Im Frühtau zu Berge

Norbert Golluch - Schreibe 100 Mal: „Ich darf nicht ...“

von Frank Becker

Im Frühtau zu Berge

oder

Führung, Fleiß, Ordnung
 
Norbert Golluch gehört zu der beneidenswerten Nachkriegs-Generation, die im positiven Sinne mehr gesellschaftlichen Wandel miterlebt hat als viele andere, zumal als die jetzt in relativer Saturiertheit und bildungsferner Gleichgültigkeit aufwachsende Smartphone-Generation – löbliche Ausnahmen ausgenommen. Dazu gehört auch seine Erfahrung mit den sich verändernden Schulsystemen, die er erst als I-Dötzchen, dann Sextaner und später als Lehrer am eigenen Leibe erfahren und nicht vergessen hat. Denn nicht nur das Schulsystem hat einschneidende Veränderungen erfahren, auch das Verhältnis von Lehrern zu Schülern und Schülern zu der sie betreuenden „Anstalt“ (so hieß das ganz früher…).  
Norbert Golluch geht in seinem höchst unterhaltsamen Buch „Schreibe 100 Mal: Ich darf nicht…“ zunächst informativ auf die Entwicklung des Schulwesens ein, kommt aber recht bald auf das Eigentliche, Erinnerungen und Anekdoten aus der Schulzeit seiner Generation, einer Vergangenheit ohne elektronische Lehr- und Lernmittel, dafür in den Volksschulklassen mit Schiefertafel, Griffelkasten, Schwämmchen, Lappen, Rechenbuch und Fibel im ledernen Ranzen. Ich selbst habe noch in meiner Dorfschule acht Volksschulklassen in einem Raum erlebt, unterrichtet von einem Lehrer, Herrn Kronenberg, der wegen seines Haselnußsteckens gefürchtet war und später mit Frl. Schmidt, die „Im Frühtau zu Berge“ mit uns sang, uns die Schneeglöckchen im Beet vor dem Schulhaus erklärte - und die von uns Kindern herzlich geliebt wurde.
 
Später dann, in Sexta bis Prima war der Rechenschieber das höchste der Hilfsmittel, Pfuschzettel mußten noch von Hand gekritzelt werden, kein Taschenrechner oder gar Smartphone mit tausend Apps stand zu Gebote. Dafür aber hatte man noch Pausenbrote, die gelegentlich getauscht wurden („Was haste heute drauf…?), man rauchte heimlich hinter der Turnhalle und holte sich im Büdchen gegenüber eklig klebrige Negerkußbrötchen. Lehrer waren zum Teil wirklich noch Originale, und einige wurden zu Kameraden.
Norbert Golluch weiß Wunderbares über Lehrertypen und ihre Spitznamen, Schülerstreiche, Schummelmethoden, Bilderwelten am Kartenhalter (niemand kannte Beamer oder Laptop-Projektionen) und Wandertage zu berichten. Wo heute Schulklassen für eine Woche oder mehr nach Paris, Rom, Madrid, zum Skifahren nach St. Moritz oder sonst wohin jetten, wanderten Schüler damals mit Pfefferminztee in der Bügelflasche, Butterbroten und Äpfeln im Brotbeutel einen Tag lang durch die nahegelegene Walachei, im Falle Golluch sicher irgendwo bei Lindlar, Kürten, Bensberg oder Wipperfürth. War das schlecht? Keinesfalls. Es war eben damals alles etwas bescheidener, dafür vermutlich dichter am Menschen. Ich möchte heute keinen Schulausflug mehr mitmachen müssen, wo wohl 95 % der Mitschüler mit gesenktem Haupt über ihrem Smartphone verblöden… Manchem würden heute die einstigen Kopfnoten (Führung, Fleiß, Ordnung) recht gut tun.
 
„Wenn man richtig darüber nachdenkt, war es lustig“ resümiert Norbert Golluch, und er hat Recht. Es war eine schöne, unbeschwerte Zeit, in der man im Klassenverband Freunde fürs Leben gewann, aber auch fürs Leben etwas lernte. Sie werden sich erinnern: „Non scholae sed vitae discimus“, wie Seneca gerne verdreht zitiert wird. „Schreibe 100 Mal…“ ist ein gelungener (Rück)Blick auf die Schule, wie sie einmal war. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Schließen wir diese Betrachtungen mit einem literarischen Zitat aus dem Schulroman aller Schulromane, Heinrich Spoerls „Die Feuerzangenbowle“, in der Verfilmung nur echt in der Fassung von 1944 mit Heinz Rühmann, Paul Henckels, Erich Ponto, Hans Leibelt, Karin Himboldt, Lutz Götz, Ewald Wenck, Albert Florath u.a.m.:
„Wahr sind (…) die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden." 
 
Norbert Golluch - Schreibe 100 Mal: „Ich darf nicht ...“
Als Lehrer noch Pauker und Schüler Lausbuben waren
© 2019 riva Verlag, 139 Seiten, gebunden - ISBN: 978-3-7423-1108-5
9,99 €
Weitere Informationen: www.rivaverlag.de