Dieser King Charles reißt mit

Die Bremer Shakespeare Company zeigt ein modernes Königsdrama

von Daniel Diekhans

Peter Lüchinger - Foto: Bremer Shakespeare Company

Dieser King Charles reißt mit
 
Die Bremer Shakespeare Company
zeigt ein modernes Königsdrama
 
„King Charles III. A Future History Play“ von Mike Bartlett
in der deutschen Übersetzung von Rainer Iwersen.
 
Regie: Stefan Otteni - Bühne: Peter Scior - Kostüme: Heike Neugebauer - Maske: Anne Bultmann - Licht, Ton, Technik: Thorsten Ehlen, Florian Wilke, Kai Henkhus
Besetzung: Peter Lüchinger (Prince Charles/ Paul) - Erik Rossbander (Premierminister Tristan Evans/ General/ Royalist) - Michael Meyer (Oppositionsführer Mark Stevens/ Polizeichef/ Demonstrant) - Svea Auerbach (Camilla/ Sarah/ Madam Speaker of Parliament/ Zeitungsverkäuferin/ Geist) - Markus Seuß (Prince William/ Terry/ Parlamentarier) - Petra-Janina Schultz (Kate/ Nicole/ Parlamentarier/ Demonstrant/ Geist) - Tim Lee (Prince Harry/ Clive/ Parlamentarier) - Theresa Rose (Jess/ TV-Produzentin/ Parlamentarier) - Tobias Dürr (James Reiss/ Couttsey/ Parlamentarier/ Demonstrant)
 
Im Zeichen des Brexit: „King Charles III“ gastiert im Remscheider Teo Otto Theater
 
In seinen Historien projiziert Shakespeare die eigene Gegenwart in die Vergangenheit. Die Bürgerkriege und dynastischen Konflikte des englischen Spätmittelalters werden so zur Vorgeschichte der Tudors, in deren Gunst der Bühnenautor Shakespeare stand. Vier Jahrhunderte später hat der Brite Mike Bartlett dem dramatischen Modell eine originelle Variante hinzugefügt – mit einem „Future History Play“.
Sein Königsdrama „King Charles III“, das 2014 im Londoner Almeida Theatre uraufgeführt wurde, wirft einen Blick auf die Zukunft des Hauses Windsor. Was passiert, wenn Königin Elizabeth II. stirbt und Sohn Charles ihre Nachfolge antreten muß? Mehr noch: Mit „King Charles III“ scheint Bartlett den aktuellen Brexit-Konflikt vorhergesehen zu sehen. So jedenfalls deutet Stefan Otteni das Stück in seiner Inszenierung für die Bremer Shakespeare Company aus.
Die Handlung gibt es durchaus her: Kaum ist die Queen beerdigt, gerät der frisch gekürte Thronfolger in Konflikt mit einer Regierung, die sich dem Populismus verschrieben hat. Zankapfel ist eine Gesetzesvorlage, die die Pressefreiheit einschränkt. Angeblich zum Besten des Volkes. Der Premierminister verlangt von Charles, die Vorlage zu unterschreiben – so wie es seine Mutter immer getan hat. Doch ihr Sohn bricht aus der Routine aus. Er hat Zweifel an der Legitimität des Gesetzes, sieht gar die demokratische Verfassung in Gefahr.
 
Schon der Konflikt zwischen Premierminister und König fesselt. Aber Otteni dreht die Schraube weiter und holt die Tagespolitik ins Stück hinein. Im Saal des Teo Otto Theaters spielten seine neun Schauspieler eine Parlamentsdebatte durch. Ohrenbetäubendes Durcheinanderreden, Wut über das „Brexit-Geeiere“ und vehemente Ordnungsrufe – es war wie in den Fernsehnachrichten, nur viel besser inszeniert. Mit einer Wucht, der sich wohl kein Zuschauer entziehen konnte.


Foto: Bremer Shakespeare Company

In der Pause spielte das Ensemble einfach weiter. Umringt vom Publikum, trafen im Theaterfoyer Anhänger und Gegner des Königs aufeinander. Ein Mann, der ein Schild mit der Aufschrift „God save the king!“ hochhielt, wurde von maskierten Demonstranten niedergeschrien und dann zusammengeschlagen.
Ein wahres Psychodrama durchlebt Hauptdarsteller Peter Lüchinger in der Auseinandersetzung mit der königlichen Familie. Getragen von öffentlicher Beliebtheit und Medienpräsenz, sieht sich Charles' Sohn William als legitimer Thronanwärter – legitimer als sein Vater, der auf einem traditionellen Rollenverständnis beharrt. Sohn Harry hingegen will sich wegen einer Liebesaffäre mit einer Bürgerlichen völlig vom Adelsstand lösen.
 
Allzu lange sieht sich Charles – ganz wie Hamlet – als „gedankenvollen Prinzen“, nicht als König. Lüchinger zögert denn auch, auf Peter Sciors Tribünenkulisse zu steigen, die ihn allen Blicken aussetzt. Doch dem politischen und privaten Druck kann er nur standhalten, indem er über sich hinauswächst. Nach und nach nimmt Lüchingers Körper Haltung an. Seine Gesichtszüge straffen sich, wirken am Ende wie aus Stein gemeißelt. Dafür trägt er seinen Text – wie das Vorbild Shakespeare mischt Bartlett Blankverse und Prosa – mit einer solchen Dringlichkeit vor, daß alle auf der Bühne und im Saal atemlos lauschen.
Eine ähnlich rasante Entwicklung macht Markus Seuß in der Rolle von Prince William durch. Es gibt aber auch Momente, in denen Seuss die verletzliche Seite des Herausforderers zeigt. So wenn er des Nachts von der Erinnerung an die tote Mutter Diana heimgesucht wird. In diesem Sinn spielt auch Tim Lee einen traumatisierten Prinzen. Gleichzeitig überzeugt er als Protagonist der komischen Nebenhandlung. So wirkt Lee zunächst wie ein Clown – mit fahrigen Bewegungen und atemlosen Stammelsätzen. Erst allmählich findet er Ausdruck für sein Gefühlswirrwarr.
 

Foto: Bremer Shakespeare Company

Es gehört zur feinen Ironie des „Future History Play“, daß die Frauen der Prinzen diesen intellektuell weit überlegen sind. Wie Charles dürfen sie sich in großen Monologen aussprechen. Als Herzogin Kate fährt Petra-Janina Schultz eine Tirade gegen die regierenden „weißen Männer“ – und macht dann doch gemeinsame Sache mit Premier Evans (ein souveräner Strippenzieher: Erik Rossbander). Kühl analysiert Theresa Rose, die Harrys Flamme Jess spielt, die Ungerechtigkeiten der englischen Klassengesellschaft. Svea Auerbachs Camilla versucht, mäßigend auf Charles einzuwirken. Doch die Stimme der Vernunft dringt nicht durch.
 
Weitere Informationen: www.bsc.de
 
Daniel Diekhans