Deutsches Kino kann etwas - das ist der Beweis.

„Lara“ von Jan-Ole Gerster

von Renate Wagner

Lara
(Deutschland 2019)

Drehbuch und Regie: Jan-Ole Gerster
Mit: Corinna Harfouch, Tom Schilling, André Jung, Rainer Bock, Volkmar Kleinert u.a.
 
Es ist Morgen. In den Kissen ein müdes Gesicht. Eine einsame Frau. Möchte sie wirklich gerade aus dem Fenster springen, als das Läuten an der Tür sie stört? Jedenfalls könnte das der Anfang eines Filmes sein, wie man ihn zu oft gesehen hat – Alter, Einsamkeit, und nein, sie hat niemanden, mit dem sie ihren 60. Geburtstag feiern kann.
Glücklicherweise ist „Lara“ von Jan-Ole Gerster (berühmt geworden vor sieben Jahren mit seinem Debüt „Oh Boy“) anders, ganz anders. Keine Frage, daß auch er ein kaputtes Leben schildert. Aber er analysiert im Laufe eines Tages genau, was geschehen ist, warum es geschehen ist, warum Menschen sich so verhalten, wie sie es tun – und die tragische Erkenntnis mag lauten, daß Lara eigentlich nicht selbst schuld an ihrem Elend ist.
Lara war von Beruf Beamtin. Sie hatte die Hoffnung, eine große Pianistin zu werden, aber ihr Lehrer hat sie nach allen Regeln der Kunst heruntergemacht. Vielleicht muß sie darum ihren gleichfalls hochbegabten Sohn Victor, den sie selbst zum brillanten Klavierspieler ausgebildet hat, auch zwanghaft so behandeln. Ihr geschiedener Mann versucht verzweifelt, Victor vor ihr zu schützen – aber gänzlich loslassen kann Lara nicht.
An diesem Tag ihres 60. Geburtstags hat Victor ein Konzert, wo er nicht nur als Pianist auftritt, sondern auch eine eigene Komposition hören lassen will. Lara kann nicht anders als ihm sagen, daß sie nicht viel davon hält. Worauf er fast das Konzert schmeißt, für das Lara alle noch verfügbaren Restkarten gekauft hat und sie verschenkt – an Leute, die sie kaum kennt. Und an solche, an die sie sich erinnert, an ihren alten Klavierlehrer zum Beispiel.
 
Im Laufe dieses einen Tages in Berlin begegnet Lara vielen Menschen, der eigenen Mutter (man kann sich gegenseitig nicht leiden), der Freundin des Sohnes, einer ehemaligen Bürokollegin, der Verkäuferin, die ihr ein Abendkleid einredet. Corinna Harfouch spielt die Verschlossenheit dieser Frau, die aus nie verwundener Verletztheit resultiert, schlechtweg genial. Eigentlich will sie mit niemandem kommunizieren, aber wenn sie es muß, schlägt sie verletzend um sich.
Auch, wenn sie liebt – wie bei ihrem Sohn Victor, dem sie vielleicht nicht verzeiht, daß er nun die Karriere machen will, die sie sich versagt hat: Aber in Tom Schilling ist die ganze Unsicherheit eines jungen Menschen, der Zuspruch brauchen würde, von der Mutter nur Zweifel erntet und der spürt, daß er sich vor ihr retten muß. Rainer Bock als sein Vater, Laras Exmann, versucht alles, ihn zu schützen. Andre Jung, wunderbar als Laras Nachbar, versucht alles, ihr näher zu kommen. (man weiß nicht, warum, eklig, wie sie ist – aber er spürt ihre Einsamkeit). Und Volkmar Kleinert als ihr ehemaliger Klavierlehrer, zerstört ihr Leben ein zweites Mal, als er ihr (beim gar nicht gemütlichen Zusammensitzen nach dem Konzert) sagt, daß sie es durchaus hätte schaffen können – Schüler zu ermutigen, gehört zu seinem System, um die Kräfte zu wecken, es doch zu schaffen. Lara hat aufgegeben… ihr ganzes verkorkstes Leben ist die Folge davon. Und als Kinobesucher bleibt einem angesichts dieser Tragödie, bei der kein Blut fließt und die dennoch mörderisch ist, der Atem weg.
Will man wieder einmal sehen, was deutsches Kino kann und über welch unglaublich großartige Schauspieler man da verfügt, wenn man sie sorglich aussucht – das ist der Beweis.

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Renate Wagner