Mut zum Leisesein

Mely Kiyak – „Haltung. Ein Essay gegen das Lautsein“

Red./Bec.

Leise sein
 
oder
 
Das Laute der politischen Gegenwart strengt an.
 
Jeder muß seinen eigenen Takt finden. Ich wünsche Mut zum Leisesein.
(Mely Kiyak)
 
Mitunter sollte man bei einer Buchbesprechung das Buch selbst sprechen lassen. Im vorliegenden Fall tue ich das mit dem Schlußkapitel von Mely Kiyaks Essay „Haltung“:
„Das Laute der politischen Gegenwart strengt an. Oft lebe ich monatelang an einem Ort, der kompliziert zu erreichen ist, damit ich alleine sein kann. Mit den sozialen Medien habe ich nichts zu tun. Es erscheint mir vollkommen absurd, auf soundso vielen Kanälen zu kommunizieren. Die Wahrheit ist doch auch, daß es gar nicht so viel Informationsgehalt geben kann, wie dort versabbelt wird.
     Von außen betrachtet, mache ich nicht viel. Ich grübele und starre den Mörtel mürbe. Ich spaziere in meinen Gedanken. Gegen Mittag räuspere ich mich das erste Mal. Ob ich am Ende doch noch wie Handke werde und eine Möhre in hauchdünnen Scheiben runterschäle, um in Echtzeit darüber zu berichten?!
     Ich kann mich allerdings nicht zuletzt deshalb vielem entziehen, weil es auch die anderen Kollegen gibt. Nicht die, die immer nur dazu auffordern, aktiv zu werden, statt es einfach zu tun, sondern die, die immer schon einfach schrieben und sagten, wovon sie meinten, daß es sich so gehört. Die ihren Anstand und ihre Würde nie aufgegeben haben. Mir ist aufgefallen, daß einige von ihnen, genau wie ich, entweder ein Jahr im Ausland verbrachten oder sich anderweitig zurückzogen. Dann kamen sie wieder und besaßen die Energie, in Artikeln, Kommentaren und Büchern den Feinden der Demokratie das entgegenzusetzen, wovor diese am meisten Angst haben: Wahrheit, Weisheit, Witz und Wissen.
     Diesen Kollegen und Künstlern möchte ich von Herzen danken, denn ihre Stücke; Kunstwerke, Aktionen, Texte und Reden, ihr Humor und ihr Widerstand versöhnen mich immer wieder aufs Neue mit meiner Gesellschaft.“
 
Der Verlag schreibt im Klappentext: Quer durch alle gesellschaftlichen und politischen Lager heißt es immerzu: „Haltung zeigen“. Klingt erst mal gut - doch bei genauerem Hinsehen entlarvt sich dieser Appell häufig als hohle Phrase. Haltung manifestiert sich nicht, indem man sie zeigt, sondern hat. Und dort, wo eine Gesellschaft keine gemeinsame Haltung hat, kann sie auch keine zeigen. Gerade angesichts des Erstarkens der Antidemokraten und ihres Getöses kommt die politische Kolumnistin Mely Kiyak zu dem Schluß, daß Haltung ein persönlicher Kompaß ist. Und der sagt ihr: Es gibt eine Zeit, da muß man die Stimme erheben. Und eine Zeit, da man zu härteren Mitteln greifen muß: leise sein.
 
Biografie
Mely Kiyak, geboren 1976, lebt als Publizistin in Berlin. Ihre Texte erscheinen in der „ZEIT“, „Welt“ und „taz“. Sie ist politische Kolumnistin der „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“. In „ZEIT ONLINE“ erscheint ihre Kolumne „Kiyaks Deutscg´hstunde“. Mely Kiyak hat in zahlreichen Anthologien veröffentlicht und Sachbücher zum Thema Integration und Migration geschrieben, war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und ist neuerdings Mitglied in der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur. Vor Jahren klopfte sie an die Klosterpforte der Abtei zur Heiligen Maria in Fulda und fragte, ob sie bei den Nonnen das Gärtnern erlernen dürfe. Seitdem verbindet sie eine Freundschaft mit den Fuldaer Benediktinerinnen.
 
Mely Kiyak – „Haltung. Ein Essay gegen das Lautsein“
© 2018 Bibliograph. Instit. GmbH, 64 Seiten, gebunden – ISBN: 9783411717651
10,- €
Weitere Informationen: www.duden.de