Vom Leid der Opfer…

Jan Weiler – „Kühn hat Hunger“

von Frank Becker

Vom Leid der Opfer…
 
…und der Ruchlosigkeit der Täter
 
Hauptkommissar Martin Kühn gehört zu den Besten seines Fachs bei der Münchner Kriminalpolizei. Aber er ist unzufrieden. Mit sich und seinem Gewicht, das er mit Ingwer-Tee bekämpft, mit seiner beruflichen Situation, die vor einem Wendepunkt steht, mit seiner Ehe, die inklusive Seitensprung merklich zur Routine abgekühlt ist. Im Job steht ihm der ranggleiche Kollege und frühere gute Freund Steirer im Weg, der sich ebenfalls auf die Chef-Position beworben hat. Aber nun könnte nach früheren Ermittlungspannen ein neuer Fall das Blatt wenden. Auf einer brachliegenden Baustelle wurde in einem Schacht die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau gefunden, die dort schon Wochen gelegen haben muß. Kühn übernimmt die Leitung der Mordkommission. Der Kampf gegen die Pfunde und die kleinteilige Spurensuche fordern ihm alles ab.
 
Jan Weiler gibt dem Leser einen raffiniert eingefädelten Informationsvorsprung vor den Mordermittlern, indem er den Kriminalfall zweigleisig erzählt – mit einem Psychogramm der Täter und dem Weg zu ihrer Tat und mit der sorgsam aufgedröselten, mühseligen Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei. Wie er sich in die Köpfe der Täter, ihre Motivation hineinfühlt, ist beinahe unheimlich, auf jeden Fall bedrückend, und das schließliche, in entsetzlicher Schonungslosigkeit im Detail geschilderte Verbrechen wühlt sich in schrecklicher Schärfe in das Bewußtsein des Lesers, dessen Mitgefühl für das unschuldige Opfer zum Mitleiden wird. Wo in den Rundfunk- und Fernsehnachrichten „nur“ von einem grausamen Mord gesprochen wird, konfrontiert Jan Weiler mit der erbarmungslosen „Logik“ von Triebtätern. Das will man eigentlich nicht lesen, aber erst durch das fürchterliche Leiden des Opfers macht der Autor deutlich, wie gewissenlos brutal, wie verabscheuungswürdig, sinn- und ruchlos eine solche Tat ist.
 
Eingepackt hat Weiler den Kriminalroman in einen durchaus verzichtbaren eingeflochtenen Rahmen, die literarischen Schlankheitstips eines gewissen Ferdie Caparacq, die nichts zur eigentlichen Geschichte beitragen. Man lernt bei der Lektüre sehr schnell, diese oft ausufernden Stellen zu überlesen. Damit bleibt man beim Eigentlichen. Der Kriminalroman an sich ist spannend, schlüssig und mit allerlei gut gesponnenen Seitenlinien und Ermittlungsansätzen glänzend gemacht.
 
Jan Weiler – „Kühn hat Hunger“
© 2019 Piper Verlag, 413 Seiten, gebunden, Lesebändchen, Schutzumschlag -  ISBN: 978-3-492-05876-6
22,- €
Weitere Informationen: www.piper.de