Schlemmer-Filet

Der 15. Schnappschuß - mit Musik

von Frank Becker

v.l.: Liviu Neagu-Gruber, Axel Heß (verdeckt), Jens Brockmann, Hyeonwoo Park, Konstantin Rickert, Martin Petschan,
Thomas Braus, Julia Meier, Gregor Plettner
- Foto © Katrin Süss


Schlemmer-Filet
 
Ein Schnappschuß mit Musik
 
Der Ort war ausgefallen wie stets, wenn die Wuppertaler Bühnen für ihre Schnappschüsse „außer Haus“ gehen. Die lichtdurchflutete, für das Unternehmen auch akustisch geeignete obere Ausstellungshalle des Skulpturenparks „Waldfrieden“ war gestern für etwas mehr als eine halbe Stunde die Bühne für das Oskar Schlemmer (1888-1943) gewidmete Kurzprogramm „Es war die Baßnachtigall und nicht die Lerche“, das die theatertheoretischen Texte des Bauhaus-Malers, Bildhauers und Bühnenbildners in Auszügen mit einer Performance aufgriff. Die vier dafür angetretenen Ensemble-Mitglieder der Bühnen - Thomas Braus, Julia Meier, Martin Petschan, Konstantin Rickert – holten sich für den 15. „Schnappschuß“ hochkarätige musikalische Unterstützung durch ein Streichquartett des Sinfonieorchesters Wuppertal (Liviu Neagu-Gruber, Violine - Axel Heß, Violine – Jens Brockmann, Viola – Hyeonwoo Park, Violoncello) und durch Gregor Plettner am Kontrafagott.
 
Die Filet-Stücke aus Oskar Schlemmers „Mensch und Kunstfigur“, geschrieben während seiner Wuppertaler Jahre, sowie Briefauszüge aus dieser Zeit, die er unter der fördernden und schützenden Hand des Lackfabrikanten Kurt Herberts verbringen konnte, wurden von einer mehr oder weniger improvisierten reinweißen Gips-Maskerade begleitet, die im scharfen Kontrast zu Schlemmers 1941 in der Barmer Concordia aufgeführtem „Lackballett“ (mit farbigen geometrischen Kostümen vor schwarzem Hintergrund) stand. Auch zu den weichen Plastiken Tony Craggs, zwischen denen sich das Geschehen abspielte, ergab sich ein sonderbarer Kontrast. Hier wurde nur die Veränderung im Spiel durch Maske, Form und Verstellung thematisiert.
„Indem Schlemmer von der Darstellung physiognomischer, psychologischer und sozial-kultureller Differenzierungen absah, hat er als Maler, Plastiker, Zeichner und Graphiker, als Bühnengestalter und Kunstpädagoge ein Leben lang daran gearbeitet, den Menschen in seiner essentiellen Grundform, in seiner Idealität, zu erfassen“, schreibt Schlemmer-Kenner Rainer K. Wick 2015 in seinem Aufsatz ‚Oskar Schlemmers Menschenbilder‘.
 
Beinahe mehr Leben als Schlemmers pädagogische, theoretisch-trockene Texte vermittelten die stimmungsvollen Auszüge der kammermusikalischen ‚Fünf Stücke für Streichquartett‘ Erwin Schulhoffs (1894-1942) und vor allem die von Gregor Plettner hinreißend interpretierte ‚Baßnachtigall‘ für Kontrafagott des Prager Komponisten. Die tiefen Töne dieses wunderbaren Instruments gingen spürbar unter die Haut.
Dazwischen aber die zunächst emsige, dann unter Gipsbandagen langsam erstarrende, die Texte begleitende Performance, die Verwandlung zur statischen Kunstfigur, aus der sich schließlich nur einer aus der Gruppe lösen und in die gänzlich unmaskierte Freiheit entwischen konnte. Konstantin Rickert machte dabei eine beachtlich gute Figur.


v.l.: Thomas Braus, Julia Meier, Martin Petschan, Konstantin Rickert - Foto © Katrin Süss
 
Oskar Schlemmer schrieb nach der Aufführung 1941 in einem Brief an seine Frau Tut: „Das Fest ist verrauscht. Das Tänzchen ‚Reigen in Lack‘ dauerte etwas mehr als drei Minuten, nach einer Sarabande von Händel, langsam und getragen. Sechs Damen, jede ein anderes Kostüm aus Glaskugeln, Bierdeckeln, Pappformen, etc. Sie machten es recht und schlecht. Mehr wäre gar nicht möglich gewesen. Der Reigen gefiel Dr. Herberts sehr; er wünschte, daß die Kostüme erhalten bleiben, um gelegentlich nochmals gezeigt zu werden. Auch in der Zeitung genannt: ‚von einzigartigem Reiz‘. Die Gebildeten waren sehr angetan, der einfache Mann fragt: ‚Was soll das bedeuten?‘. Aber das ist das Schicksal der Dinge.“ – Wuppertal, 9. Dezember 1941.
 

Martin Petschan - Foto © Katrin Süss

Hier waren alle sehr angetan, nach der Bedeutung fragte niemand. – Wuppertal, 18. Oktober 2019