„Zu probieren, was mit Malerei zu machen ist…“

Klaus Honnef – „Gerhard Richter“ ( „Kleine Reihe Kunst“ , 200. Band )

von Johannes Vesper

„Zu probieren, was mit Malerei zu machen ist…“
 
Von Johannes Vesper
 
Laut Kunstkompaß 2019 gilt Gerhard Richter als der wichtigste Künstler weltweit. Seit 17 Jahren steht er an der Spitze dieser Rangordnung, die seit 1970 erstellt wird. Kriterien für Ruhm und Bedeutung sind u.a. die Zahl der Einzelausstellungen und zwar in den großen Museen der Welt, Teilnahme an den großen Kunstausstellungen wie z.B. der documenta, Ankäufe durch namhafte Museen, Rezensionen. Verkaufspreise sollen keine Rolle für die Beurteilung spielen, aber natürlich beeinflußt dieses Ranking seinerseits den Kunstmarkt, für den heutzutage Geld und seine Anlage wichtiger erscheint als Bildung, Sachkunde oder pures Interesse. Warum publiziert wohl „Capital“ dieses Ranking? Inzwischen werden mehr als 30.000 Künstler bewertet. Dem aktuellen Kunstkompaß vom 24.10.19 ist einiges Interessantes zu entnehmen: Wie im Jahr zuvor führen hinter dem weit vorn liegenden Richter Bruce Nauman, Georg Baselitz, Rosemarie Trockel und Cindy Sherman die Liste der 100 wichtigsten Künstler - 64 davon Künstlerinnen! - weltweit an. Interessant ist, daß sich der Wuppertaler Tony Cragg 2019 unter den ersten 10 befindet und daß die USA mit 28 Künstlern diese Nationenwertung der Kunst anführt. Deutschland folgt direkt darauf mit 27, vor Großbritannien mit 12 Künstlern.
 
Aber zurück zu Gerard Richter. Zu ihm erschien jetzt in „Kleine Reihe Kunst“ des Taschen-Verlags der 200. Band. Viele Große der Kunstgeschichte von Bacon bis Warhol, von Bruegel bis van Gogh wurden in dieser Reihe dargestellt. Der vorliegende Band stammt von dem Kunsthistoriker und Kunstkritiker Klaus Honnef, der schon 1969 eine Ausstellung von Gerard Richter kuratiert und 1998 die 2 Bände „Kunst des 20. Jahrhunderts“ mit herausgegeben hat. Dieser große Kenner zeitgenössischer Kunst schreibt jetzt auf 95 Seiten über Gerard Richter und dessen Verhältnis zur Kunstgeschichte, der in diese „bei den Malern“ eingeordnet werden möchte und „die er eh halb im Kopf hat“. Schon früh fotografierte er und seit 1962 malt er fotografische Bilder von der Klorolle, vom faltbaren Trockner (5,60 m nutzbare Trockenlängen!) bis zum Kronleuchter, bis zu „Ema“ (Akt auf einer Treppe) charakteristisch verwischt. In transparenter Unschärfe bleibt der fotografische Ursprung dieser Bilder sichtbar.
 

Abb. Seite 44 - © Gerhard Richter

Einen Schnappschuß seiner 15jährigen Tochter, die sich von der Kamera abgewandt hat, malte er 1988. „Eines seiner schönsten Bilder moderner, reflektierter Schönheit“? Natürlich! Denn Gerhard Richter „mag alles, was keinen Stil hat; Wörterbücher, Fotos, die Natur, mich und meine Bilder“.
Krieg und Tod stellte Richter mehrfach dar. Das Thema interessiert ihn. Möglicherweise kommen in diesen Bildern auch Kindheitserlebnisse aus dem 2. Weltkrieg an die Oberfläche. „Erschießung“ , Militärflugzeuge, „acht ermordete Lernschwestern“ aus Chicago u.s. mehr. Seine schwarz-weißfotografischen, gemalten Bilder des Suizids der Baader-Meinhof-Gruppe (18.10.1977), hatte er eigentlich für „nicht malbar“ gehalten. Dieses Werk, benannt nach dem Datum der Entführung der Lufthansa-Maschine, bewirkte auf der Höhe des RAF-Terrors ein geteiltes Echo. Er selbst meinte zu seinen Bildern, daß sie klüger seien als er.
Später abstrahiert Richter weiter, verwischt, bewegt, und gibt dem Zufall Raum bei der Bildentstehung. Seine nach Komponisten benannten sehr großen Leinwandflächenbilder, wie die abstrakten des Cage-Zyklus, entstanden, in dem er eine flächige Kombination von Rakel und Spatel in der Größe der zuvor mit Farbbändern präparierten Leinwand über diese senkrecht und waagerecht mit erheblichem Druck zieht, schiebt und so Farbmischungen auf die nasse Leinwand aufbringt, aufspachtelt bzw. gleichzeitig deren Oberfläche verletzt. Subjektivismen des Künstler, Unbewußtes scheinen bei dieser Art der Bildproduktion keine Rolle spielen, deren Grundfarben der Künstler zuvor wählen muß und wählen kann. „Willkür, Einfall und Zerstörung lassen diesen Bildtypus entstehen“ sagt Richter. Unter Abkratzen, Zerkratzen und erneutem Übermalen entstanden auch die vier abstrakten Bilder zu Auschwitz in den Grundfarben Schwarz, Rot, Weiß und wenig Grün. Die Transparenz früherer Bilder ging hier verloren. Hinter den Ebenen, Wänden und Texturen der Bilder läßt sich das Grauen des Holocaust selbst nicht erkennen. Die dunkle Stille dieser Bilder läßt den Zuschauer jedenfalls nicht unberührt.
 

Abb. Seite 53 - © Gerhard Richter

Natürlich schreibt Klaus Honnef auch über Richters Landschaftsmalereien, über seine Anleihen bei Tizian und über das Domfenster zu Köln, in welchem 11.263 quadratische (96x96 mm) mundgeblasene, antike Buntglasscheiben auf einer Fläche von 23x9 m mittelalterliche Farben das gotische Maßwerk füllen. Auch hier regierte der Zufall. Die Anordnung der Farbfenster erfolgte nach dem Zufallsgesetz eines Computerprogramms. Können die Vielzahl seiner Stile und der Wechsel zwischen ihnen Zweifel an seiner künstlerischen Identität wecken? Mit seinem bisher letzten Werk „Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel“ (2018) in der entwidmeten ehemaligen Dominikaner-Kirche zu Münster vermittelt jedenfalls das Foucaultsche Pendel über einem Steinkreis einen Eindruck von der Instabilität und Relativität menschlicher Standpunkte.
Die tabellarische Biographie am Ende (Gerhard Richter: Leben und Werk) ist zu entnehmen, daß der 1932 in Dresden geborene Maler dort eine erste malerisch-künstlerische Ausbildung absolvierte , die er mit seinem Bild „Lebensfreude“ 1956 (5x15m) für das Deutsche Hygiene-Museum abgeschlossen hat. Dieses Bild wurde 1979 übermalt und existiert nicht mehr. Seine früheren Bilder aus der DDR kann Richter anscheinend nicht mehr akzeptieren. Nach dem Besuch der documenta 2 im Jahr 1959 und dem Bau der Berliner Mauer floh er 1961 aus der DDR und begann das Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf. Eine seiner frühen Ausstellungen war in der Wuppertaler Galerie Parnass 1964 zu sehen. Von der nahezu unglaublichen Fülle der Aktivitäten und Ausstellungen dieses Künstlers bekommt der Leser dieses Kapitels eine Ahnung. Seit Jahren lebt Gerhard Richter in Köln. Das Schwarz-Weiß-Foto des Künstlers (Benjamin Katz 1992) zeigt ihn intellektuell, ernst, distanziert mit verschränkten Armen, mit nahezu randloser Brille an der Kamera vorbei in die Ferne, in die Welt schauend. Anmerkungen verweisen auf benutzte Quellen.
 
Klaus Honnef – „Gerhard Richter“ ( „Kleine Reihe Kunst“ , 200. Band )
© 2019 Taschen GmbH / Gerhard Richter, Köln / VG Bild-Kunst Bonn, 95 Seiten, 107 Abbildungen, ISBN 978-3-8365-7526-3.
10,- € (nach dem Motto: „Schluß mit teuren Kunstbüchern“)

Weitere Informationen: www.taschen.com