Von Weimar nach Wuppertal

Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer im Von der Heydt-Museum (2)

von Rainer K. Wick

Oskar Schlemmer, Bierdeckelmädchen. Performerin für das
Lackballett, 1941
Von Weimar nach Wuppertal

Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer
im Von der Heydt-Museum
 
Teil 2
 
Von Rainer K. Wick
 
Schlemmer und der sogenannte Wuppertaler Arbeitskreis
 
Nachdem 1932 die Breslauer Kunstakademie geschlossen wurde, übernahm Oskar Schlemmer ein Lehramt an den Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe in Berlin-Charlottenburg, wurde aber schon im Frühjahr 1933 als ehemaliger Bauhäusler von den Nazis fristlos entlassen. Im Jahr 1937 wurden auf der Münchner Femeausstellung „Entartete Kunst“ sechs seiner Werke gezeigt, weitere aus deutschen Museen wurden konfisziert. Schlemmer mußte schmerzlich erfahren, das seine Vorstellung vom „idealen Menschen“ mit dem von den Nationalsozialisten propagierten Menschenbild des germanischen Herrenmenschen beziehungsweise des arischen Superhelden nicht kompatibel war. Hatte er noch kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten einen Protestbrief an Goebbels gerichtet und sich – erfolglos – gegen die Diffamierung der „Modernen [...] als artfremd, undeutsch, unwürdig und unnatürlich“ gewandt und betont, daß „die Künstler im Grunde ihres Wesens unpolitisch [sind] und sein müssen, weil ihr Reich von einer anderen Welt ist“, sah er sich bald, da er Berufsverbot erhielt und nicht mehr ausstellen konnte, seiner Existenzgrundlage beraubt und mußte zum Broterwerb in einem Stuttgarter Malerbetrieb arbeiten.
Eine gewisse Verbesserung der Lage ergab sich für ihn im Jahr 1940 mit der Anstellung in der Wuppertaler Lackfabrik von Kurt Herberts und dem Auftrag, dort die künstlerischen Möglichkeiten des Lacks, eines in der bildenden Kunst des Westens kaum gebräuchlichen Werkstoffs, auszuloten. Damit beginnt der zweite Teil der Ausstellung, der dem Wirken Schlemmers im sogenannten Wuppertaler Arbeitskreis gewidmet ist.
 
Sein Initiator, der promovierte Chemiker Kurt Herberts, war nicht nur ein dynamischer Unternehmer, der in den 1920er und 30er Jahren seine Fabrik zu einer der deutschlandweit bedeutendsten Produktionsstätten für moderne Industrielacke gemacht hatte, sondern auch eine hochkultivierte, anthroposophisch gebildete Persönlichkeit mit ausgeprägten kulturellen und künstlerischen Interessen. Er besaß eine hochkarätige Sammlung ostasiatischer Lackkunst, sammelte auch zeitgenössische Kunst und engagierte sich als Mäzen für regionale und überregionale Künstler. Obwohl Herberts-Lacke im „Dritten Reich“ als für die Luftwaffe, die Marine und auch für die Reichsbahn als „kriegswichtig“ galten und Kurt Herberts von den Nazis 1940 sogar zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt wurde, war er offenbar nie Mitglied der NSDAP und konnte mit beträchtlicher Zivilcourage in seinem Unternehmen sogar Künstler beschäftigen, die vom NS-Regime als „entartet“ abgestempelt wurden. Als die prominentesten unter ihnen sind Willi Baumeister und Oskar Schlemmer zu nennen – beide in den 1910er Jahren Hölzel-Schüler und Studienkollegen an der Stuttgarter Akademie. Sie bildeten den Nukleus dessen, was als Wuppertaler Arbeitskreis in die Geschichte eingegangen ist. Dazu gehörten neben den Architekten Franz Krause und Heinz Rasch im erweiterten Sinne auch die ehemaligen Bauhaus-Lehrer George Muche und Gerhard Marcks und andere. In diesen Zusammenhang wird regelmäßig folgende Passage aus einem Brief Schlemmers an seine Frau aus dem Jahr 1940 zitiert, der zwar auf die damalige Situation in Krefeld gemünzt ist, aber durchaus auf die Wuppertaler Situation übertragbar ist: „ [...] soviel Bauhaus auf einem Fleck und alles brauchbare Leute.“
 

Oskar Schlemmer, Ohne Titel (Lackgusstechnik), um 1941

Kurt Herberts hatte ein leidenschaftliches Interesse nicht nur für die künstlerische und kunsthistorische Seite von Lack als Gestaltungsmittel, sondern für Maltechniken ganz allgemein. Schon 1939 hatte er das Buch „10000 Jahre Malerei und ihre Werkstoffe“ publiziert, bald gefolgt von weiteren Publikationen zur Werkstoffkunde, die in der „Schriftenreihe Dr. Kurt Herberts“ erschienen und Text- und Bildbeiträge unter anderem von Baumeister und Schlemmer enthielten, die aber wegen der politischen Umstände namentlich nicht genannt werden durften. Beide konnten in den Kriegsjahren – obwohl von den Nazis aus ihren Lehrämtern entfernt und verfemt – in der Firma von Herberts als „Professoren“ unter dem Deckmantel, an „anstrichtechnischen Untersuchungen für die kriegsbedingte Fabrikation“ (Baumeister) mitzuarbeiten, ihrer künstlerischen Tätigkeit nachgehen. In dem am Döppersberg 24 eingerichteten „Institut für Malstoffkunde“, dem sogenannten Lacktechnikum, entstand bis 1942 das umfangreiche Spätwerk des unter dieser Adresse auch wohnhaften Oskar Schlemmer, das zwischen anwendungsbezogenen Auftragsarbeiten, experimenteller Lackkunst und freikünstlerischem Werkschaffen oszillierte. Die Ausstellung im Von der Heydt-Museum dokumentiert dies mit einer Fülle selten gezeigter Arbeiten, die teils aus dem Herberts-Nachlass stammen, teils von Tut Schlemmer, der Witwe des Künstlers, erworben wurden.


Oskar Schlemmer, Feuerschiff im Trockendock, 1941

Zu den typischen Auftragsarbeiten gehört zum Beispiel das Ölgemälde „Feuerschiff im Trockendock“ von 1941, ein Bild, das für einen geplanten Wandkalender der Firma Herberts entstand und in werblicher Absicht auf Spezialbeschichtungen mit Herberts-Lacken aufmerksam machen sollte. Stilistisch ist dieses Gemälde der Neuen Sachlichkeit zuzurechnen, der Schlemmer allerdings grundsätzlich kritisch gegenüber stand. Es zeigt exemplarisch, daß der existenziell von Kurt Herberts abhängige Künstler bei allen Freiheiten, die er in Wuppertal genoss, in ästhetischer Hinsicht durchaus auch Kompromisse eingehen mußte. Weitgehend freie Hand hatte er dagegen bei seinen materialästhetischen Experimenten, „die neuen Lacke den künstlerischen Zwecken dienstbar zu machen“, wie er sich ausdrückte. Sprachmächtig wie er war, beschrieb er das „Wesen“ des Lacks wie folgt: „Lack glänzt und fließt, um zuletzt hart wie Stein zu werden. [...] Lassen wir ihn glänzen und fließen, lassen wir ihn Formen bilden und Form werden, wozu ihn sein Wesen drängt, wozu ihn das Gesetz des Fließens zwingt! Greifen wir ein, um seinen Lauf zu lenken, so entsteht ein Neues aus Lackgesetz und menschlichem Willen.“ Manche der kleinen, vollkommen gegenstandslosen Versuchstafeln, die dies eindrucksvoll belegen und die im Kontext der seinerzeit von Herberts geplanten, aber erst 1989 realisierten Publikation „Modulation und Patina“ zu sehen sind, scheinen bereits das Informel der 1950er Jahre vorweg zu nehmen. Unrealisiert blieb auch Schlemmers Projekt eines „Lackkabinetts“, gedacht als Demonstrationsraum zur Veranschaulichung der vielfältigen Möglichkeiten moderner Lackkunst. Auf der Grundlage der Originalentwürfe des Künstlers aus dem Jahr 1942 zeigt das Von der Heydt-Museum eine begehbare Rekonstruktion, die vom Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen ausgeliehen werden konnte.
 

Oskar Schlemmer, Entwurf fur ein Lackkabinett, 1941

Schlemmer war nicht nur Maler, Zeichner, Plastiker und engagierter Lehrer, sondern auch passionierter Bühnengestalter. Berühmt wurde er in den 1920er Jahren mit seinem „Triadischen Ballett“, jahrelang leitete er die Bauhaus-Bühne. Für ihn war die Bühne der optimale Realisationsort des für das frühe Bauhaus leitbildhaften Gesamtkunstwerkgedankens, und sein Streben nach einem idealen Figurentypus in den Bereichen Malerei und Plastik fand auf seiner „Typenbühne“ ihr Pendant in der entindividualisierenden Typisierung durch Maske und Kostüm. Beide waren anfänglich oft grotesk übersteigert und raumplastisch ausgreifend, später trugen die Darsteller meist einfache Trikots, etwa in den drei Primärfarben Gelb, Rot und Blau, die den drei Grundtemperamenten sanguinisch, cholerisch und melancholisch entsprechen sollten. Nach einer umständehalber langen Pause konnte Schlemmer 1941 mit der Aufführung des sogenannten Lackballetts („Reigen in Lack“) in der Wuppertaler „Concordia“-Halle noch einmal, zum letzten Mal, seiner Theaterleidenschaft frönen. Mitarbeiterinnen der Firma Herberts trugen schwarze Kostüme, die unter anderem mit farbig lackierten runden Bierdeckeln, eckigen Pappen und zierlichen Stäben appliziert waren. Vor schwarzem Hintergrund bewegten sie sich als abstrakte Figurinen nach Schlemmers Choreographie und zur Musik Händels auf der Bühne – eine Performance, die nur wenige Minuten dauerte und der in der damaligen, zensierten Tagespresse immerhin ein „eigenartiger Reiz“ zugesprochen wurde. Lichtkästen mit Repros des Lackballetts erinnern in der Ausstellung an dieses ungewöhnliche Ereignis.


Oskar Schlemmer, Schwebebahnhof Kluse in Wuppertal-Elberfeld, 1941

Neben seinen Aktivtäten bei und für Kurt Herberts schuf der Künstler in der ihm verbleibenden freien Zeit eine Reihe eindrucksvoller Wuppertaler Stadtansichten, so etwa die Ölskizze „Schwebebahnhof Kluse“ (1941) mit dem hoch aufragenden Rathausturm im Hintergrund. Und in den Monaten von April bis Juli 1942 entstand die berühmte Serie der sogenannten Fensterbilder. Es handelt sich um Blicke aus seinem Fenster im Haus Döppersberg 24 in die gegenüber liegenden, beleuchteten Wohnungen – strenge Kompositionen mit Personen in Innenräumen, in denen er zu finalen Formulierungen seines zentralen künstlerischen Themas, des Themas „Mensch“, zurück fand und die Karin von Maur als das Vermächtnis dieses bedeutenden, im April 1943 allzu früh verstorbenen Künstlers an die Nachwelt gewürdigt hat.
 

Oskar Schlemmer, Fensterbild IX, 1942

Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch mit Beiträgen von Gerda Breuer, Beate Eickhoff, Anna Storm und Rainer K. Wick sowie einem Text aus der Feder von Oskar Schlemmer erschienen (20,- €). Weiterführende Informationen über Kurt Herberts und den Wuppertaler Arbeitskreis finden sich bei Christiane Gibiec: Ein Beweger, ein Impulsator. Der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts (NordPark Verlag, 2010) sowie bei Hermann J. Mahlberg und Hella Nußbaum: Vom Haus Waldfrieden zum Skulpturenpark (Verlag Müller + Busmann, 2012), dort S. 206-320.


Der Artikel ist mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der aktuellen Ausgabe
des Kulturmagazins „die beste zeit“ entnommen worden.

 Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de