Nur ein winziges Literchen Blut

Lisa Nielebock inszeniert das schottische Stück in Bochum

von Andreas Rehnolt
Bochums "Macbeth" fasziniert durch
Martin Rentzsch und das "Nichts"



In der Inszenierung der Jung-Regisseurin Lisa Nielebock
fließt nur ein winziges Literchen Blut über die Bühne

Bochum - Immer noch gegenwärtig Jürgen Goschs wahnsinnige Inszenierung des "Macbeth" am Düsseldorfer Schauspielhaus mit nacktem Ensemble und Blut-, Urin- und Exkrementen-Kaskaden auf der Bühne. Heftig, mutig, gewaltig und unvergeßlich. Was Jung-Regisseurin Lisa Nielebock am 6. Juni im Bochumer Schauspielhaus inszenierte, wollte und konnte sich nicht an dem Altmeister messen, war allerdings als großer Alptraum einer auf gut zwei Stunden angelegten Mord-Tragödie packend in Szene gesetzt. Die riesige Bühne im vollbesetzten Bochumer Schauspiel ist nur karg mit vier Holzstühlen und vier meterhohen stählernen Turm-Türen bestückt, die vom ersten Moment an Schlachthaus-Atmosphäre ausstrahlen.

Die große Leere

Und das, obwohl in der gesamten Aufführung mal gerade ein winziges Literchen Theaterblut tropft. Kathrin Schlecht hat der Bühne ihre beeindruckende Breite und Tiefe gelassen, ohne sie mit


Foto © Birgit Hupfeld
überflüssigen Attributen vollzupacken. So kriecht die Leere, Einsamkeit und Düsternis um König Duncan und seinen Feldherrn Macbeth langsam in die Zuschauerreihen. Und die drei Hexen, die dem von Anfang an mit blutigen Händen grandios agierenden Martin Rentzsch als Macbeth eine königliche Zukunft verwispern, sind in schwarze Mäntel mit hochgestellten Kragen gehüllt und erinnern mit ihren Zischlauten merklich an Vampire in Nosferatu-Filmen.

Ihre Prophezeiungen geben der Welt um den siegreichen Schottenhelden Macbeth und seinen Mitstreiter Banquo einen anderen Verlauf. Der unglücklichste aller Shakespeare-Helden wird von seiner Lady, die Lena Schwarz ein bißchen zu gestelzt, affektiert und hysterisch gibt, bei seiner Mannesehre gepackt und so zum Meuchelmord am langhaarig-blassen Schottenkönig Duncan (Klaus Weiss) gehetzt. Von da an geht's bergab. Mit Macbeth, seiner Lady und all denen, die ihm möglicherweise den Thron Schottlands streitig machen könnten. Ein Mord jagt den anderen. Das bleibt in Bochum rein der Vorstellungskraft der Zuschauer vorbehalten. Damit die wissen, was passiert, hat Nielebock dem blutschweren Titel-Anti-Helden mit Agnes Riegl laut Programmheft "ein Nichts" an die Seite gestellt.

Das Nichts an seiner Seite

Und dieses "Nichts", mal als Soldat, mal als Bote, mal als Volk oder Leibwächter agierend ist neben


Foto © Birgit Hupfeld
Rentzsch die zweite wichtige Figur und ständig präsent. Mal rennend, mal kletternd, mal von Blut besudelt oder auch als eine Art Kriegsberichterstatter im Einsatz gibt sie alles. In einigen Momenten wirkt sie feen- oder elfenhaft, in anderen ist sie einem Kinds-Soldaten ähnlich, der nicht begreift, warum um ihn herum alles gemordet und gemetzelt wird. Und Macbeth schwankt immer wieder zwischen seiner Mord-Geilheit und seiner Angst vor den als Untote nur ihm erscheinenden Opfern. Auch wenn er behauptet: "Was böse war, kann durch Schlimmeres doch nur gewinnen", hat er am Ende Angst vor seinem eigenen grausigen Tun.

Die Morde in Bochum geschehen gänzlich ohne Schwerterlärm, Kampfesszenen oder Dolchezücken. Stattdessen Wolfsgeheul wie im "Tanz der Vampire", kreischend-wimmernde Hexen, die Macbeth nicht nur seinen Aufstieg, sondern verklausuliert auch sein Ende vorhersagen. Es riecht im großen Saal des Schauspielhauses förmlich nach Blut und Tod. Alle anderen Figuren in der politischen Tragödie bleiben blaß und blutleer. Duncan, Banquo, Malcolm, Macduff und selbst Lady Macbeth scheinen für Nielebock nur Staffage für das Monster Macbeth und sein "Nichts" zu sein. Seltsam und unverständlich was der schottische Recke an seiner Vampiretten-Lady findet oder mal gefunden hat. Es endet, wie es enden muß. Macduff metzelt Macbeth und Macbeth metzelt ihn.

Die Welt aus den Fugen

Ein guter Einfall, wie König Macbeth von allen verlassen noch aus seinen vier Stühlen den Thron


Foto © Birgit Hupfeld
sicher halten will und doch immer wieder im Blut seiner Opfer ausrutscht und zu Fall kommt. Auch Musik und Lichteffekte illustrieren verschwenderisch ein lila-rot-schwarzes Höllenreich, in dem sich der Boden hebt und senkt und wo Menschenschatten über die Wände tanzen. Die Welt in Bochum -  sie ist aus den Fugen bei dieser letzten Premiere der laufenden Spielzeit. Am Ende gab's reichlich und lautstark Applaus. Ganz wie zu Glanzzeiten des Bochumer Schauspielhauses. Ganz besonders für Rentzsch und Riegl und natürlich für die Regisseurin, die auch in der kommenden Spielzeit zwei Inszenierungen vor der Brust hat.

Weitere Termine: 16. und 24. Juni, jeweils 19.30
Internet: www.schauspielhausbochum.de