Erkenntnisse gewinnen

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma

von Renate Wagner

Porträt einer jungen Frau in Flammen
(Portrait de la jeune fille en feu - Frankreich 2019)

Drehbuch und Regie: Céline Sciamma
Mit: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Sophie, Valeria Golino
 
Man schreibt das Jahr 1770. Die Überfahrt zu einer Insel in der Bretagne ist stürmisch, und die junge Pariserin Marianne hat viel festzuhalten: Sie reist mit mehr als normalem Gepäck, sie hat eine Staffelei bei sich, Malutensilien – und sie geht auf einen ungewöhnlichen Auftrag zu. Sie soll ein adeliges Mädchen malen, ein Bildnis für den noch unbekannten Bräutigam. Nur – die Tochter der Gräfin will weder heiraten noch gemalt werden. Dennoch: Es wird keine Trotzköpfchen-Geschichte im historischen Gewand. Es wird viel, viel mehr.
 
Regisseurin Céline Sciamma hat bis jetzt meist Filme über junge Leute von heute gedreht. Hier begibt sie sich in eine Welt, wo Frauen ihre Wünsche nicht erfüllt bekamen, wo sie ihre Gefühle und Begierden nicht ausleben durften. Die Gräfin (Valeria Golino, die Schöne von einst, auch im Alter noch attraktiv) kann über die störrische Tochter nur den Kopf schütteln: Was wird es Héloïse schon nützen? Wenn sie sich nicht umbringt, wie es ihre Schwester getan hat, oder sich im Kloster begräbt, wird sie sich fügen müssen. Vielleicht kann Marianne, die Malerin, dabei helfen.
Wenn die Gräfin verreist, bleiben die beiden jungen Frauen – fast sind sie noch Mädchen – mit der Dienerin Sophie allein in dem kalten Steinschloß an der stürmischen Küste. Das Mädchen kocht und erledigt die Hausarbeit, wird aber von den anderen weder wie ein Dienstbote noch wie jemand „Minderwertiger“ betrachtet. Als Sophie sich einer Abtreibung unterziehen muß (sonst wäre ihr Leben ruiniert), sind die beiden Freundinnen dabei und halten ihre Hand. Die Tragödie der unteren Schichten – einfach hingestellt. Weder kommentiert noch flammend aufgeheizt. Es war, wie es war, damals im 18. Jahrhundert (und später auch).
Aber vor allem geht es darum, daß Marianne und Heloise sich finden, wobei das Bild, das gewissermaßen heimlich gemalt werden soll, zwischen ihnen steht. Marianne ist zwar, Tochter eines Malers, frei schaffende Künstlerin, aber natürlich auf den Auftrag angewiesen. Und Heloise weiß sich beobachtet, sendet die Blicke zurück – das alles geht sehr langsam, wird aber nicht bedeutungsschwer pathetisch, und wenn die jungen Frauen sich erst intellektuell und seelisch und dann auch körperlich nahe kommen, ist die Geschichte nie klebrig (man weiß, wie schwierig Sexszenen sind, und gleichgeschlechtliche sind nicht die einfachsten).
 
Noémie Merlant als Marianne und Adèle Haenel als Héloïse sind deshalb so überzeugend, weil sie so unspektakulär sind. Das gleiche gilt für die Sophie der Luàna Bajrami. Das sind keine glamourösen Filmstars, die engagiert sind, um in historischen Kostümen spektakulär auszusehen. Sie sind, was sie sind – ganz normale Frauen.
Es ist keine Lesben-Geschichte, es ist eine Liebesgeschichte, die Céline Sciamma hier mit beispielhafter Delikatesse darstellt, aber sie dramatisiert nicht – es ist keine Beziehung, die Leben definitiv zerstört. Der Film geht über die Trennungen hinaus – die eine wird eine bekannte Malerin, die andere ist verheiratet. Sie ahnen einander, treffen sich aber nicht wieder. Vielleicht wollen sie nicht. Es täte zu weh.
Der Subtext des Films ist immer die historische Situation, immer die Frau im Korsett, im doppelten Sinn. Aber es wird kein billiges Anklage-Epos daraus. Der Zuschauer, Er, und die Zuschauerin, Sie, dürfen selbst ihre Schlüsse daraus ziehen, in die Vergangenheit schauen, Erkenntnisse gewinnen.
 
 
Renate Wagner