Ein bemerkenswerter Film

„7500“ von Patrick Vollrath

von Renate Wagner

7500
Deutschland / Österreich2019

Drehbuch und Regie: Patrick Vollrath
Mit: Joseph Gordon-Levitt, Omid Memar, Aylin Tezel, Carlo Kitzlinger u.a.
 
Man muß nicht in die Unendlichkeit des Weltalls fliegen, um Spannung zu erzeugen. Der engste Raum, das Cockpit eines Flugzeugs beispielsweise, reicht gleichfalls aus, um Gänsehaut zu erzeugen. Klaustrophobisch und panisch. Wobei „7500“ vermutlich der Alptraum jedes Piloten ist: Dabei handelt es sich nämlich um die Codezahl, mit der man eine Flugzeugentführung meldet…
 
Man bleibt im engsten Raum in diesem deutschen Thriller des Regisseurs Patrick Vollrath. Der Ruf des Deutschen leuchtet durch eine „Oscar“-Nominierung für seinen Abschluß-Kurzfilm an der Wiener Filmakademie und durch die Tatsache, daß er von seinem Lehrer Michael Haneke besonders geschätzt und gefördert wurde. Für seinen ersten Spielfilm ist es ihm auch noch gelungen, Hollywood-Star Joseph Gordon-Levitt zu verpflichten, und weil in der Welt des Fliegens ohnedies Englisch die Umgangssprache ist, konnte er einen deutsch-österreichischen und dennoch internationalen Film in englischer Sprache drehen. Der eine starke Sache geworden ist. Vor allem, weil das Thema ja heutzutage niemandem unwahrscheinlich vorkommt.
Man ist in diesem Film nach ein paar Eingangssequenzen immer ausschließlich auf allerengstem Raum – gerade daß man vom Cockpit des Flugzeugs her sieht, wie vom vorderen Tor her die Passagiere unter der Aufsicht der Stewardessen einsteigen. Zentrale Figuren dieses Fluges von Berlin nach Paris sind der ältere deutsche Pilot Michael Lutzmann (von dem Darsteller Carlo Kitzlinger heißt es, er sei tatsächlich einmal Flugkapitän gewesen) und sein amerikanischer Co-Pilot Tobias Ellis (Joseph Gordon-Levitt), beide in voller Harmonie agierend. Ellis hat, was vielleicht nicht ganz selten ist in der Branche, eine bereits langjährige Beziehung mit der hübschen, türkischstämmigen Stewardesse Gökce (Aylin Tezel), aber es ist keine Zeit, das private Problem des Kindergartens für den gemeinsamen kleinen Sohn zu diskutieren. Das Flugzeug hebt ab, der Film hat ein Stück selbstverständlichen „Berufs“-Alltags nachgezeichnet, wie er täglich auf Hunderten Flughäfen der Welt abläuft. Alles paletti? Nein.
Denn Terroristen, die eisern entschlossen sind, sich und ihr Leben einzusetzen, um etwas zu erreichen, schaffen das auch ohne Waffen, die sie heutzutage wohl nicht mehr an Bord bringen können. Sie schaffen sich ihre Bedrohungen selbst. Hier sind es scharfkantige Flaschenstücke, die einer Stewardesse an den Hals gehalten den Eingang ins Cockpit erzwingen wollen.

Es wäre unfair, die Geschichte zu erzählen, die den Co-Piloten vor die menschlich schier unlösbare Situation stellt, daß man ihn mit seiner Geliebten erpresst… Drei Terroristen sind es, die ein Blutbad anrichten, zwei von ihnen blind und gnadenlos zu allem entschlossen. Und die Möglichkeit, sie zu bekämpfen, ist denkbar gering. Und doch geschieht vieles…
Bis dann noch das „Duell“ zwischen Ellis und dem 18jährigen Türken Vedat (Omid Memar) übrig bleibt, und Ellis nur versuchen kann, hier zu dem Jungen durchzudringen, der von den anderen in diese Situation hineingezwungen wurde, selbst kein radikaler Islamist, sondern selbst nur ein verzweifeltes Opfer ist, der aber dennoch die bekannten Rituale der Drohungen und Forderungen durchspielt. Auch wenn sich herausstellt, daß beide, der Pilot und der Junge, in Kreuzberg nur ein paar Straßen von einander entfernt leben… So stellt sich nicht nur die Frage, in welche Situationen die Männer kommen, die für die Leben hunderter Menschen verantwortlich sind – sondern auch, wer sich da alles unter Druck dem Terrorismus verschreibt, möglicherweise, ohne es wirklich zu wollen. Am Ende ist man notgelandet, die „Verhandler“ treten in Aktion, und wieder weiß man, daß die Katastrophe ihren unabwendbaren Lauf nimmt.
 
Patrick Vollrath balanciert die Spannung, ohne einen billigen Thriller auf die Leinwand zu bringen. Er zieht die Schuhe seines Helden an, des Piloten in einer schier unlösbaren Situation, wahrt ausschließlich seinen Blickwinkel, wo man ja auch mit Hilfe der Bordkameras immer nur einen Teil dessen sehen kann, was im Flugzeug vorgeht. Schritt für Schritt geht man mit Ellis, sprich dem hoch konzentrierten und hoch überzeugenden Joseph Gordon-Levitt, durch die Katastrophe, fühlt sich mit ihm gefragt, welche Entscheidungen er treffen muß und kann. Das ist nicht spannendes Unterhaltungskino, das ist hautnah die nackte Realität von heute. Und wie immer geht sie für alle Beteiligten schlecht aus.
Nur der Regisseur kann zufrieden sein, denn er hat einen bemerkenswerten Film gedreht – und das auch noch ganz ohne tremolierende Musik.
 
 
Renate Wagner