Ein steirischer Actionfilm, der was hat

„Marlene“ von Stefan Müller

von Renate Wagner

Marlene
(Österreich 2020)

Drehbuch und Regie: Stefan Müller
Mit: Paul Hassler, Caroline Mercedes Hochfelner, August Schmölzer, Eva Maria Marold u.a.
 
Marlene“ ist natürlich kein guter Titel. So wie „Greta“ noch immer die Garbo und nicht die Thunberg bedeutet, so hat es nur eine Marlene gegeben, und die hieß Dietrich. Vor zwei Jahrzehnten hat ihr das deutsche Kino auch einen gleichnamigen biographischen Film gewidmet. Warum also „Marlene“, wenn die Heldin auch ohne weiteres ganz anders heißen könnte? Nun, Stefan Müller, der als Regisseur sein eigenes Drehbuch verfilmte und das Endergebnis selbst schnitt, wird wohl gewußt haben, was er wollte. Der Kinobesucher, ein wenig irritiert, weiß es nicht.
Die Geschichte spielt in Graz und will uns erzählen, daß es hier starke und skrupellose Verbrechersyndikate gibt. So harmlos wie die ORF-Bundesländer-Krimis ist die Geschichte jedenfalls nicht, vielmehr zitiert Müller in jedem Teil der Handlung und der Machart große Vorbilder, vordringlich des US-Kinos. Daß sich ein Auftragskiller in ein potentielles Opfer verliebt und dann allein gegen eine Welt der Gewalt aufsteht, um sie zu befreien – das ist eine Vorlage, wie sie typischer nicht sein könnte. Inklusive anderer Ingredienzien, etwa daß der Killer sein Gewissen entdeckt und in großen Duellen etwa auch einer Frau im Schwertkampf gegenüber steht. Kintopp.
Zu Beginn lernt man Paul kennen, dem zwar – er beobachtet es, wenn er mit sich allein ist – die Hände zittern, aber dann bricht er in ein Büro ein und erschießt einen nach dem anderen. Allerdings nur die Männer – Frauen und Kinder sind tabu, wie er erklärt, als sein Boß ihm gleich den nächsten Auftrag geben will.
Paul mit dem männlichen, nicht unsympathischen Gesicht (Paul Hassler), steht dann seinem Auftraggeber gegenüber. August Schmölzer spielt ihn mit souveräner Ruhe, einer, der sein dreckiges Geschäft mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt betreibt. Eine junge Frau namens Marlene soll ihm als Geisel gebracht werden, weil er mit deren Vater noch ein Hühnchen zu rupfen hat.
 
Marlene (von einer ganz besonderen, blonden Durchschnittlichkeit, die berührt: Caroline Mercedes Hochfelner) lernen wir – auch da zitiert der Regisseur Vorbilder – unter ganz besonderen Umständen kennen: Wie sie am Grab der toten Mutter Blumen niederlegt und ihr erzählt, daß es ihr gar nicht gut gehe… Die Träne quillt.
Im Beruf hat Marlene dann auch Ärger: Als Barfrau hinter der Theke weist sie frech-zudringliche junge Männer ab. Nach der Arbeit wollen sich diese rächen und fallen brutal über sie her. Paul, der eigentlich im Auto auf sie wartet, um sie zu kidnappen, wird zu ihrem Retter. Und dann…
Ja, so klischiert darf man wohl nicht sein, aber Stefan Müller ist genau das, und man muß sagen, daß ihm wenig an diesem Film so gut gelingt wie die Annäherung von Paul und Marlene: Wie man das Vibrieren zwischen den beiden spürt, wie man sich kino-glücklich ihrer wachsenden Zuneigung hingibt. Daß Grazer Örtlichkeiten bei dieser Idylle auftauchen, war wohl eine Bedingung der steirischen Filmförderung, das gibt lokales Kolorit, ebenso wie der leicht regionale Tonfall, der immer wieder anklingt, ohne je die Verständlichkeit zu beeinträchtigen – ein Film aus der Steiermark für den ganzen deutschen Markt. Aber nicht wirklich regional, Müller läßt nie vergessen, daß die Story aus den klassischen Bausteinen des US-Kinos zusammen gekoppelt ist.
Auf die Liebe folgt die Katastrophe, Marlene ist weg, und warum der Boß des Syndikats, der Fehler normalerweise nicht verzeiht, Paul nach seinem Versagen nicht auf der Stelle erledigen läßt, sondern ihn nur „beurlaubt“, das erfährt man später. Man sieht nun auch, wie festungsartig das „Schloß“ ist, in dem der Boß sich mit seiner Puff- und Spielhölle verbarrikadiert (und wo der Regisseur selbst in der Rolle eines typischen „Bösewichts“ auftaucht).
Dramaturgisch „klassisch“ ist es, daß Paul zur Konkurrenz gehen muß, um sich mit Waffen für seinen Angriff auszustatten. Noch klassischer, daß die andere „Chefin“, schlicht „Kaiserin“ genannt (und in ihrem nicht minder verwerflichen Lokal auf einem Thron sitzend), teils in einer balkanesischen Sprache parliert (Eva Maria Marold gibt sich als Salma Hayek für Arme) und gerne zur Unterstützung bereit ist – gemeinsame Feinde machen Freunde…
Zuvor hat Paul übrigens noch in einer besonders schwer zu spielenden, aber bemerkenswert gemeisterten Szene einem Freund (Siruan Darbandi), der ihm die Verbindung zur Kaiserin herstellt, gestanden, daß er erkannt hat, daß es nicht wirklich gut ist, ein Auftragskiller zu sein… Die Liebe hat ihm das klar gemacht. Ja, der Regisseur balanciert über heiklen Abgründen, da könnte man abstürzen und sich glatt lächerlich machen. Passiert aber glücklicherweise nicht.
 
Was dann kommt, ist die Blutorgie, ein Schwertkampf (so gut wie Uma Thurman in „Kill Bill“ kann es die Dame Lola – Sophia Grabner – allerdings nicht), dann eine finale Auseinandersetzung mit dem Boß, Blutrausch und Gnadenlosigkeit (kein Sylvester Stallone könnte Massen von Gegnern so umweglos vernichten) – und ein Happyend fürs Liebespaar. Wenn man es so erzählt, klingt es parodistisch, aber so hat der Regisseur es nicht angelegt. Vielmehr zitiert er weiterhin alle denkbaren Vorbilder, ohne an sie heranzureichen, was er vermutlich auch weiß.
Trotzdem ist es ein Film, über den man sich eigentlich nicht ärgert. Irgendwie hat der „steirische Actionfilm“ etwas, wenn der Werbespruch vom „lauten Aufschrei des jungen österreichischen Films“ und vom „frischem Wind in der österreichischen Filmlandschaft“ vielleicht ein bißchen zu hoch gegriffen ist… Blutorgien, wie sie am Ende geboten werden, sind schon einmal da gewesen.
 
 
Renate Wagner