Krücken, Schmetterlinge und die Zukunft

Das Dali Tarot

von Johannes Vesper

Krücken, Schmetterlinge und die Zukunft
 
Das Dali Tarot
 
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen“ meint Konfuzius bei Schiller. Eingeweideschau gab es bereits in Vorderasien vor 3000 Jahren. Da sah man der Leber an, was die Zukunft so bringt. Der alttestamentarische Joseph träumte sich auf der Leiter in den Himmel, und Träume galten als von gottgesandte Bilder. Pythia (Delphi) und die Sybille von Cumae äußerten nur unter Drogen, was die Götter zur Zukunft meinen könnten. Mit Spielkarten schienen solche Mittler überflüssig. Kartenlegen kann ja jeder, der sich auf das System einläßt. Wahrscheinlich spielten sogar die alten Ägypter schon Tarot. Sicher ist das nicht. Als die ältesten sicher nachgewiesenen Tarot Karten gelten die 74 noch erhaltenen der Visconti-Spiele aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der Herzog von Mailand und vermutlich sein Nachfolger Francesco I. Sforza hatten damals etwa 15 verschiedene Kartenspiele fertigen lassen. Das Tarot von A. Mantegna (um 1470) stammt nicht von ihm, wurde aber trotzdem mehrfach kopiert, auch von Albrecht Dürer. Viele Künstler haben sich mit der Gestaltung von Spielkarten beschäftigt: Konrad Witz um 1445, Sebastian Brant 1494, Philip Otto Runge 1810), Max Ernst 1941, um nur einige zu nennen.
 
Salvador Dali (1904-1989) hatte sich schon 20 Jahre, bevor er dieses Tarot Spiel entwarf, künstlerisch mit Spielkarten beschäftigt. Als Surrealist und Symbolist, der die Welt nur im Traum oder Alptraum erfuhr und ständig aus dem Unbewußten lebte, wollte er mit seiner paranoisch-kritischen Methode irrationaler Erkenntnis (?) die Realität überbieten und steuern, nachdem es zum Koch, seinem 1. Berufswunsch, nicht gereicht hatte. Ob der Produzent des James Bond Films „Leben und Sterben lassen“ ihn beauftragt hat ein Tarot-Spiel zu entwerfen? Keiner weiß das genau. Jedenfalls hatte Gala, seine Muse, Frau und Geliebte, immer Karten gelegt, da scheint es naheliegend, daß sich der Künstler mit dem Magier, der Hohepriesterin, mit dem Hierophanten und all den anderen Geistern des Spiels auch künstlerisch beschäftigte. Im Alter von 70 Jahren schuf er ein Tarotdeck, welches der Taschen-Verlag in einer aufwendigen, kostbaren, samtbeschlagenen Kassette neu aufgelegt hat. Vom Herausgeber (Johannes Fiebig) stammen die Texte des Begleitbandes der Neuauflage dieser Rarität, die 1984 als limitierte Art Edition erschienen war. Neben dem Lebenslauf des Künstlers und seiner kunstgeschichtlichen Ortung gibt er zu jeder der 78 Karten eine Erklärung, Beschreibung und Analyse. Dazu verweist er auf Bildzitate aus der Kunstgeschichte von Lukas Cranach bis Niki de St. Phalle. Bei der Vielzahl allegorischer Figuren, Tugenden und Lastern konnte Dali seine unbändige Fantasie ungebremst spielen lassen.


Die erste Spielkarte zeigt Dali mit aufgerissenen Augen und gezwirbelten Schnurrbart als Magier im Chor einer in Flammen stehenden, gotischen Kapelle, als Zauberer hinter dem Altar seines Lebens. Warum tauchen in anderen Bildern häufig Schmetterling und Krücke als zusätzliche Motive auf? Dali fand Krücken„äußerst widrig und wunderbar beeindruckend“. Er benötigte Krücken über Krücken für alles Mögliche: „zum Stabilisieren verzückter Haltungen von erlesener Eleganz. Er benötigte „Krücken, welche der flüchtigen Pose eines tänzerischen Sprungs dauerhafte Struktur verliehen…“ „Mein Krückensymbol paßte so vollkommen zu den unbewußten Mythen unserer Epoche“, schrieb der Göttliche in seiner Autobiographie, die auf Deutsch erhältlich ist. Wer die Zukunft mit Tarot erforschen will, benötigt sicher ebenfalls Krücken. Der Schmetterling gilt als Symbol der Psyche, des Unbewußten, als Botschafter aus dem Jenseits. Klar, daß Dali ihn ständig malt. Das Legen und Betrachten dieser Spielkarten zur Deutung der Zukunft gilt hier in Europa als Aberglauben. Kunst, auch die Malerei Dalis, kann aber bei der Erforschung des eigenen Ichs, der eigenen Psyche eine Hilfe sein. Vom Herausgeber und Autor, einem Kenner der Materie, einem an Esoterik interessierten Psychologen und Tarotspezialisten, sind weltweit mehr als 1,5 Mill. Bücher zum Tarotspiel erschienen. Er weiß, was er schreibt.


 
Dali Tarot
von Johannes Fiebig (Hrsg.) - mit einem Vorwort von Annette Köger.
© 2019 TASCHEN, Samtbeschlagene Kassette mit 78 Spielkarten und einem Begleitband -  ISBN978-3-8365-7612-3
50.-€
Weitere Informationen: www.taschen.com