Über die schejnsten Tejcheser …und andere Abenteuer

Thomas Meyer – „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“

von Frank Becker

Über die schejnsten Tejcheser
…und andere Abenteuer
 
Die Leiden des jungen Meyer, Teil 2
 
Kann man Trittbrettfahrer bei sich selber sein? Thomas Meyer kann. Mit seinem zweiten Motti-Wolkenbruch-Roman knüpft er fünf Jahre danach fast nahtlos an den grandiosen Erstling „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ an. Das klingt zunächst gut, läßt sich auch gut an, weckt Hoffnung auf eine ebenso komische, ein wenig turbulente und herzerwärmende  Alltagskomödie aus dem Leben eines sich emanzipierenden Jidden. Thomas Meyer begibt sich aber im Bestreben, dem erfolgreichen Konzept des Erstlings noch eins draufzusetzen, beim Fabulieren auf sehr dünnes Eis, will sagen, in vermintes Gelände. Was mischt er in allerlei aufeinander zu laufenden Zeitebenen nicht alles zusammen: Altnazis mit Alpenfestung, Reichsflugscheibe und nicht erlahmendem Weltmachtstreben, das heimliche Weltjudentum mit Hauptquartier in einem israelischen Kibbuz, die Erfindung von Volksnetz, Handy, Fake News, Intelligenter Technik (oder war es Technische Intelligenz?),  Alexa / Schoschanna – und ganz nebenbei des ersten, einzigen und letzten umweltneutralen Antriebs für Flug- und Fahrzeuge. Ein Haufen Spielmaterial also.
 
Damit spielt Meyer nun und der Titel des Romans verrät es, in „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“ trifft unser Motti nach einigen Scharmützeln auf der Weltbühne und kleinen erotischen Schlenkern auf Hulda, eine, nein die Agentin der Neogermanen – und es kommt, wie es kommen muß. Zu verraten, daß er mit ihr, der Nazi-Schickse bzw. sie mit ihm im Bett landet anstatt von ihr liquidiert zu werden, nimmt der Geschichte nicht die Spannung. Und wie auch sonst soll es gehen, hat Hulda doch den schönsten Tuches, den Motti je gesehen hat, schöner noch als der von Laura und von der Reporterin des Time Magazine. Man spürt die Hingabe, mit der Thomas Meyer Tejcheser zu beschreiben, ja zu beschwärmen in der Lage ist. Da muß jedem Mann ein schönes Bild vor Augen treten und zumindest das Wasser im Munde zusammenlaufen. Es wird nahezu plastisch deutlich, daß a schejner Tuches jeder Ideologie oder Religion weit überlegen ist. Seine Macht kann die Welt retten. Das ist alles mit überbordender Phantasie wunderbar farbig erzählt und trotz der drängenden Urängste vor gefährlichen Ideologien, Krieg und Vernichtung durchaus lustig. Doch die verschiedenen, immer aberwitziger werdenden Erzählstränge könnten auch ohne maßlos überzeichnete Klischees und Weltkrisen blendend unterhalten. Der gute alte Grundsatz „Manchmal ist weniger mehr“ findet hier ein übervolles Beispiel.  
 
Womit allerdings alle verschwörerischen Juden, Neogermanen und Intelligenten Techniken nicht gerechnet haben (der geneigte Leser schon, kennt er Judith Wolkenbruch doch aus dem ersten Roman), sind die unendliche Liebe und die Durchsetzungskraft der jiddischen Mame. Judith macht eine erstaunliche, witzige Wandlung durch, und ihr und ihrer Logik muß sich schließlich sogar die germanische Haßmaschine beugen. Es gibt, na klar, ein Happyend, alle freuen sich, allen voran die Mame, die ihr Jingele samt Schickse zurück in den Schoß der Familie holt. Damit müßte Thomas Meyer die Traumata seiner orthodoxen Erziehung abgearbeitet haben. Ein Teil 3 sollte möglichst nicht folgen.
 
Thomas Meyer – „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“
© 2019 Diogenes Verlag, 272 Seiten, gebunden, Schutzumschlag – ISBN: 9783257070804
24,- €
Empfehlenswerte Lesehilfe: Wolkenbruchs Jiddisch-Glossar 
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch