Keine dämonische Bösewicht-Story, sondern eine traurige Krankengeschichte ohne Happyend

„Joker“ von Todd Phillips

von Renate Wagner

Joker
(USA 2019)

Regie: Todd Phillips
Mit: Joaquin Phoenix, Robert De Niro u.a.

Wenn er in hektische Lachattacken ausbricht, tut er es nicht, weil er bösartig, zynisch oder gemein ist: Es ist eine Krankheit, vergleichbar dem Tourette-Syndrom, nur daß es sich „Pseudobulbar Affect“ nennt. Kurz, der lachende „Joker“ ist in seiner jüngsten Leinwand-Verkörperung nicht dämonisch-abgründig (wie man ihn von Jack Nicholson im „Batman“-Film in Erinnerung hat). Tatsächlich bietet Regisseur Todd Phillips weit weniger eine Super-Bösewicht-Oper oder eine weitere Hochglanz-Verfilmung aus dem Comic-Kosmos als vielmehr – eine Krankengeschichte. Man könnte Arthur Fleck, der eigentlich nur ein mäßiger Unterhaltungskünstler mit Clown-Schminke ist, fast bedauern und tut es eine zeitlang auch, bis die Verbrechen, die er begeht, allzu schaurig werden.
Dennoch – das Besondere, das durch gezielte Werbung vermittelt wurde, ist der Film nicht, auch wenn das Publikum in den USA es glaubte: Rund 85 Millionen Euro am Startwochenende eingespielt, das ist stark. Was ist sonst noch stark an diesem Film, als dessen Vorbilder immer wieder Scorseses „Taxi Driver“ und „King of Comedy“ genannt werden, was man besser nicht tun sollte? Immerhin hat der Regisseur (der für die schrecklich dummen „Hangover“-Filme verantwortlich zeichnete und bisher offenbar nur Unsinn im Kopf gehabt hat) gegen das Klischee der Comic-Filme gearbeitet. Mit dem Ergebnis, daß Sozialdrama und „Psychiatrie aus dem Lehrbuch“ des Mannes, dessen Geschichte man (von der Überlieferung her) nicht kannte und dessen Hintergrund hier folglich neu erfunden werden konnte, so aufregend nicht sind.
 
Man begegnet Arthur Fleck als klassischem Underdog in einer ziemlich scheußlichen Welt. Dabei sieht Gotham City in den 80er Jahren – von Müll und Rattenpest zerfressen – gar nicht so fremd aus, heruntergekommene Viertel in amerikanischen Städten heute bieten denselben Look. Und ein Mann wie Fleck ist vielfach Produkt dieser Welt. Zwar kümmert sich anfangs noch eine Therapeutin / Sozialarbeiterin um den ehemaligen Psychiatrie-Insassen, läßt ihn seine Gedanken in ein Heft schreiben, gibt ihm Medikamente, aber dafür ist bald kein Geld mehr da. Daheim hat er eine alte Mutter, um die er sich rührend kümmert, um später zu erfahren, daß er adoptiert ist, von ihr mißbraucht wurde und viele seiner Komplexe auf sie zurückgehen (da ist er dann schon so weit, sie dafür zu ermorden). Beruflich arbeitet er gern als Clown, noch lieber im Krankenhaus und bei Kindern als auf der Straße, aber so richtig geschätzt wird er in dem Job nicht. Der Außenseiter, der mit sich selbst spricht, vor sich hin tanzt, immer irgendwo zwischen Realität, Erinnerung, Phantasie. Im harten Leben abgewiesen, gedemütigt, verachtet – alles, was das Sozialdrama zu bieten hat, Arthur Fleck bekommt es reichlich.
Und man weiß ja, was rauskommen kann, wenn solch eine arme Haut eine Waffe in die Hand bekommt – er wird sie auch benutzen, zuerst in der U-Bahn, wo drei mutwillige Wallstreet-Yuppies ihn verhöhnen und dafür niedergeschossen werden. Und von da an geht es bekanntlich ganz leicht, seiner Aggression freien Lauf zu lassen… das ist Alltagsrealität, zumal in den USA.
 
Und da ist noch ein Handlungsstrang, den Robert De Niro verwaltet, allerdings ist der größte Schauspieler von allen total unterfordert: Er spielt den prominenten Moderator einer Talk-Show, bei der sich Fleck aus dem Publikum meldet, nur um dann als lächerlich vorgeführt zu werden. Wenn Fleck später diese Show benutzt, um sich seiner Mordtaten zu rühmen, dann wird die Geschichte tatsächlich unheimlich. Sie ist es auch noch, als er im Polizeiauto mitten in den Aufstand gerät, den er in Gotham City verursacht, so daß alles noch kaputter erscheint als zuvor, Feuer, Chaos, marodierende Menschenmassen, die sich Clowns-Masken überziehen, um die Reichen zu attackieren (darunter jener Mr. Wayne, dessen Sohn Bruce einmal Batman sein wird – aber das weiß man aus Kinogeher-Erfahrung, erzählt wird es nicht) … die politische Aussage wird als Tüpfelchen auf dem „i“ noch geliefert.
Da hätte es einige gute Gelegenheiten gegeben, den rund zweistündigen Film zu beenden. Aber der Regisseur zerrt und zerrt die Story sinnlos weiter, bis unser tragischer Held im Irrenhaus in eine Art Licht eingeht, das mystisch wird – und mit dem Irrationalen hat man es ja nicht eben gehalten?
 
Nun zu Joaquin Phoenix, der weniger der Joker ist als – natürlich – das Trumpf-As des Films: Zwar sind Borderline-Persönlichkeiten nicht allzu schwer zu spielen, weil sie keine direkte psychologische Entwicklung durchlaufen müssen, sondern eben schockhaft mal so, mal anders ausbrechen dürfen und im Alltag eigentlich nur ein bißchen „irrlichtern“ müssen (was bald ein Schauspieler schafft). Daß Joaquin Phoenix mit seiner hier hageren Struktur (26 Kilo für einen Film abzunehmen, ist auch eine Leistung), grimassierend, hektisch lachend und gelegentlich auf Mitleid spekulierend, den Seiltanz zwischen bemitleidenswert und bedrohlich schafft, so daß man als Zuschauer zwar nie weiß, was man von ihm zu halten hat, ihn aber auch nicht gleich zu den „Bösen“ verwirft – das bekommt er tadellos hin. Man soll ihm dafür bloß nicht den „Oscar“ in die Hand drücken, so toll ist es dann auch wieder nicht.
Im Endeffekt ist das Beste an „Joker“ das, was die Presseabteilung in Hollywood geleistet hat: Ein Publikum so neugierig zu machen, daß es Millionen und Abermillionen Dollars in die Kinokassen fließen läßt, ist schon eine Leistung. Und das, indem man verschweigt, was der Film ist: nämlich keine glitzernde, dämonische Bösewicht-Story, sondern eine traurige, alltägliche Krankengeschichte ohne Happyend. Ein Film, der übrigens so zwiespältig ist, daß die Kritiker-Reaktionen von Begeisterung bis zu „Enttäuschung des Jahres“ reichten.
 
 
Renate Wagner