susanne Fiegel

Die Künstlerin floh 1933 vor der nationalsozialistischen Verfolgung mit einem Visum für Ägypten in die Schweiz. Dreimal reiste sie von dort aus nach Palästina, von wo sie, dem Kriegsausbruch in Europa geschuldet, nicht mehr zurückkehren konnte und wo sie 1945 starb. In ihrem Buch „Das Hebräerland“ vermischte sie Reiseeindrücke mit Erinnerungen und Fiktionen. Ihre Zeichnungen sind zunehmend durch Impressionen aus Palästina geprägt, wie etwa „Die Chazidimväter zur Klagemauer“ (um 1935) oder „Das Café in der Altstadt Jerusalems“ (um 1936). Die Ausstellung endet mit dem letzten überleiferten Foto von Else Lasker-Schüler aus dem Jahr 1944, das sie unterwegs auf den Straßen Jerusalems zeigt.


Else Lasker-Schüler - Foto um 1932 Stadtbibliothek Wuppertal

Die Ausstellung wurde von Dr. Antje Birthälmer konzipiert, in deren Händen derzeit die Leitung des Von der Heydt-Museums liegt. Zur Ausstellung ist ein von Antje Birrthälmer herausgegebener Katalog zum Preis von 25,- € erschienen.
Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de
 
 
© Marion Meyer
Redaktion: Frank Becker