Ein Film, über den man viel reden und nachdenken sollte.

„Und der Zukunft zugewandt“ von Bernd Böhlich

von Renate Wagner

Und der Zukunft zugewandt
(Deutschland 2019)

Drehbuch und Regie: Bernd Böhlich
Mit: Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober. Stefan Kurt, Jürgen Tarrach u.a.

Und der Zukunft zugewandt“ – war es nur eine Phrase in der DDR, oder hat es Menschen gegeben, die das in aufrichtiger Überzeugung gelebt haben? Ehrliche Idealisten, deren Glaube an den Kommunismus nicht zu erschüttern war? Und die um dieser – erhofft positiven – Zukunft willen alles ertragen haben, was geschah? Die DDR hat Antonia Berger, der Heldin dieser Geschichte, die in der Hauptsache rund um 1952 / 1953 spielt, unendlich viel aufgebürdet.
Auch 30 Jahre Mauerfall haben mit diesem Film zu tun, und das Telefongespräch, das die nun alte Antonia Berger ziemlich zu Beginn aus Berlin mit ihrem ehemaligen Freund in Hamburg führt, ist anders, als man es erwarten könnte. Da ist man schon mitten drin in dem ideologischen Umfeld, das Regisseur und Drehbuchautor Bernd Böhlich hier zu erklären sucht. Denn Antonia zählt zu jenen Menschen, die sich nicht beglückt dem Versprechen eines neuen, freien Lebens in einem vereinten Deutschland zuwenden, sondern die daran verzweifeln, daß die Welt, an die sie unerschütterlich geglaubt haben, nun zusammenbricht. Trotz allem, was sie in dieser DDR zu erleiden hatte.
 
Böhlichs Film hat in den deutschen Medien durchaus unterschiedliches Echo gefunden – denn offenbar ist Kritik an der DDR noch lange nicht so selbstverständlicher Konsens wie es die Kritik an der Nationalsozialistischen Ära ist. Offenbar sind 30 Jahre geeintes Deutschland noch immer nicht ein ausreichend langer Zeitraum, daß man ohne Schmerzen darüber sprechen könnte, was geschehen ist.
Wobei man dem Regisseur wahrlich nicht nachsagen kann, er wüßte nicht, wovon er redet: Böhlich, Jahrgang 1957, ist in Dresden geboren, er war über 30, als die Mauer fiel, alt genug, um das Leben in der DDR reflektierend miterlebt zu haben. Er wird mit angesehen haben, daß ehrliche, verdiente Genossen, die freudig zu Besuch in die UdSSR gereist waren, nicht wiederkamen, sondern unter unbewiesenem „Spionageverdacht“ in einem russischen Lager verschwanden – unschuldig. Wie Antonia Berger (Alexandra Maria Lara), die man bei der Zwangsarbeit in den Wäldern schuften sieht, entschlossen, einfach durchzuhalten, nicht bereit, das System anzuzweifeln, das alle anderen Genossen getötet hat, auch ihren Mann.
Böhlich zeigt auch, daß man daheim, in einer deutschen Kleinstadt, die Sache der „verschwundenen“ Frauen (mit Antonia, die in der Haft eine Tochter geboren hat, sind noch zwei weitere Frauen aus ihrem Ort im Lager) durchaus auf sich beruhen lassen würde (die Russen und vor allem Genosse Stalin können schließlich nichts Falsches tun), wenn es nicht Einzelne gäbe, deren Gewissen sie zwingt, zumindest einmal nachzufragen.
Ja, und dann sind Antonia mit Tochter, Irma Seibert und Susanne Schumann frei und dürfen (offenbar so willkürlich, wie man sie einst weggesperrt hat) wieder heim. Die Gesellschaft sorgt sogar für Wohnung und Arbeit – allerdings unter einer Bedingung (unter Androhung von Gefängnisstrafe), wie der Genosse Propagandasekretär Leo Silberstein (brillant Stefan Kurt) klar macht: kein Wort über das russische Lager. Man habe an „verschiedenen Orten der Sowjetunion gearbeitet“. Nicht einmal der Hauch der Idee dürfe hoch kommen, daß der gute russische Bruder das Unrecht begangen haben könnte, unschuldige Frauen jahrelang einzusperren.
 
Das Drehbuch vergißt nun weitgehend die beiden anderen Frauen – die eine (Karoline Eichhorn) am aufgezwungenen Schweigen fast erstickend und seelisch zerstört, die andere (Barbara Schnitzler) voll wütender Empörung und das Geschehene einmal doch hinausschreiend. Es geht um Antonia, um die kranke Tochter (Carlotta von Falkenhayn) und den Arzt (Robert Stadlober), der das Mädchen heilt, bald die Mutter liebt und seinem Vater, der aus Hamburg kommt und dem Sohn seine Praxis anbietet, stolz sagt, es gäbe Wichtigeres als Geld.
Es geht um Antonias Job im Kulturheim (dort taucht in einer Nebenrolle Branko Samarovski als alter Genosse auf), wo selbst die Kleinkinder nicht zu fröhlichem Spiel angehalten werden dürfen, sondern gnadenlos mit Ideologie eingedeckt werden müssen. Es geht um den Besuch bei der Mutter, die keine Ahnung hat, was der Tochter, die nach fast zwei Jahrzehnten wieder vor der Tür steht, widerfahren ist und die (von ihrem Standpunkt aus begreiflich) beleidigt ist, daß sie nicht wenigstens eine Karte geschrieben hätte… Es gibt doch auch Briefmarken in Russland?
 
Der Film zeichnet das Umfeld, wo die Menschen zusammenrücken und einander letztlich doch mißtrauisch beäugen. Da spielt Jürgen Tarrach einen Wiener Maler – nun, die Wiener werden ihm das nicht glauben, aber bei den Deutschen mag der aus Nordrhein-Westfalen Gebürtige mit seinem künstlichen Wienerisch und seiner lockeren Jovialität durchgehen. Seine Figur dient dazu, ein buntes Potpourri der überzeugten Kommunisten zu zeichnen, die dieses Regime gesucht haben, ohne dazu gezwungen gewesen zu sein. Wenn Antonia allerdings staatlicherseits „in Verdacht“ gerät, grüßt auch der freundliche Mann sie nicht mehr, der erst den Mund über seinen Liberalismus so voll genommen hat.
Antonia bleibt, versucht den Alltag positiv zu sehen, aber als die Kollegin ihre Vergangenheit hinausschreit, steht auch bei Antonia die Stasi vor der Tür, und die Gefängnisgitter schließen sich. Wieder. Trotzdem ist sie mit dem angesichts ihres Schicksals „bekehrten“ Arzt nicht hinüber nach Hamburg gegangen. Ihr Ausharren in der DDR, wieder im entschlossenen Glauben an den Kommunismus – das muß man erst einmal begreifen.
 
Vermutlich ging es Autor / Regisseur Bernd Böhlich genau darum und nichts sonst – so wie man kürzlich in der brillanten Verfilmung der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz mit angesehen hat, wie ein verbohrter Nazi ein verbohrter Nazi blieb, egal, was geschah, egal, daß jedem vernünftigen, denkenden Menschen schon alle Zweifel aufgestiegen sein müßten. Totalitäre Regime, die schon ihre Kinder zurechtbiegen, haben es offenbar in sich, den Idealisten, die sie heranziehen, jegliches vernünftige, kritische Denken auszutreiben. „Die Revolution ist kein Wunschkonzert“ und „Richtig ist, was uns nützt“, sind Sprüche, die eine Frau wie Antonia hinnimmt. Auch als ihre Hoffnung, daß nach Stalins Tod alles besser wird, dahin schwindet (im Gegenteil, man wurde noch starrer) – sie bleibt einem System treu, das seine Kinder frißt. Es gab sie, nicht nur die Opportunisten, die sich im System eingerichtet haben und für die Stasi ihre Mitmenschen bespitzelten, sondern auch die Idealisten.
Man kann es im Grunde (auch angesichts dessen, was Antonia persönlich alles geschieht) nicht verstehen, so viel das schöne Gesicht von Alexandra Maria Lara auch an Schmerz zeigt. Aber diese Menschen hatten ihren Glauben an ihr System, und auch wenn sie Unrecht hatten (so Unrecht, wie Winifred Wagner oder Leni Riefenstahl, die Hitler bis zuletzt für einen Gentleman hielten) – man muß es begreifen, daß es sie gab. Vielleicht als abschreckendes Beispiel. „Und der Zukunft zugewandt“ ist ein Film, über den man viel reden und nachdenken sollte.
 
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Renate Wagner