Über die Arbeit

von Egon Friedell

Egon Friedell - Foto: Edith Barakovich
Über die Arbeit
 
Allenthalben, schon von Kindheit an tönt uns die graue, bleierne Warnung entgegen: „Arbeitet! Das ist der Sinn eures Daseins!“ Aber es wäre gar nicht so übel angebracht, dem Alltagsmenschen einmal die gegenteilige Warnung zuzurufen und ihm zum Bewußtsein zu bringen, daß er eigentlich viel zu viel arbeitet. Er operiert mit einem ungeheuren Überschuß oder, in seiner Sprache zu reden, Saldo an Arbeitskapital, nämlich an überflüssigen Sorgen, Strapazen, Berechnungen einer Zukunft, von der nur das eine gewiß ist, daß sie nicht so sein wird, wie er sie sich vorstellt. Es wäre für seinen Körper und seine Seele viel gesünder, wenn er einfach in den Tag hineinlebte. Dies wissen noch heute alle Völker des Südens; dies wußte das ganze Altertum, das ganze Mittelalter; erst mit der zunehmenden Verdüsterung Europas, die mit der französischen Revolution anhob, hat die Arbeit aufgehört, für einen Druck und eine Schande gehalten zu werden.
(…)
     Selig sind die Müßigen, denn nur sie werden die Herrlichkeit Gottes schauen; selig sind die Stunden der Untätigkeit, denn in diesen arbeitet unsere Seele. Die Arbeit ist ein Fluch, der über den Menschen verhängt wurde, als er vertrieben ward aus dem Paradies des Nichtstuns.
 

Egon Friedell