Märchenhaftes Meissen - Traumwelten der DDR

Hetjens – Deutsches Keramikmuseum Düsseldorf

Red./Bec.

Kaffeeservice „Großer Ausschnitt“ mit Dekor „Tausendundeine Nacht“ - Form: Ludwig Zepner, 1973 - Dekor: Prof. Heinz Werner und Rudi Stolle, 1969
Ausformung: Meissen, 1977 - Meissen Porzellan-Stiftung - Foto: Daniel Bahrmann

Märchenhaftes Meissen - Traumwelten der DDR
 
Hetjens – Deutsches Keramikmuseum Düsseldorf
 
Bis 1. März 2020
 
Erstmals seit Gründung der Porzellanmanufaktur Meissen durch den prunkliebenden Kurfürsten August den Starken anno 1710 geschah in der legendären Produktionsstätte etwas völlig Revolutionäres: Fünf junge Künstler erhielten ab 1960 als „Kollektiv Künstlerische Entwicklung“ die Aufgabe und Chance, dem traditionsreichen „Weißen Gold“ aus Sachsen mit der weltbekannten Schwertermarke ein neues Aussehen zu geben. Viele Jahre lang konnten die damals erst 30jährigen Porzellankünstler Peter Strang, Heinz Werner, Ludwig Zepner, Volkmar Bretschneider und der etwas ältere Rudi Stolle mit neuen Formen, Motiven und Farben frei experimentieren und probieren. Allerdings standen sie stets unter dem Druck, auch in westlichen Ländern kommerziell erfolgreiche Entwürfe zu schaffen.
 
Dem mit seinen Formen, Dekors und Malereien überraschend oft in der Welt der Märchen, im Reich der Träume und des Orients angesiedelten neuen Porzellan aus Meissen widmet erstmals in Westdeutschland das Hetjens – Deutsches Keramikmuseum in Düsseldorf vom 28. November 2019 bis zum 1. März 2020 eine Sonderausstellung. Mit rund 200 Exponaten erinnert die Präsentation an ein wenig beachtetes, bedeutendes Kapitel in der Geschichte der ältesten europäischen Porzellanmanufaktur und zugleich auch an den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung vor 30 Jahren.
Die formal schlichten Produkte einer von der SED verordneten „proletarischen“ Porzellankunst, die die Werkstätten des 1950 aus Ruinen neu erstandenen „VEB Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen“ in den frühen Jahren verlassen hatten, fanden im kapitalistischen Ausland wenig Anklang; sie waren somit zur dringenden Devisenbeschaffung für die DDR-Planwirtschaft ungeeignet.
„Mit Sonder-Erlaubnis und sogar inspirierenden Asien-Reisen hatte das Künstlerkollektiv nun auf einmal die Möglichkeit, etwas zu entwerfen, was auf dem westlichen Markt bestehen konnte“, beschreibt Hetjens-Direktorin Daniela Antonin die Wende in der Meissener Porzellan-Produktion: „Die neuen Stücke entführen uns in ein farbensprühendes Märchenreich, in eine Welt der Freizügigkeit, des Glanzes und der Harmonie.“
 

Wandplastik „Fliegender Teppich“ - Form: Peter Strang, 1967/68 - Dekor: Johannes Fohlert - Ausformung: Meissen, 1967/68 - Meissen Porzellan-Stiftung
Foto: Daniel Bahrmann



Titania und Zettel aus dem „Sommernachtstraum“ - Form: Peter Strang, 1969 - Dekor: Prof. Heinz Werner - Ausformung: Meissen, 1975 - Meissen Porzellan-Stiftung
Foto: Daniel Bahrmann

Völlig fasziniert lauscht so in einem Tafelaufsatz als Szene aus „Tausendundeiner Nacht“ der Porzellan-Kalif Harun ar Raschid seiner lieblichen Sherazade. Shakespeares „Sommernachtstraum“ entstammt die Elfenkönigin Titania, die ihren eselsköpfig verzauberten Zettel verliebt umgirrt. „Die Sujets sind - bewußt oder unbewußt - unpolitisch angelegt und stellen in deutlichem Gegensatz zur Realität gewissermaßen eine erlaubte Flucht aus dem sozialistischen Alltag dar“, sagt Ausstellungskurator und Vizedirektor Wilko Beckmann.
 
Für Heinz Werner und Peter Strang bedeutete die Literatur eine „Veredlungsstufe der Realität“, die es der Malerei und Plastik erleichterte, eigene Naturerlebnisse umzusetzen: In ihren Porzellanen begegnet der Betrachter nicht nur den Helden orientalischer Märchen oder den Feen und Trollen Shakespeares, sondern etwa auch dem Lügenbaron Münchhausen, Waldnymphen und lüsternen Jägern, die ihnen nachstellen. Die duftigen Malereien vermitteln Leichtigkeit, Schwerelosigkeit und Heiterkeit als besonders charakteristisches Merkmal der Arbeit Heinz Werners.
 
Plastische Arbeiten sind beispielsweise Figuren nach der Märchenparabel „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz, dessen Bühnenfassung 1964 am Deutschen Theater in Ost-Berlin Premiere feierte. 1970 modellierte Peter Strang – von Bert Brechts Witwe Helene Weigel genau beobachtet - „Die Hochzeit des Macheath“ als Szene aus der „Dreigroschenoper“.
 
 
Schreib- und Rauchgarnitur „Kästchenmosaik“ mit Dekor „Sommernachtstraum“ - Form: Ludwig Zepner, 1966/67 - Dekor: Prof. Heinz Werner, 1969
Ausformung: Meissen, 1969 - Meissen Porzellan-Stiftung - Foto: Daniel Bahrmann

Die Formen des neuen DDR-Porzellans sind zwar noch durch den historischen Serviceklassiker „Neuer Ausschnitt“ aus den frühen Manufakturjahren um 1745 inspiriert, erhalten jedoch größere Proportionen, schwingende Konturen und gebogene Kanten. 1973 vollendeten die mittlerweile mit dem Kunstpreis der DDR geehrten Ludwig Zepner, Peter Strang und Heinz Werner die neue Form „Großer Ausschnitt“, deren Teller, Schalen und Platten auf der Grundform des Blütenkelches basieren.
 
Mit seinen 250 Teilen wird das auch in Düsseldorf zu sehende „Jagdservice“ zum umfassendsten Service aus Meissen im 20. Jahrhundert. Der passionierte Hobby-Jäger und starke Mann der DDR, Erick Honecker, nannte einst eines dieser Porzellan-Kunstwerke, dekoriert mit humoristischen Motiven á la „Jägerlatein“, stolz sein eigen.
Das neue Porzellan sollte nach dem Willen der DDR-Funktionäre „Schöpferkraft, Optimismus und Dynamik der sozialistischen Gesellschaft“ verkörpern, wie es 1976 offiziell hieß. Als wertvolles Exportgut und wichtiger Devisenbringer wurde es mittlerweile in über 70 Länder geliefert: Erst die Entwürfe des Künstlerkollektivs mit ihren freieren Formen und phantasievollen Dekoren brachten es zu einem internationalen Erfolg, der mit den traditionellen Meissener Porzellanschöpfungen zu vergleichen ist. Wie ein Blick in die Sammlerportale des Internets beweist, sind die Stücke bis heute gesuchte und hoch gehandelte Liebhaberobjekte.
 
 
Vase mit Zauberpferdchen aus „Tausendundeine Nacht“ - Form: Ludwig Zepner (Vase), 1960 - und
Peter Strang (Plastik), 1974 - Dekor: Prof. Heinz Werner, 1960 - Ausformung: Meissen, 1973/74 -
Meissen Porzellan-Stiftung - Foto: Daniel Bahrmann

 
Rahmenprogramm:
 
Filmabend in Kooperation mit dem Filmmuseum Düsseldorf
 
Dienstag, 4. Februar um 20.00 Uhr
Film in der Black Box
„Ein Sommernachtstraum“ (1959) - Regisseur: Jiří Trnka
 
„Wenn ein Vergleich [mit der Malerei Heinz Werners] herhalten soll, dann käme die gegenwärtig auf einem hohen Niveau stehende Kinderbuchmalerei von Trnka bis Binder-Staßfurt in Frage.“ (aus „Meissen. Heute“ Berlin 1976)
 
Kuratorenführungen
Mittwoch 18. Dez., 18 Uhr, Mittwoch 22. Jan., 18 Uhr, Mittwoch 26. Feb., 18 Uhr
 
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet, mittwochs bis 21 Uhr.
Hetjens-Museum - Schulstraße 4 - 40213 Düsseldorf - Tel: 0211 - 89-94210
 
Weitere Informationen: www.duesseldorf.de/hetjens

Redaktion: Frank Becker