Sandmann, lieber Sandmann…
Für die heute längst erwachsen gewordenen Menschen, die in der vor 30 Jahren Geschichte gewordenen DDR aufgewachsen sind, gelebt und geliebt haben, wird dieses Album mit all seinen „drüben“ einmal populär gewesenen Kinderliedern voll wunderbarer Erinnerungen stecken. Doch als aufmerksamer im Westen groß gewordener Hörer stellt man sehr schnell fest, daß man sozusagen auf fremdem Boden steht, ohne ein Gefühl für das, was einst für die gleichaltrigen Nachbarn auf der anderen Seite des Stacheldrahts von Bedeutung war. Zwei Ausnahmen sind allerdings dabei: a. die schöne, nämlich „Sandmann, lieber Sandmann“, ein Ohrwurm über die Grenze hinweg, hier interpretiert von der Stübaphilharmonie - und b. die gräßliche Ausnahme: „Kinder (Sind so kleine Hände)“, mit deren unerträglicher Süßlichkeit auch wir im Westen von Bettina Wegner und Epigonen bis zum Erbrechen gemartert wurden.
Doch es sind auch wunderbare Entdeckungen dabei, wie z.B. „Leise, Peterle, leise“, berührend von Karat interpretiert oder die humorvolle „Geschichte vom fernsehverrückten Frank“, die Bürger Lars Dietrich mit spürbar eigenem Vergnügen aus der Mottenkiste der Liederwelt gezogen hat. Das hat was vom Struwwelpeter. Auch „Der Eierbecher“, fröhlich von den Zöllnern neu belebt, hat alles, was ein schönes Kinderlied braucht. Lars Kutschkes Gitarre ist dabei übrigens ein Träumchen.
Wie sehr die Propaganda der DDR zu ihrer Zeit in das Bewußtsein ihrer Bürger eingesickert ist, zeigt, daß auch das Lied der Jungen Pioniere „Kleine weiße Friedenstaube“ in diese Erinnerungs-Sammlung aufgenommen wurde, ein Lied, das in dem waffenstarrenden, eingemauerten Unrechtsstaat DDR der Jugend Friedenswillen vorgaukelte, während Kinder in den Schulen zum Kampf gegen den Klassenfeind erzogen und zwingend zum Wehrunterricht verpflichtet wurden. Dirk Michaelis hat es für seinen Beitrag ausgeucht. Ein Fehlgriff der Redaktion.
Allgemeingültig für alle Menschen hüben wie drüben war und ist hingegen das von Katrin Sass mehr schlecht als recht vorgetragene Titel-Lied „Hier lebst du (hier bist du zuhaus)“. Eine vortreffliche Schauspielerin ist sie, aber eine schlechte Sängerin - warum hat sie den schönen Text nicht einfach gesprochen? Und: Unter Kinderliedern hab ich mir bei den meisten Titeln ein bißchen was anderes vorgestellt, denn hier wird doch eher die Liedermacherszene der DDR bedient.
Der Argon Verlag schreibt zu seinem Produkt ein wenig zu euphorisch:
Ein persönlicher, frischer Streifzug durch die Welt der Kinderlieder des Ostens!
Auch wenn die DDR längst Geschichte ist, die Kinderlieder sind geblieben. Weil sie schön sind und wichtig - und zeitlos in ihren Themen. Sie lassen sich keineswegs auf ein ostdeutsches Lebensgefühl reduzieren - es sind Songs, die auch im Norden, Süden und Westen einen Nerv treffen bei Kindern und Junggebliebenen. Die Künstlerinnen und Künstler haben sich ihr liebstes Kinderlied ausgesucht und ihm ein ganz persönliches neues Gewand verliehen. Das facettenreiche Ergebnis ist für die einen der Soundtrack der eigenen Kindheit, für die anderen eine spannende Entdeckungsreise. Große Musikerinnen und Musiker, deren Kindheit selbst eng mit den Kinderliedern der DDR verknüpft war, haben sich ihrem jeweils liebsten Lied gewidmet, es sind große Namen und wunderbare Neuinterpretationen dabei: Die DDR ist Geschichte – aber ihre schönsten Kinderlieder sind geblieben. Weil sie authentisch, doktrinfrei und einfach gute Musik sind. Anläßlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls haben wir uns zusammen mit namhaften Künstlerinnen und Künstler auf eine (Wieder-) Entdeckungsreise durch die Kindermusik des Ostens gemacht.
Ein Album voller unvergesslicher Lieder (…) jenseits der staatlich verordneten Pionierlieder gab es in der DDR eine Fülle von Werken, die vor allem durch ihre lebensnahen Texte und mitreißenden Kompositionen zu begeistern wußten. Sie wurden damals so innig geliebt, daß sie von den heute selbst zu Eltern gewordenen Kindern an die nächste Generation weitergegeben werden. Denn diese Lieder lassen sich keineswegs auf ein ostdeutsches Lebensgefühl reduzieren – es sind Songs, die auch im Norden, Süden und Westen sowie zu jeder Zeit funktionieren. Weil sie mit ihrem Publikum auf Augenhöhe sind. Für unser Album Hier lebst du haben wir eine Auswahl von 12 Liedern getroffen, die von namhaften MusikerInnen behutsam neu arrangiert, aufgenommen und interpretiert wurden. Für viele Hörerinnen und Hörer entstand so eine hinreißende Erinnerung an die eigene Kindheit – für alle anderen eine unterhaltsame Entdeckungsreise durch die herausragende Kindermusik des Ostens!
„Hier lebst du“ – Unsere liebsten Kinderlieder
© 2019 Argon Verlag (CD)
Titel:
1. Die Zöllner - Der Eierbecher - 2. Keimzeit Akustik Quintett - Die Alte auf der Schaukel - 3. Reinhardt Repkes Club Der Toten Dichter Mit Katharina Franck - Kinder (Sind so kleine Hände) - 4. Uschi Brüning - Mondsilbertaufe - 5. Bayon - Der Frühling (Erstveröffentlichung) - 6. Katrin Sass - Hier lebst du - 7. Dirk Michaelis - Kleine weiße Friedenstaube - 8. Frank Schöbel - Tokei-Ihto - 9. Bürger Lars Dietrich - Die Geschichte vom fernsehverrückten Frank 10. Angelika Mann - Mary Lou - 11. Karat - Leise, Peterle, leise - 12. Stübaphilharmonie - Sandmann, lieber Sandmann
Gesamtzeit: 34:03
Weitere Informationen: www.argon-verlag.de
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