Auf der Spur des Schneeleoparden

Paolo Cognetti – „Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen“

von Frank Becker

Auf der Spur des Schneeleoparden
 
Eine beschwerliche Reise nach innen
 
Paolo Cognetti liebt die Berge. Mit „Fontane No. 1“, „Mein Jahr in den Bergen“ und „Acht Berge“ hat er diese Liebe auch literarisch beschworen, seine tiefe Sehnsucht nach der Stille und Einsamkeit dort manifestiert. Mit 40 Jahren entschied er sich, dieser Sehnsucht noch einmal im Extrem zu folgen und eine Trekking-Reise durch eine Höhenregion Nepals zu unternehmen, die im wesentlichen unerschlossen und mit einer durchschnittlichen Höhe von 5.000 Metern recht unwirtlich ist: Das Dolpo im Norden, an der Grenze zu Tibet. Ein Buch des amerikanischen Reiseschriftstellers Peter Matthiessen (1927-2014) im Gepäck, der 1974 den annähernd gleichen Weg genommen hat: „Auf der Spur des Schneeleoparden“ unternimmt er gemeinsam mit seinen zwei besten Freunden Stefano und Remigio die lange geplante Reise, die ihn an seine körperlichen Grenzen bringt, aber ihm auch unersetzbare Erfahrungen schenkt. 

Sie umrunden mit zahlreichen einheimischen Trekking-Begleitern, Maultiertreibern und Koch auf Pfaden und Pässen, die bis zu 5.500 Meter hoch sind, gewaltige Massive, vorbei an buddhistischen Klöstern und Einsiedeleien sehen den Kristallberg, treffen auf Pilger, Hirten  und Bauern, erleben Gebets- und Bestattungsrituale und begegnen Yaks und Blauschafen. Den scheuen Schneeleoparden sehen sie nicht, einmal nur seine beeindruckende Spur. Ein Hund läuft ihnen zu und bleibt bis zum Ziel treu an Ihrer Seite. Bei nächtlich scharfem Frost und klarem Sonnenschein am Tag werden die Wochen der Wanderung zu einem einzigartigen Abenteuer für die drei Freunde. Die Begegnungen mit den Einheimischen lehren Paolo Cognetti Respekt und Anerkennung von deren einfacher, bedürfnisloser Lebensweise. Vor allem die Heiterkeit und Freundlichkeit untereinander und gegenüber den Fremden beeindrucken ihn, aber auch die immer weiter vordringenden Zeugnisse einer nutzlosen „Zivilisation“ mit Verpackungsmüll in 5.00 Metern Höhe, Motorrädern in Dörfern ohne Straße und Satellitenschüsseln in allen etwas größeren Ansiedlungen.  
 
Diese entlegene Himalaja-Region gibt Cognetti, was er sich wünschte, das Gehen ohne Bindung an Zeit und Raum, das Löschen zu enger Gedankenräume, zugleich das Schärfen der  Wahrnehmung für das Hier und Jetzt. Nicht einen Berg zu bezwingen ist der Plan - man umrundet ihn, um ihm Respekt und Verehrung zu erweisen, sagen die Nepalesen -, sondern das Gehen als Selbsterfahrung. Cognetti beschreibt ungeschönt seine Höhenkrankheit, aber auch den Stolz, den er angesichts deren Überwindung empfindet. Und wer will ihn schelten, wenn er auch von seinen transzendenten esoterischen Erfahrungen erzählt. Für die einen Spökenkiekerei, für andere das Eigentliche dieser Reise.
 
Paolo Cognetti – „Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen“
(Senza mai arrivare in cima), aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt
© 2019 Penguin Verlag,  124 Seiten, gebunden, mit 12 s/w-Skizzen des Autors im Innenteil
-  ISBN: 9783328601081
15,- €
 
Weitere Informationen:  www.penguin-verlag.de