Gold: Faszination und Fluch

Sebastião Salgado – „Gold“

von Johannes Vesper

Gold: Faszination und Fluch

Von Johannes Vesper
 
Kaum jemand hat so viel von der Welt gesehen und fotografiert wie er. Nach den Bildern des Völkermords von Ruanda in den neunziger Jahren konnte Sebastião Salgado seine Fotos von Toten, Flüchtlingen, Kriegen und Hunger nicht mehr ertragen, wollte die Welt so nicht mehr sehen. Er zog sich nach Brasilien zurück auf die Farm seiner Eltern und glaubt nun, daß mit nachhaltigem Natur- und Klimaschutz, mit sozialer Gerechtigkeit und Frieden die zentralen Zukunftsfragen gelöst werden müssen und können. Sebastião Salgado hat als erster Fotograf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Passend dazu erschien bei Taschen sein Fotoband „Gold“.
 
Schon vor der Katastrophe in Ruanda hatte er 1986 mit seinen Aufnahmen aus der einst größten Freiluftgoldmine der Welt, der Serra pelada in Brasilen, die Katastrophe von El Dorado, von der menschlichen Gier nach Geld und Gold dokumentiert. Inzwischen wurde diese Mine geschlossen. Mit 200 m Durchmesser und Tiefe erscheint heute die damalige Freiluftgoldmine nahezu niedlich gegenüber der aktuell größten, der Muruntau-Mine in Usbekistan mit einem Durchmesser von 3 km und einer Tiefe von 500 m. Der Fluch des Goldes springt aus den nahezu biblischen, endzeitlich anmutenden Bildern Salgados direkt in die Augen des Betrachters - Illustrationen des Infernos. Für Grabbeilagen und Schmuck aus Gold nimmt der Mensch seit ca. 5000 Jahren Verbrechen, Zerstörung seiner selbst (siehe Fotos), der Umwelt und der eigenen Lebensgrundlagen ohne weiteres in Kauf.
 
In Europa begann der Goldrausch mit Christoph Kolumbus und seiner Entdeckung Amerikas 1492. Die Spanier „waren wie hungrige Schweine gierig auf Gold“. Die Missionar Antonio de Montesino klagte schon 1511 über die grausame und schreckliche Knechtschaft der Indios, die durch das Übermaß an Arbeit dahin starben, nur um täglich Gold zu graben und zu erschachern, wie in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Arbeiter der Serra pelada auf den Aufnahmen Salgados. Francisco Pizarro brachte in Peru den Inkakönig Atahualpa um, um sich das Gold der Inka zu sichern, mit dem u.a. die Kassettendecke von Santa Maria Maggiore in Rom vergoldet wurde. Später nahm mit zunehmender Technik im 19. Jahrhundert die Umweltzerstörung durch den Goldbergbau zu, ohne daß sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gold-Bergarbeiter besserten. Der Einsatz hydraulischer Pumpen führte zum Abspülen ganzer Berglandschaften mit anschließender Erosion. Die Auswaschung des Goldes aus Steinen und Fels mit hochgiftigem Quecksilber verseuchte die Minenfelder zusätzlich. Die Welt fieberte im Goldrausch vom Klondike River in Kalifornien über Südafrika , bis nach Rußland und Australien. In Australien wurden Chinesen als Goldsucher und Bergarbeiter ins Land gelockt und als Migranten Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Pogromen. Der Aufstand der russischen Goldbergarbeiter 1912 gegen ihre Arbeitsbedingungen endete nach Militäreinsatz mit 500 Toten. Dieses Lena-Massaker förderte die revolutionäre Stimmung in Rußland für Lenins Revolution 5 Jahre später.
 

© Sebastião Salgado

Der moderne Begriff des „Resourcenfluchs“ spiegelt die Weltgeschichte des Goldes zutreffend auch im Hinblick auf seinen ökonomischen Wert. Im 16. Jahrhundert stieg die Menge des in Europa verfügbaren Goldes gegenüber 1492 auf das Fünffache an. Trotzdem erlebte Spanien unter den Nachfolgern Karls des V. dreimal einen Staatsbankrott. Aber immerhin wurde im Laufe der Zeit Gold als Standard für die Währung immer wichtiger. Seit Krösus, der nicht nur das Orakel von Delphi mißverstand und dadurch sein Reich ruinierte, sondern wahrscheinlich als erster auch Goldmünzen prägen ließ, konnte man mit dem Edelmetall bezahlen. Gold diente von 1947 bis 1973 sogar als Grundlage des internationalen Währungssystems von Bretton Woods. Gerade jetzt war wieder einmal zu lesen, daß Banken in den USA wegen Betrug mit Markt- und Preismanipulation für Gold und andere Edelmetalle angeklagt worden sind. Und von der Gier nach Gold, diesem praktisch nahezu unbrauchbaren Material, handelt der großartige Fotoband des Fotografen Salgados.
Der Fotograf erzählt im Vorwort des jetzt erschienenen Bandes von seiner Sprachlosigkeit beim ersten Besuch der Mine, beim Anblick des „ Gewimmels von mehreren zehntausend Männern, kaum bekleidet. Ungefähr die Hälfte von ihnen schleppte schwere Säcke über breite Holzleitern nach oben, während die anderen über schlammige Abhänge zurück in den Schlund der Grube rutschten“. Was taten die alles in der Hoffnung auf schnellen Reichtum? Es gab schon vorher zahlreiche Fotos dieser Goldmine von vielen Journalisten und Reportern. Trotzdem wollte sich Salgado selbst nach zunächst vergeblichen Versuchen für eine Besuchserlaubnis dieses Projektes annehmen. Sein Interesse galt einem größeren Fotoprojekt (Arbeiter: Zur Archäologie des Industriezeitalters), in welches er die Bildergeschichte der Serra pelada eingliedern wollte. Dazu hatte er in Farbe u.a. schon Bilder über den mexikanischen Ölboom erstellt. Entgegen dem damaligen allgemeinen Trend der großen Fotomagazine wie Life, Time Newsweek Paris Match wählte er für die Aufnahmen der Serra pelada Schwarz und Weiß. Diese Schwarz-Weiß Fotografien im Sunday Times Magazin am 24.05.1987 und wenige Wochen später im New York Times Magazine führten zu einer Wiederbelebung der Schwarz-Weiß-Fotografie sowohl in Europa wie in den USA. Ob die Farbe vom Wesentlichen eines Bildes ablenkt? Seine historischen Bild-Dokumentationen brasilianischer Goldsucher bieten Gelegenheit, um über Gier nach Geld und Gold als wesentliche Charakterzüge des Menschen und über die Würde des Menschen nachzudenken.
 
 
© Sebastião Salgado

Salgado selbst, der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, ist inzwischen Bauer geworden, pflanzt Bäume und freut sich über Vögel, Jaguare und Affen, die auf das Territorium seiner Farm zurückkehren. Aufforstung per se ohne primär ökonomische Interessen empfiehlt er als das Wichtigste, was wir tun können, als seinen kategorischen Imperativ, hoffend, daß diese Maxime allgemeines Gesetz bzw. das grundlegende Prinzip moderner Ethik werde, wenn die Zerstörung der Welt gestoppt werden soll. Er glaubt, daß „wir das Geld und die technischen Möglichkeiten haben, dem Planeten das Leben zurückzugeben, das wir ihm im Laufe der letzten 150 Jahre geraubt haben“. Der Band paßt in die aktuelle Diskussion der Friday for Future Bewegung. Er bestätigt mit seinen grandiosen, großformatigen Schwarz-Weiß Fotografien von bestechender Druckqualität die Authentizität analoger Fotografie.
Sebastião Salgado, geb. 1944, flüchtete 1969 vor der Militärdiktatur Brasiliens nach Paris, studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete dann als Fotograf für Fotoagenturen wie Magnum, Sygma u.a. bevor er in eigener Regie das Elend der Welt dokumentierte in Ausstellungen und Büchern: Sahel, L’Homme en détresse (1986), Other Americas (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000, Wiederauflage als Exodus 2016 zur Zeit der Flüchtlingskrise), Kinder der Migration (2000), Africa (2007), Genesis (2013) und Kuwait, Eine Wüste in Flammen (2016). 2019 gab und gibt es Ausstellungen der Fotos des hier besprochenen Bandes in Sao Paulo, Stockholm, Tallin und Fuenlabrada/Madrid.
 
Die Herausgeberin des vorliegenden Bandes Lélia Wanick-Salgado, Ehefrau des Fotografen, redigiert und konzipiert seit nahezu 40 Jahren fast alle seine Fotobände und Ausstellungen als Geschäftsführerin von Amazonas images. Die Agentur wurde 1994 gegründet und vertritt das fotografische Werk Salgados exklusiv.
Alan Riding wurde in Brasilien geboren und arbeitet als Auslandkorrespondent für die New York Times, als Kunstkorrespondent in Europa und schreibt heute vornehmlich für das Theater und lebt in Paris. Im besprochenen Buch findet sich ein Essay von ihm. Er ist seit Jahrzehnten mit dem Fotografen befreundet.
 

© Sebastião Salgado

Sebastião Salgado – „Gold“
Herausgeber: Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado, Alan Riding
© 2019Taschen Verlag, 208 Seiten, gebunden, 24,8 x 33 cm 9, Text in Deutsch, Englisch, Französisch ISBN: 978-3-8365-7508-9
50,- €
Weitere Informationen: www.taschen.com
 
Und in Ergänzung dazu empfohlen: Bernd-Stefan Grewe: Gold. Eine Weltgeschichte. C.H. Beck 2019, 128 Seiten. ISBN 978 3 406 73212 6. 9,95 €.