Schräge Sache

„Wer ist Monsieur Schmitt?“ - Ein Psychodrama von Sébastian Thiery im TTT

von Frank Becker

Dennis Ellerbrake, sitzend (Mitte) - Foto: TalTonTheater

Schräge Sache
 
Wer ist Monsieur Schmitt?
 
Ein Psychodrama von Sébastian Thiery
 
Regie: Jens Kalkhorst – Bühne: Rüdiger Tepel – Maske: Sandra Kremer
Besetzung: Dennis Ellerbrake (Monsieur Schmitt) – Doris Hartmann (Psychiaterin) – Daniela Stibane (Madame Schmitt) – Niklas Selz (Polizist) – Linda Dörr (Tochter Schmitt)
 
Daß dieses Stück von Sébastian Thiery sich ziemlich schräg entwickeln wird, zeigt der erste Blick auf die Bühne, auf der ein Paar am Tisch sitzt – an einem Tisch dessen Platte sich von dem Mann weg auf die Frau zu neigt. Madame Belier (Daniela Stibane) hat gekocht und serviert, es gibt Lammkoteletts, Mme. Bélier und Monsieur (Dennis Ellerbrake) sitzen also in Paris beim Essen, als das Telefon klingelt – doch sie haben gar kein Telefon. Als er, Doktor der Augenheilkunde, dennoch  abhebt, verlangt jemand Monsieur Schmitt zu sprechen. Nicht genug damit, nach und nach merkt das Paar, daß an der Wand die Bilder und im Schrank die Kleider anderer Leute hängen, im Regal andere Bücher stehen, auch der Wohnungsschlüssel paßt nicht ins Schloß. Sie können nicht hinaus, sind eingesperrt. Sind sie versehentlich in der falschen Etage?
Die herbeigerufene Polizei identifiziert die beiden mit leichten Zweifeln als Monsieur und Madame Schmitt – aber in Luxemburg! Der mißtrauische Polizist (beharrlich und begriffsstutzig: Niklas Selz) und eine Psychiaterin (angsteinflößend gut: Doris Hartmann) tun das Ihre, um die Situation zu verwirren und das Paar an seiner Identität zweifeln zu lassen.
Sind sie vielleicht doch die Schmitts? Als auch noch Schmitts erwachsene Tochter (Linda Dörr, eine Schwarze (!)) auftritt und die Identität der Eltern bestätigt, wird Mme. Bélier plötzlich zu Mme. Schmitt, als sei sie nie eine andere gewesen.
 
Was bis dahin skurril komödiantisch über die Bühnenrampe kam, wird schwarz und schwärzer, spätestens, als Dr. Belier seine Praxis in Paris anruft und am anderen Ende der Leitung Dr. Belier ist. Monsieur Bélier beginnt an seinem Verstand zu zweifeln. Eine höchst bedrohliche Situation, in der man spätestens jetzt nicht mehr von „Komödie“ sprechen möchte.
Was ist die Wahrheit, wer ist hier normal, und was heißt überhaupt „normal“? Die quälende Ungewißheit und die schreckliche Ausweglosigkeit der Situation haben manches vom absurden Theater Franz  Kafkas und Sławomir Mrożeks, Samuel Becketts und Roland Topors.  Die anfängliche geschickt vordergründig inszenierte Komik weicht mehr und mehr der Beklemmung (nicht nur der Hauptfigur, sondern auch des Publikums), wird dramatisch, tragisch, ja so beängstigend, daß  das Lachen im Halse stecken bleibt. Zugleich pflanzt das Stück subtil eine diffuse Angst vor der Psychoanalyse ein. Doris Hartmann tut das mit Understatement, aber nachhaltig. Jens Kalkhorst hat das hervorragend in Szene gesetzt und einen brillanten Hauptdarsteller gefunden: Dennis Ellerbrake liefert – ohne die Verdienste des weiteren Ensembles schmälern zu wollen – ein mitreißendes Kabinettstück der Verzweiflung ab. Das Psychodrama quasi hautnah zu erleben, wie ein anscheinend ganz normaler Mann an der Wirklichkeit und sich selbst zerbricht, ist, inklusive der Schlußpointe, ein schwerer Brocken. Sehr zu empfehlen.
 

v.l.: Linda Dörr, Niklas Selz, Doris Hartmann, Daniela Stibane, Dennis Ellerbrake - Foto: TalTonTheater


Weitere Informationen: www.taltontheater.de